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Plastik Judensau als Stätte der Mahnung

Der Streit um die antisemitische Schmähplastik geht weiter. Die Zerbster Judensau soll nun im historischen Kontext eingebettet werden.

Von Daniela Apel 24.03.2020, 00:01

Zerbst l Im Mittelalter war die Abbildung der „Judensau“ weit verbreitet. Heute finden sich nur noch an etwa 30 Orten in Mitteleuropa solche Reliefs und zwar hauptsächlich an Kirchen – so auch in Zerbst. An einem Außenpfeiler von St. Nicolai hat es selbst den Bombenangriff auf die Stadt am 16. April 1945 unbeschadet überstanden. Die Sandsteinplastik stammt aus dem 15. Jahrhundert. Zu sehen sind ein Schwein und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken. Es handelt sich um eine Verhöhnung der Juden, für die das Schwein nicht koscher, also unrein, ist.

Eine ähnliche Darstellung findet sich ebenfalls an der Wittenberger Stadtkirche. Bereits 2016 setzte sich der englische Theologe Richard Harvey dafür ein, dass die Schmähskulptur an der einstigen Predigtkirche Martin Luthers entfernt wird. Anfang Februar entschied jetzt das Oberlandesgericht Naumburg, dass das Spottbild keine Beleidigung heute lebender Juden darstellt und nicht abgenommen werden muss. Es folgte damit dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom Mai 2019 und lehnte die Berufungsklage eines jüdischen Mannes aus Berlin ab.

Der Vorsitzende Richter wies zur Begründung darauf hin, dass die Skulptur nicht für sich allein stehe, sondern in ein Gedenkkonzept mit einer Bodenplatte und einer Informationsstele eingebunden ist. Inzwischen hat der Kläger Revision eingelegt, so dass sich nun der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit der antisemitischen Plastik befassen muss.

Vor dem Hintergrund rückte auch die Zerbster „Judensau“ wieder stärker ins Bewusstsein. Es ist das einzige Relief seiner Art, das im Bereich der Evangelischen Landeskirche Anhalts noch erhalten ist. Und momentan prangt es völlig kommentarlos an der Außenfassade der Nicolairuine. Das soll sich jetzt ändern.

„Es besteht Handlungsbedarf“, konstatiert Claus-Jürgen Dietrich. Der Vorsitzende des Förderkreises St. Nicolai gibt damit die einhellige Meinung von Landeskirche und Kirchengemeinde wider. Bei einem Treffen verständigten sie sich kürzlich darauf, wie mit dem Schmähbild umgegangen werden soll. „Es herrscht Konsens, dass etwas zu tun ist“, bestätigt Johannes Killyen, Pressesprecher der Landeskirche.

Wie Claus-Jürgen Dietrich schildert, soll ein Stätte der Erinnerung und Mahnung entstehen. So soll zum einen seitlich am Pfeiler eine Info-Tafel angebracht werden, die die „Judensau“ historisch einordnet. Darüber hinaus ist das Einlassen einer Bodenplatte direkt unterhalb der Plastik angedacht. „Angelehnt an die Stolpersteine“, verweist Claus-Jürgen Dietrich auf die in Gehwegen eingebetteten, aber leicht erhöhten Messingsteine des Kölner Bildhauers Gunter Demnig. 40 von ihnen erzählen an verschiedenen Stellen der Stadt von der Ermordung Zerbster Juden während der Hitler-Diktatur.

Auch die Bodenplatte soll etwas höher herausragen. „Aber nicht wie ein Grabstein aussehen“, sagt Johannes Killyen. „Das könnte ein Auftrag an einen Künstler werden“, erzählt Claus-Jürgen Dietrich. Wie Mario Gabler, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, ergänzt, wird überlegt, Studenten der Kunsthochschule Burg Giebichenstein anzusprechen. Vielleicht als Diplom-Arbeit, kann er sich vorstellen. Auf alle Fälle „wird uns das Projekt dieses Jahr beschäftigen“, sagt Claus-Jürgen Dietrich und blickt hinauf zu der provokativen und verunglimpfenden Darstellung der Juden an der Nicolairuine.

Man könne die Schmähskulptur kommentieren, aber nicht aus der Geschichte löschen. Das hatte Oberkirchenrat i.R. Dietrich Franke schon 2016 zu bedenken gegeben. Bei den Menschen des Mittelalters galten die Juden als Christusmörder. Sie mussten in besonderen Stadtbereichen leben und durften allein als Pferdehändler und Geldverleiher tätig sein und Trödel betreiben.

Übrigens ruht im Zerbster Museum ein Zierbalken aus der Fassade eines Hauses, das direkt am Markt stand. Neben weiteren allegorischen Motiven wie dem eitlen Pfau oder dem Affen, der sich einen Spiegel vorhält, wurde ebenfalls eine „Judensau“ in das Holz geschnitzt.