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Viereinhalb Monate Ausgrabung erbrachten interessante Befunde zur historischen Gestalt Stadtarchäologie verabschiedet sich vom Marktplatz

Von Dr. Gösta Ditmar-Trauth 22.05.2010, 05:19

Weil die Stadt Zerbst ihren Marktplatz neu gestaltet, konnten zuvor Archäologen in vergangene Jahrhunderte zurückblicken. Die Grabungen waren einmalig und erbrachten nun gesicherte Erkenntnisse zum Alter, zur Entwicklung, zum Aussehen und zur Nutzung dieses Kernbereiches der Stadt.

Zerbst. Die vom Anhaltischen Förderverein getragenen Ausgrabungen auf dem Marktplatz standen unter der Fachaufsicht des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege und verliefen zeitgleich zu den Baustellenarbeiten. Die Grabungsschnitte erstreckten sich in Form mehrerer paralleler Streifen auf der Platzfläche. Heutzutage einen innerstädtischen Markt fast vollständig untersuchen zu können, ist eine seltene Chance – und dass sich zudem auch strukturell aussagekräftige Befunde ergaben, ist ziemliches Glück.

Während Erkenntnisse über diverse Aufhöhungs- und Pflastermaßnahmen aus den verschiedenen Jahrhunderten zu erwarten waren, überraschten Befunde, die eine planmäßige Gestaltung bzw. Gliederung der Marktfläche erschließen lassen (Zeichnung 1). Die eigentlich Zeit füllende Beschäftigung galt aber zahllosen Schicht- und Pflasterresten sowie Abfallgruben, mit denen der Marktplatz immer wieder übersät war. Die ersten Siedler auf der Platzfläche hinterließen dann auch nur solche Abfallgruben (Zeichnung 1, Bereich um Nr. 7), welche zu einer Dorfsiedlung gehörten, die sich jedoch westlich des heutigen Marktes erstreckte. Die nächsten Befunde datieren sogleich über 2000 Jahre später an das Ende des Mittelalters (14./15. Jh.): Womöglich sind erst in dieser Zeit die Nutheniederung und nördlich anschließende Freifläche (Markt) zwischen alter Burgsiedlung (um die Breite) und Bürgerstadt (um die Nicolaikirche) aufgefüllt, nivelliert und zu einer Art "Verbindungszone" gemacht worden. Oft entstanden im Mittelalter neue Marktplätze als Verbindungselement zwischen Altstadt und Neustadt.

Bis dahin bestand nahe des Südendes des Marktes eine Geländekante zur Nutheniederung (ungefährer Verlauf: Zeichnung 1, Nr. 9). Die Niederung ist hier mit Ruten- und Knüppeldämmen befestigt gewesen, während sich eine ältere, Nord-Süd verlaufende Schotterstraße auf der östlichen Randlinie des Marktes hohlwegartig in die Geländekante und Niederung eingegraben hat (Zeichnung 1, Nr. 10).

Danach wurden die ersten großen Maßnahmen durchgeführt, die mit der Funktion der Fläche als Marktplatz mit säumenden Häuserzeilen zusammenhängen: Es wurden ausgleichende Erdschichten aufgetragen, um eine einigermaßen ebene Fläche zu erhalten. Die Oberfläche wurde anschließend recht lose mit Schotter aus Bruchsteinen, Ziegelbruch und auch mit Knochen-, Holz- und Keramikabfällen befestigt. In dieses Pflaster haben sich über die Jahrzehnte Fahrspurrinnen eingegraben – besonders entlang der Platzränder im Westen und Osten sowie in einem Querungsbereich auf Höhe der Brüderstraße (Zeichnung 1, Nr. 4).

Zumindest die südliche Hälfte der Marktfläche war in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg deutlicher gegliedert (Zeichnung 1, Bereich Nr. 1-2-3): zwei Feldsteinreihen bildeten Borde, die den Straßenbereich am Rande von der Binnenfläche abtrennten. Ein symbolischer Zaun gliederte die Fläche ungefähr auf der Längsachse, während gewisse "gefelderte" Bodenverfärbungen im archäologischen Befund auf eine Art Parzellierung für mehr oder weniger feste Marktstände schließen lassen (Zeichnung 1, Nr. 2). Zur Querung auf Höhe der Brüderstraße hin verrieten unregelmäßig angeordnete Pfostenspuren, dass hier zeitweise auch größere Konstruktionen (etwa größere Marktstände in der Art kleiner "Kaufhäuser") gestanden haben können (Zeichnung 1, Nr. 3). In diesem Zusammenhang dürften auch die von der Archäologie vorgefundenen Rutenmatten ausgelegt worden sein, die einen fußgängergerechten Untergrund für die intensive Begehung des Bereichs geschaffen haben. Solche organischen Funde erhalten sich immer sehr gut im stark humosen und feuchten Boden, der hier als Aufhöhung aufgebracht worden war.

Zentrale Marktwaage?

