Team testet Strecken, prüft Schilder, berät Radler und sammelt Daten zum Fahrradtourismus Mit "Power zur Rente" - die Fahrradwacht kennt alle Radwege in- und auswendig
Sie haben einen der tollsten Jobs der Welt: Den ganzen Tag mit dem Fahrrad unterwegs, sind sie die Ansprechpartner vor Ort, wenn es um R1, Elberadweg Co. geht. Zehn Teilnehmer an der Arbeitsfördermaßnahme ¿Aktiv zur Rente\' sind die mobile ¿Fahrradwacht\'.
Aken/Köthen l Komplett im Fahrradoutfit, enge Radlerhosen, dicker Helm, braun gebrannt und immer rote Bäckchen im Gesicht - so kommt Dieter Kühnold (61) daher. "Ich sag\' immer: Der Maler zieht seinen Kittel an und das ist eben meine Arbeitsbekleidung", witzelt er und ist einem gleich sympathisch. Seit 2007 ist er in der "Fahrradwacht" und hat sich seit dem ganz schön verändert.
Damals hatte er von Leuten gehört, die mit dem Fahrrad auf den Radwegen unterwegs sind. "Also bin ich hin zu BVIK gegangen", erzählt er heute, wenn er mit seinen Kollegen am Akener Fährhaus sitzt und eine Statistik der vorbeikommenden Radtouristen aufstellt. Die Beschäftigungsgesellschaft BVIK gGmbH ist ein gemeinnütziger Träger, der Arbeitsfördermaßnahmen umsetzt und seinen Sitz in Köthen hat. "Die sagten beim Jobcenter Bescheid ¿Da will einer Fahrrad fahren\' und schon war ich drin".
Die Zeit ohne Beschäftigung war vorbei, er bekam von seinen Betreuern bei der BVIK ein Fahrrad und los ging es. "An den ersten Tag kann ich mich noch gut erinnern. Es wehte ziemlich starker Wind von vorn. Das Fahrrad war nicht richtig eingestellt. Ich habe die Zähne zusammengebissen, ein Gesicht gezogen und dachte mir nur ¿Du hast doch ne Macke, dass du hier mitmachst\'", lacht er heute.
"¿Aktiv zur Rente\' - das nenne ich immer ¿Mit Power zur Rente\'"
Jetzt taucht er keinen Tag mehr ohne Fahrradmontur auf, fährt privat mal eben zur Goitzsche und kann das Radeln nicht mehr lassen. "Man hat einfach mehr Lust zum Radfahren, freut sich mehr an der Natur, entdeckt das Fotografieren als Hobby." Sein Kollegen Reinhold Milosch nimmt seine Frau jetzt mit auf Radausflüge und Hartmut Weinert meint: "Ich habe sogar ein bisschen abgenommen."
Dieter Kühnold, der ¿Fahrrad-Bekehrte\', trat zu einer Truppe hinzu, die jetzt neun Männer und eine Frau zählt. Auf die Idee, eine Fahrradwacht zu bilden, die die Radwege aus Sicht der Radfahrer selbst testet, kam Annette Schermuck, Prokuristin und Projektleiterin der BVIK. Ihr Lieblingskind ist die Fahrradwacht bis heute. "Wir wollten mal etwas anderes als das Übliche machen. Als ich mit meiner Kollegin dabei war, das Konzept für die Maßnahme zu machen, hatten wir irgendwo etwas von ¿Radrangern\' gehört, da haben wir einfach ¿Fahrradwacht\' gesagt, ein Wort, das unserer Sprache näher kommt", erklärt sie.
"Wir haben 60 Menschen über 50 in der Maßnahme ¿Aktiv zur Rente\' und fragten sie einfach, wer bei einer Fahrradwacht mitmachen würde." Manche mussten erst begeistert werden, manche waren sofort vorn an wie Dieter Kühnold, der die Maßnahme statt ¿Aktiv zur Rente\' gern ¿Mit Power zur Rente\' nennt. "Wer sich einmal dafür entschieden hat, der fährt auch", sagt er. Dies sei der Unterschied zu jungen Leuten - die Menschen über 50 ziehen ihr Ding auch durch, wenn sie einmal mit etwas angefangen haben, meint er.
"Man erfährt Dinge über die Orte, die nicht einmal die Einwohner wissen"
"Erst einmal sollte getestet werden: Ist der Radweg überhaupt befahrbar? Bei manchen Wegen gibt es zum Beispiel Wurzelaufbrüche, die müssen mit Warnhinweisen gekennzeichnet werden. Schilder, die manchmal leider zerstört werden, müssen wir erneuern", beschreibt er die erste Zeit - Aufgaben, die auch die vorangegangenen Maßnahmen betrafen. "Nach vier, fünf Monaten kamen dann die Fahrräder", lächelt Dieter Kühnold, "von unseren Betreuern haben wir die Touren kartenmäßig festgelegt bekommen."
