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Gestaltwandler Polenzkoer im Wolfspelz

Halb Mensch, halb Tier. Was klingt, wie ein Motiv aus dem Märchen, ist für zwei Männer aus Polenzko Realität.

Von Thomas Skiba 01.07.2018, 07:00

Polenzko l „Man fühlt es einfach“, erzählt Christian Bernich. Der junge Mann aus Polenzko im Fläming ist ganz und gar in ein Wolfskostüm gehüllt. Bernich ist ein Therianthrop – ein Gestaltwandler zwischen Tier und Mensch. Auch sein Freund Mike Dehne sieht sich in der Verwandlung zu einem Wolf: „Entweder man ist ein Gestaltwandler oder eben nicht.“

Dehne und sein Gefährte Bernich ziehen zwar spezielle Tierkostüme an, doch damit wollen sie einfach nur ihrer Verbundenheit mit ihrem „anderen Ich“ Ausdruck verleihen. Anzutreffen sind die beiden auf Mittelaltermärkten oder, wie vor kurzem, bei den Magdeburger Festungstagen. Hier tauchen nicht nur die zwei in eine Zeit, als die Verwandlung in Tierwesen noch allgemeines Weltbild war. „Es hat etwas mit Mythologie zu tun, mit Krafttieren und mit Spiritualität“, so Mike Dehne.

Aber auch das Verständnis für das jeweils ausgesuchte Tier und, er wird dabei etwas leiser, „mit dem Verständnis von sich selbst“. Sich nicht der bekannten Welt zugehörig fühlen – damit fing alles an, erzählt Dehne. Man ziehe sich zurück, guckt, was mit einem los ist und liest und prüft. „Ich fühlte mich einfach nicht wohl in diesem normalen Leben“, spricht er und irgendwann stieß er auf Gleichgesinnte: „Da bin ich quasi erwacht.“

So nennen Therianthropen die Entdeckung ihres „wahren“ Ichs.

Es muss nicht immer ein Wolf sein, meint Dehne, jedes Tier habe seine Aura, seine eigene Spiritualität. Um zu ergründen, welches Tier in einem stecke, ist es notwendig eine sogenannte Krafttierreise zu machen. „Das heißt, ich gucke nach innen, meditiere, stelle Fragen“, erzählt Christian Bernich. Irgendwann zeige sich dann der Tiergeist der in einem stecke, „mit dem man am besten harmoniere“.

Gerade naturnahe, sogenannte indigene Völker, kennen das Weltbild der Therianthropie, also der Gestaltwandlung eines Menschen in ein Tier. Auch Sagen und Mythen ranken sich um dieses Phänomen und vor allem bildliche Darstellungen sind uns heute bekannt.

Die Gestaltwandlung wurde häufig mit göttlicher Kraft in Verbindung gebracht. So hatten die ägyptischen Gottheiten die Gestaltwandlung als hohe Gabe. Auch bei den Mayas gab es Zwitterwesen und Gottheiten, die sich in Menschen und Tiere gleichermaßen wandeln konnten. Auch in den nordischen Sagen und in der griechischen Kultur waren diese Gaben keine Seltenheit.

Jetzt, da der Wolf im Fläming wieder heimisch wird, fühle er eine starke Verbindung eben mit diesem Tier, bekennt Bernich. Vor dem Christentum und im Geheimen noch bis in die Neuzeit, waren Naturreligionen und Schamanentum auch in Mitteldeutschland zu Hause. Magisch- mythisches Denken ist vermutlich sogar so alt wie die Menschheit selbst

Im Schamanismus hat jeder Mensch mindestens ein Helfertier, das mit der Seele kommunizieren kann. Die Botschaften der Geistwesen enthalten spirituelle Hinweise für individuelle Lebenssituationen. In einer technisierten, abstrakten Welt wie der unsrigen suchen viele Menschen Sinnhaftigkeit und Spiritualität außerhalb herkömmlicher Weltanschauungen oder Religionen, wollen wieder zurück zu den Wurzeln, zum Rhythmus der natürlichen Zyklen. Schamanische Krafttiere sind da Ratgeber, Beschützer und Wegbegleiter.

Das Krafttier Wolf ist ein machtvoller Tiergeist, der vorausschauendes Denken und die Souveränität in der Gruppe fördert.

Im Zuge der Aufklärung wurden Menschen, die glaubten, sich in ein Tier verwandeln zu können, zunehmend als psychisch krank eingeordnet. Es wurde sogar der Begriff klinische Lykanthropie geprägt.

Heute wird ein Mensch, der sich Therianthrop, als Gestaltwandler, bezeichnet, in der Medizin nicht als krank angesehen. Mit einer Einschränkung: solange diese Identifikation das normale Leben der Person und ihrer Umgebung nicht beeinträchtigt. So hat sich eine Subkultur von Therianthropen und Tierfreunden im weitesten Sinne, genannt Furries, die häufig über das Internet kommunizieren, entwickelt.

„Wir sind aber keine Furries“, lehnt Mike Dehne ab. Diese seien vermenschlichte Tiere, so wie Micky Maus oder der kleine Maulwurf. In den Wäldern des Hohen Fläming spüren sie sich selbst: „Hier fühlen wir die beseelte Natur und die Faszination, die von den Bäumen, dem Wasser und den Tieren ausgeht.“