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Betreuungszentrum Rotes Kreuz fällt harte Entscheidung

Seit 70 Jahren finden KJranke im Betreuungszentrum Bärenthoren eine neue Heimat. Nun schließt das Deutsche Rote Kreuz das Betreuungszentrum.

Von Daniela Apel 24.10.2019, 01:01

Bärenthoren l „Ich bin traurig“ Grit Geßner-Martinetz versucht, sich von ihren Gefühlen nicht übermannen zu lassen. Im Inneren ist sie emotional aufgewühlt, nach außen bemüht sie sich um Sachlichkeit. Erst seit Mai 2018 leitet sie das Betreuungszentrum „Marie von Kalitsch“ in Bärenthoren. Nun ist sie mit der Abwicklung der Einrichtung beschäftigt, in der Suchtkranke Betreuung, Zuwendung und Geborgenheit erfahren.

Durch die abgeschiedene Lage am Rande des Flämings können die Bewohner ein abstinentfreies Leben führen. Viele Reize gibt es hier nicht, denen sie widerstehen müssen. Stattdessen ist das Haus von einer weitläufigen Parkanlage umgeben, in der ein kleiner Tierpark existiert. Bei Ziegen, Schafen und Esel finden die Patienten nicht nur Zerstreuung, sondern übernehmen mit ihrer Versorgung auch verantwortungsvolle Aufgaben. Innerhalb der Therapie können sie zudem in der Hauswirtschaft und im Gewächshaus einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen – noch, muss man sagen.

Zum Jahresende soll das Betreuungszentrum geschlossen werden. In Bärenthoren hat diese Information für Bestürzung gesorgt. „Die Menschen, die dort leben und arbeiten, gehören seit Jahrzehnten zum Dorf. Nun soll alles zu Ende sein, für uns ist das nicht zu verstehen“, heißt es in dem Schreiben, mit dem sich der Ortschaftsrat in dieser Woche an die Einwohner gewandt hat.

Die geplante Schließung hat Karsten Pfannkuch der Volksstimme gegenüber bestätigt. Er ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Wittenberg, das die Einrichtung 2001 von der damaligen Gemeinde Polenzko übernommen hat. „Wir bedauern, dass es so gekommen ist“, sagt er. Schließlich sei die Einrichtung eine „Herzenssache“ gewesen.

Als Hauptgrund für die getroffene Entscheidung führt Pfannkuch die zu erfüllenden Brandschutzauflagen an, die der Landkreis Anhalt-Bitterfeld seit 2016 einfordert. Diese beinhalten unter anderem die Errichtung eines zweiten baulichen Fluchtweges an der denkmalgeschützten Villa. Wie Kreissprecherin Marina Jank erläutert, ist die Menschenrettung über tragbare Leitern der Feuerwehr, wie es das Einsatzszenario für den Brandfall vorsah, nicht mehr erlaubt.

Um den Weiterbetrieb des Betreuungszentrums zu sichern, ließ das DRK von einem externen Gutachterbüro ein Brandschutzkonzept erstellen. Dieses wurde im Rahmen der erforderlichen Baugenehmigung beim Landkreis eingereicht, dort geprüft und für in Ordnung befunden. „Im November 2018 wurde die Baugenehmigung erteilt“, informiert Marina Jank.

Die notwendigen Umbauarbeiten wären laut Karsten Pfannkuch so aufwendig gewesen, dass sie nicht im vollen Betrieb der Einrichtung hätten realisiert werden können. „Die Bewohner müssten ausziehen“, erzählt er von einer Containerlösung.

Ausschlaggebend für den im März 2019 gefällten Beschluss der DRK-Gesellschafterversammlung, das Objekt in Bärenthoren nicht weiter zu betreiben, waren am Ende die hohen Kosten. Eine Summe von 3,2 Millionen Euro steht im Raum, die neben der Absicherung des Brandschutzes ebenfalls sich daraus ergebende räumliche Umgestaltungs- und Sanierungsmaßnahme umfasst. „Das war nicht stemmbar“, gesteht er. Fast ein Jahr hätten sie verhandelt und gehofft, gemeinsam mit der Sozialagentur Sachsen-Anhalt eine Lösung zu finden, so Pfannkuch.

In der Sozialagentur sei das DRK Wittenberg erstmals Anfang April diesen Jahres wegen des Betreuungszentrums vorstellig geworden, schildert deren Direktor Maik Michael Strube auf Volksstimme-Nachfrage. Eine Vor-Ort-Besichtigung folgte. „Ziel war zu prüfen, welche Möglichkeiten es geben könnte, eine tatsächliche Schließung noch zu verhindern“, schildert Strube.

Mehrere Optionen wurden erwogen, aber letztlich verworfen, als sich herausstellte, dass eine Refinanzierung der Baumaßnahme über die Investitionskosten der Sozialagentur aufgrund der nicht gesicherten Finanzierung durch das DRK erfolglos sein würde, wie der Chef der Sozialagentur ausführt. Zugleich merkt er an, dass seine Behörde in dem Fall erst sehr spät eingebunden wurde.

Derzeit unterstützt die Sozialagentur das DRK darin, Unterbringungsmöglichkeiten für die 51 betroffenen Patienten zu finden – dabei handelt es sich um 35 Bewohner des Wohnheimes sowie 16 ambulant-betreute Suchtkranke, wie Karsten Pfannkuch sagt. Seitens des Augustinuswerkes Wittenberg werde ihnen eine Betreuung angeboten. Auch an einer Weiterbeschäftigung der 20 Mitarbeiter, denen nun zum 31. Dezember gekündigt wurde, sei der Träger interessiert. Auf diese Weise würden den Patienten ihre gewohnten Bezugspersonen erhalten bleiben.

Denn allen Beteiligten ist bewusst: „Hier ist viel Fingerspitzengefühl gefragt“, wie es Karsten Pfannkuch ausdrückt. „Menschlich ist das eine Tragödie, betriebswirtschaftlich kann ich es verstehen“, formuliert es Grit Geßner-Martinetz. „Ich hoffe persönlich, dass man die individuellen Lebenssituationen der Bewohner im Blick hat“, sagt der Zerbster Bürgermeiste Andreas Dittmann. Denn es handele sich hier um Menschen, die sich in einer besonderen Hilfeposition befinden. „Es ist gravierend, so jemanden aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen“, weiß der Rathauschef. Für manche Patienten ist Bärenthoren bereits seit 20, 30 Jahren ein Zuhause.

Dittmann selbst hat in der vergangenen Woche über Dritte vom drohenden Aus für das Betreuungszentrum erfahren. Seitens der Verwaltung wird jetzt geprüft, welchen Handlungsspielraum es für die Stadt gibt. Denn wie der Bürgermeister ausführt, enthält der damalige Kaufvertrag zwischen der Gemeinde Polenzko und dem DRK eine Rückfallklausel für den nun eintretenden Fall, dass das Haus nicht mehr als Pflegeeinrichtung genutzt wird. „Wir werden die Verantwortlichen des DRK an einen Tisch holen. Sie können nicht einfach über das Objekt verfügen“, so Dittmann. Sobald klar sei, „wie wir mit dem Ganzen umgehen, werden wir den Stadtrat und natürlich den Ortschaftsrat Polenzko beteiligen“. Dem Bürgermeister ist klar, dass es unendlich schwer werde, die Einrichtung wiederzuleben, wenn sie erstmal leer gezogen ist.

Konkrete Pläne für die Zukunft der Immobilie hat das DRK bislang nicht. „Wir werden uns Konzepte überlegen, wie wir die Einrichtung und das Gelände weiter nutzen können“, sagt Karsten Pfannkuch.