Die Kontrolle der Radwege ist immer noch Aufgabe Nummer 1. "Wir sind bei Wind und Wetter unterwegs, von März, April bis November. Nur wenn das Wetter ganz schlecht ist, bleiben wir im Gebäude in Köthen. So wie im Winter, dann erarbeiten wir Infomaterial, zum Beispiel eine Broschüre ¿Sicheres Fahrrad\'. Und wir informieren uns über die Orte, damit wir den Touristen auch mal einen Tipp geben können. Da gibt es zum Beispiel einen kleinen Ort auf der Strecke. Dort lebte der erste Mensch, der sich professionell mit der Erdbeerzüchtung befasst hat. Das weiß man gar nicht! Nicht einmal die Leute im Ort selbst", staunt Dieter Kühnold.
"Wir bleiben oft stehen, um mit Touristen ins Gespräch zu kommen"
Ansonsten, in der Saison, steigen die sportlichen Kollegen um 8 Uhr auf\'s Rad. Bis 14.30 Uhr haben die zehn Radler mindestens 30 Kilometer zurückgelegt. Dabei fahren jeweils zwei Mann zusammen einen Weg ab. Einige ¿Fahrradwächter\' sind im Raum Aken, andere im Raum Köthen unterwegs. Dabei hat der Europaradweg R1/D-Route 3 Priorität, dann folgt der R1 alternativ, eine Nebenstrecke dazu, der Elberadweg und die Radwege des Landkreises Köthen 1, 4, und 5 - immer im Bereich des Landkreises Anhalt-Bitterfeld.
"Die Arbeit der Fahrradwacht muss einen Bezug zur Region haben", sagt Projektleiterin Annette Schermuck. Schließlich wird die Maßnahme vom Land aus Mittel des Europäischen Sozialfond (ESF) gefördert. Während die Fahrradwacht Strecken testet, auf Befahrbarkeit prüft, kaputte Schilder repariert, Ansprechpartner für Touristen ist, sind die restlichen 50 Personen mit der Pflege der Radwege beschäftigt und zu Fuß vor Ort. "Sie übernehmen Mäharbeiten am Wegesrand, beschneiden Äste und Zweige, die in den Radweg hineinragen in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde. Außerdem überprüfen sie die Holzpalisaden und streichen diese", erläutert Annette Schermuck die Aufgaben der Teilnehmer.
Am Fährhaus in Aken sieht Klaus-Dieter Jungmann ein Ehepaar auf dem Fahrrad und gibt gleich ein paar Tipps. Für die Touristen da zu sein, ist wichtig, sagt Dieter Kühnold. "Wir bleiben zum Beispiel auch an Kreuzungen stehen und kommen mit Touristen ins Gespräch", erklärt Dieter Kühnold. Ausgestattet mit Weste, Fahrradtasche und Infomaterial sind sie für Fremde gleich zu erkennen. Sie zeigen die nächsten Einkaufsmöglichkeiten, Unterkünfte und Sehenswürdigkeiten.
"Touristen sind wichtig für das Gewerbe und für die einzelnen Orte"
"Es ist doch total wichtig, dass die Touristen kommen, die haben eine Bedeutung für das Gewerbe und die Gewerbesteuer hat wiederum Bedeutung für die Einwohner der einzelnen Orte", meint Dieter Kühnold. Zweimal im Monat sitzen die ¿Fahrradwächter\' an Listen und zählen im Zweischichtsystem die Radtouristen und die Ausflügler. "Die Radtouristen kann man am schweren Gepäck erkennen", erklärt Klaus-Dieter Jungmann. Ergebnis: Etwa zehn bis 15 Radler pro Tag kommen auf dem Europaradweg R1 in Köthen vorbei. Auf dem viel bekannteren Elberadweg sind es rund 60 pro Tag, können die Mitglieder der Fahrradwacht schon sagen. Diese Informationen gehen an das Wirtschaftsentwicklungs- und Tourismusamt des Landkreises, das die Daten auswertet und die Versorgung der Touristen untersucht. Sind zum Beispiel genug Betten vorhanden?
"Das Neueste auf unseren Radwegen sind die Koreaner"
"Eines Tages schaue ich so, und da sehe ich asiatische Gesichter. Ich denke, wo kommen die denn her?", erklärt Dieter Kühnold den neusten Trend, "das Neueste bei uns sind nämlich die Koreaner! Außerdem sehr viele Holländer und dann eben Menschen aus ganz Deutschland. Und viele ältere Menschen sind auch dabei... Oder der eine Tourist, der fragte, wo denn nun die Grenze bleibe, und den Harz schon lange hinter sich hatte." Auch Probleme, die Touristen ansprechen, gehen an das Amt. Sogar mit Tourismusverbänden wird Kontakt gehalten, sagt Annette Schermuck. Stolz erzählt Dieter Kühnold von der Eröffnung der Elberadsaion, als er eine Radtour mit 80 Teilnehmern angeführt hat.
Die Zeit der Fahrradwacht könnte von ihm aus ewig dauern, sagt Dieter Kühnold und lächelt über beide Ohren.