An der Westseite des Platzes fanden sich am Feldsteinbord auch noch zwei sehr große Pfostenreste (Zeichnung 1, Nr. 8), die auf eine riesige Konstruktion schließen lassen: eine zeitweise stehende Überdachung in der Art einer offenen Markthalle oder eine repräsentativ überdachte Marktwaage? Leider gab es hierzu keine weiteren Aufschlüsse im Boden.

Auf der Nordhälfte des Marktes fanden sich keine Feldsteinborde oder ähnliche Gliederungselemente, was auf eine flexible Flächennutzung schließen lässt. Gleichwohl führten auch hier an den Seitenrändern die Spurrinnen der vorbeifahrenden Fuhrwerke entlang – im Osten zur Schleibank, im Westen zur Bäckerstraße, während die Binnenfläche frei davon blieb.

Interessant war hier das gehäufte Auftreten von Pfosten- oder Pfahlspuren westlich und südlich um das Rolandstandbild herum (Zeichnung 1, Nr. 5). Es wird sich um Standspuren von "Gerichtspfählen" handeln, die hier unter den Blicken des Zerbster Roland und der Butterjungfer den städtischen Gerichtsplatz widerspiegeln. Missetäter, die gegen die Markt- oder Stadtordnung verstoßen haben, konnten hier öffentlich "bloßgestellt" werden.

Ganz am Ostrand fand sich ein Pflasterkarree (Zeichnung 1, Nr. 6), das auf den Eingang zu einem gehobenen Bürgerhaus schließen lässt. Im Vergleich zur alt überkommenen Bauflucht, die auch heute noch besteht, erscheint das Pflaster deutlich in die Fläche vorgeschoben. Die archäologische Untersuchung des Gehwegbereiches ergab jedoch keine Bestätigung für eine einstmals weiter westlich verlaufende Baulinie – im Gegenteil: Es fanden sich auch hier Gruben und Auffüllungsschichten, die für eine offene Flächennutzung sprechen.

Das 17. Jahrhundert und die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges bedeuteten auch für den Zerbster Marktplatz eine Umbruchszeit. Die auf Zeichnung 1 erkennbaren Strukturen im Süden sind wohl durch eine Aufschüttung überdeckt worden, die durch eine mehr oder weniger dichte Pflasterung aus größeren Kieseln flächig befestigt wurde.

Diese Neugestaltung ist in der Folge für die Anlage eines Wasserleitungsnetzes aus Holzrohren genutzt worden – eine typische Initiative aus der Barockzeit, die noch im 19. Jh. erneuert und instand gehalten worden ist. Die Ausgrabungen erbrachten sowohl substanziell erhaltene Rohrabschnitte (in der Presse wurde bereits berichtet), als auch verfüllte Leitungsgräben, die die alten Verläufe anzeigen (Zeichnung 2). Ein zusammenhängendes Rohrnetz konnte aber nicht mehr erkannt werden.

Gängige Materialien

Die Rohre bestanden aus Kiefernstämmen, die der Länge nach durchbohrt worden sind. Die Verbindungen der Rohre bestanden aus eisernen Innenmuffen, es wurde jedoch auch eine Ringschelle gefunden, die außen aufgezogen war. Die drei parallelen Leitungsverläufe auf der Nordfläche lassen hier auf eine wiederholte Erneuerung bzw. Neuverlegung der Rohre im Laufe der Nutzungszeit schließen. Nach Aufgabe dieses Systems wurden Rohre teils geborgen, teils auch einfach im Boden belassen – davon konnten nun die Archäologen profitieren. Ein gut erhaltenes Leitungssegment ist in das Museum der Stadt Zerbst verbracht worden.

Ein Kontrollschnitt an dem vom Baubetrieb freigelegten Rathausfundament erbrachte leider keine Erkenntnisse zur älteren Baugeschichte bzw. einem Vorgängergebäude aus dem Mittelalter. Hierzu waren die Bodeneingriffe und Veränderungen aus der Gründerzeit (19. Jh.) und der DDR-Zeit zu groß. Es konnte nur bestätigt werden, daß es sich beim altbekannten, marktseitigen Fassadenvorsprung um einen nachträglichen Anbau handelte.

Bei einer Sondierung auf der Schleibank, rund 20 Meter südlich vor dem Choransatz der Nicolaikirche, konnten Grundmauern von unterkellerten Häusern freigelegt werden, die mit der Rückseite zur Kirche standen. Auf dem Beckmannschen Plan von 1710 ist hier noch eine Häuserzeile eingezeichnet, die auf den ältesten Fotografien wieder verschwunden ist. Aus einem den Häusern zugehörigen Abfallschacht kamen zahlreiche Haushaltsabfälle zum Vorschein. Die Keramik und besonders die Fragmente großer mehreckiger oder runder Trinkgläser (ähnlich Weizenbiergläsern) datieren jedoch noch in die Renaissance und damit die Zerstörung der Häuser im Dreißigjährigen Krieg. Bei den Beckmannschen Häusern handelt es sich demnach um Neubauten, die später wieder beseitigt wurden, um hier einer Begrünung Platz zu machen, die auf den ältesten Fotografien dieses Bereichs zu sehen ist.