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Veteranen und Bürger gedenken in Walternienburg der sinnlosen Opfer des Zweiten Weltkrieges Soldatengräber rufen zu Frieden und Versöhnung auf

Von Daniela Apel 16.04.2012, 05:18

Vor 67 Jahren verwandelte sich die idyllische Elbaue von Walternienburg in einen blutigen Kampfplatz. Junge Soldaten gaben im April 1945 ihr Leben für ein Deutschland, das längst dem Untergang geweiht war. Ihrer und all der unzähligen anderen sinnlosen Kriegsopfer gedachten am Sonnabend Veteranen und Bürger.

Walternienburg l Melancholische Bläserklänge durchdringen die Stille des Walternienburger Friedhofs. Gefühlvoll spielen die Musiker aus Zerbst das Lied vom guten Kameraden. Professor Dr. Helmut Schaudig schreitet nach vorn. Behutsam legt er den mit roten Tulpen verzierten Kranz an dem gepflegten Reihengrab nieder.

47 Soldaten der deutschen Wehrmacht fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Wie der 85-Jährige kämpften sie im April 1945 am Brückenkopf Barby. "Sie waren in der Mehrzahl jung wie wir und hatten ihr ganzes Leben noch vor sich", blickt Fritz-Alexander Hornhardt aus Kirchwalsedeam Sonnabend zurück, als zum nunmehr 21. Mal in dem Elbdorf der vielen Kriegstoten gedacht wird.

Vor 67 Jahren verwandelte sich die idyllische Aue in einen Schauplatz blutiger Gefechte. Die traumatischen Erfahrungen lassen die Veteranen nicht los. Sie gehörten damals der nach ihrem Oberbefehlshaber, General der Panzertruppen Walther Wenck, benannten 12. Armee an, die als Hitlers letzte Hoffnung aufgestellt worden war. Eiligst wurden junge Burschen zu Regimentern zusammengewürfelt. Die meisten waren zwischen 17 und 19, manche sogar erst 16, als sie schlecht ausgerüstet und häufig ohne ausreichende Ausbildung den überlegenen US-Truppen Gegenwehr leisten sollten - ein völlig sinnloses Aufbäumen in einem längst verlorenen Krieg.

"Tief haben sich in unser Unterbewusstsein Bilder eingegraben, die wir nie vergessen können."

Fritz-Alexander Hornhardt (84)

Am 13. April waren die Amerikaner bis zur Elbe vorgerückt. Tags zuvor hatten die Deutschen die Barbyer Elbbrücke gesprengt. "Ich bin vermutlich der Letzte gewesen, der über die Brücke gelaufen ist", schildert Dr. Wolfgang Boden, wie es laut hinter ihm knallte. "In einem nächtlichen Transport brachte man uns aus Berlin her", entsinnt er sich, wie sie eingegraben auf den Flötzer Wiesen lagen. Plötzlich kam ein Winkzeichen und sie rannten los, retteten sich an das Westufer des Flusses. "Gott sei dank, wir haben die Russen hinter uns gelassen", schoss es ihm durch den Kopf. Groß war seinerzeit die Angst vor den Bolschewisten. Für den 19-jährigen Dessauer endete der Zweite Weltkrieg.

Er kam in Gefangenschaft genau wie Helmut Schaudig, der - gerade 17 - nur knapp seiner Erschießung entronnen ist. "Ich stand schon vor der Wand", erzählt er, wie ihn US-Soldaten versehentlich für einen SS-Mann hielten. "Ein amerikanischer Offizier hat mich gerettet. Er sah, dass ich ein Medaillon mit der Mutter Gottes trug." Andere seiner Kameraden hatten weniger Glück. Der 85-Jährige aus Bad Mergentheim berichtet, wie einer aus seiner Gruppe den Tod fand, als sie oberhalb von Flötz in einem Wassergraben ausharrten, keine 200 Meter weiter hatten die Amerikaner in einem Wäldchen Stellung bezogen. "Wir konnten nichts für ihn tun", denkt er an jenen entsetzlichen Moment zurück. "Es war scheußlich", fasst er mit ruhiger Stimme die "tiefen und eindringlichen Erlebnisse" zusammen, die ihn seit seinem Fronteinsatz prägen.

"Ganz tief haben sich in unser Unterbewusstsein Bilder eingegraben, die wir nie vergessen können", verdeutlicht Fritz-Alexander Hornhardt in seiner Gedenkrede, wie die schrecklichen Erinnerungen immer wieder auftauchen. "Sie quälen und beschäftigen uns, auch wenn wir uns dagegen zu wehren versuchen." Er beschreibt die entsetzlichen, sehr verlustreichen Kampfhandlungen, die hier in Walternienburg und in der Umgebung stattfanden. "Wir sind dankbar dafür, dass wir dem furchtbaren Inferno, wenn auch an Leib und Seele geschunden, so doch immerhin lebend entkommen sind und zu unseren Familien heimkehren durften."

Für jüngere Generationen sind die damaligen Ereignisse schwer nachvollziehbar. "Richtig reinversetzen kann ich mich nicht", gesteht Kristin Lehmann. "Ich kann es mir nicht vorstellen, in unserem Alter in den Kampf zu ziehen mit dem Wissen, dass man vielleicht nicht nach Hause zurückkehrt", erklärt Svenja Zeidler. 16 und 17 sind die beiden Gymnasiastinnen. Sie gehören zu den Zehntklässlerinnen des Zerbster Francisceums, die den feierlichen Gottesdienst mitgestalten, der musikalisch vom Kirchenchor Walternienburg/ Güterglück unter Leitung von Kantor Thorsten Fabrizi umrahmt wird.

Kein Platz in der kleinen Kapelle ist unbesetzt, als Pastorin Benita Arnold das Wort ergreift. Sie betont, wie wichtig das Gedenken an das grauenhafte Kriegsgeschehen ist - auch in Zukunft, wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gibt. Entsprechend erfreut registriert Fritz-Alexander Hornhardt, dass sich junge Menschen an der Gedenkfeier beteiligen, die ein Aufruf für Frieden, Freiheit und Versöhnung unter den Menschen und Völkern sein soll. "Das nimmt eine große Last von unseren Seelen", sagt der 84-Jährige. Es sei wichtig, die Geschehnisse nicht zu vergessen, bestätigt Karolin Schirmer. Die 19-jährige Flötzerin nimmt bereits wiederholt an der bewegenden Gedenkveranstaltung teil, für deren Organisation sich der Walternienburger Hubert Rose maßgeblich verantwortlich zeichnet.

"Ich kann es mir nicht vorstellen, in unserem Alter in den Kampf zu ziehen."

Svenja Zeidler (17)

Zum ersten Mal können indes offiziell Vertreter des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge begrüßt werden. Neben dem Bezirksgeschäftsführer Günter Lehmann aus Magdeburg ist der Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt, der Landtagsabgeordnete Dieter Steinecke (CDU), in das Elbdorf gereist. Am Reihengrab spricht er das Totengedenken und legt ebenfalls einen Kranz nieder. Außerdem verspricht er, den dort bestatteten Soldaten ihre Namen wiederzugeben und sich für die Aufstellung bislang fehlender Tafeln einzusetzen.

Im Saal der Gaststätte "Volkshauses" klingt der emotionsgeladene Nachmittag schließlich aus. Bei Kaffee und Kuchen sind die Kriegsveteranen wie bei jedem ihrer bisherigen Kameradentreffen rasch in anregende Gespräche vertieft.