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Missbrauch Hohe Strafe für widerwärtige Taten

Sieben Jahre muss ein Mann aus Westergeln ins Gefängnis. Er hat zwei fünfjährige Mädchen wiederholt missbraucht.

Von Franziska Richter 09.03.2019, 00:01

Westeregeln/Magdeburg l „Sieben Jahre Freiheitsstrafe“, verkündet Richterin Anne Seydell. Wie schon beim ersten Prozessteil sind am Mittwoch im Magdeburger Landgericht alle 40 Plätze besetzt. Es sind vor allem Eltern aus der Kita, wo der Missbrauch passiert war, und Interessierte aus Westeregeln.

Aus moralischer Sicht kann keine Strafe je genug sein. Für Experten sind diese sieben Jahre Gefängnis aber besonders streng. Denn vergleichbare Fälle von Kindesmissbrauch wurden in der Vergangenheit mit zwei, drei, vielleicht fünf Jahren bestraft.

Die Eltern seien sehr zufrieden mit dem Urteil. Das sagt ihr Rechtsanwalt, der letztendlich die beiden Mädchen vor Gericht als Nebenkläger vertritt. Dr. Thomas Klaus sagt: „Das Urteil liegt knapp unter unseren Erwartungen. Es ist sehr streng und gerecht.“ Auch die Begründung, warum John E. kein Berufsverbot bekommt, sei nachvollziehbar.

Die Stimmung unter den Zuhörern ist am Mittwoch im Gerichtssaal wesentlich entspannter als am ersten Prozesstag – der schwere Weg ist bald geschafft. Emotional wird es, als die Mütter von den Folgeerscheinung des Missbrauchs bei ihren Töchtern berichten, und dem Plädoyer des Staatsanwalts, der die Bedeutung der Taten noch einmal energisch vor Augen führt.

Die Öffentlichkeit hat ihren Anteil bei dem vergleichbar „hohen“ Strafmaß. Die Kammer bleibt mit ihrem Strafmaß von sieben Jahren nur ein Jahr unter der Empfehlung der Staatsanwaltschaft, der auf acht Jahre Gefängnis plädiert.

Dass der Fall mit den intimen Details überhaupt und komplett öffentlich besprochen wird, ist eine Seltenheit. „Hier liegt großes öffentliches Interesse vor“, stellt Dr. Thomas Klaus, Rechtsanwalt der Eltern, fest. Das führt er auf den kleinen Ort Westeregeln zurück, wo man sich untereinander noch kennt und keine Anonymität der Großstadt herrscht.

John E. deutet dies in seinem „letzten Wort“ an, er habe seinen Eltern mit seinen Taten schwer geschadet. „Es gab alle möglichen Gerüchte im Ort“, erklärte auch eine Zuhörerin vor dem Urteil. „Sie hätten die Wohnung der Oma beschmiert, die Eltern attackiert. Die können ja nun gar nichts dafür.“ Das Auto von John E. sei beschädigt worden.

Ein besonderes Lob der Richterin geht am Ende des Prozesses an die Eltern, die sich der Öffentlichkeit stellten: „Meinen großen Respekt möchte ich Ihnen zollen, dass Sie diesen Prozess so ruhig verfolgt haben, damit ein faires Verfahren stattfinden kann.“

Verurteilt wird John E. für sechs von sieben Missbrauchsfällen. Für einen Fall gibt es keine Beweise. Der Angeklagte legt zu dem Fall auch kein Geständnis ab, sondern sagt, es sei „beim Versuch“ geblieben. Nur einer der Fälle wird nicht als schwerer Missbrauch umschrieben. Die Videos der Taten, die John E. fast immer aufnahm, und deren abstoßende Titel sind für den Staatsanwalt das i-Tüpfelchen der Bosheit.

Obwohl man in der Rechtsprechung nur von „Missbrauch“ (Anfassen, Küssen und weiteres, Strafmaß: 0,5 bis 10 Jahre Haft) oder „schwerem Missbrauch“ (Eindringen, 2 bis 15 Jahre) spricht, fällt vor Gericht das Wort „sehr schwerer Missbrauch“. Juristisch gibt es diesen Begriff gar nicht, zeigt aber den Versuch der Strafkammer, die Extreme der Taten zu umschreiben. Für Richterin Anne Seydell kommt noch das geringe Alter der Kinder erschwerend hinzu.

„In meiner 30-jährigen Zeit als Staatsanwalt habe ich so etwas selten gesehen“, sagt Frank Baumgarten in seinem Plädoyer. Die Taten „als abstoßend und widerwärtig zu beschreiben, reicht nicht aus.“

Baumgarten bleibt bei seiner Interpretation des Geständnisses: John E. sei zwar sozial engagiert, bisher straffrei und trete eloquent auf. „Aber besonders emotional wird er, wenn es um ihn geht.“ Der Angeklagte hatte im ersten Prozessteil fast alles unter Tränen gestanden. Dabei weinte er aber am meisten, als er darüber sprach, welche Folgen die Taten für ihn selbst haben könnten, würden sie entdeckt. Für Baumgarten steht fest, dass John E. „hinter der Fassade sehr egoistisch ist und seine pädophilen Vergehen mit planvoller und krimineller Energie ausgeführt hat“.

Da John E. den Kindern in Vorbereitung seiner Taten Sexvideos zeigte, könne man von einer Planung sprechen, ist sich das Gericht einig. Richterin Seydell betont, dass manchmal nur eine halbe Stunde zwischen den Taten lag.

Noch am Freitagabend nach der Festnahme wurden beide Opfer von einer Gerichtsmedizinerin auf dem Polizeirevier Staßfurt untersucht. Die Ärztin hat den körperlichen Zustand der Mädchen protokolliert und fotografiert. Das Protokoll für eines der Kinder liest die Richterin vor. Die Schmerzen und Rötungen bestätigen die Aussagen des Mädchens.

Die Folgen des Missbrauchs, die schon heute absehbar sind: Eines der Mädchen litt nach den Taten unter Schlaflosigkeit, wachte nachts schweißgebadet auf. Sie wollte nicht mehr in die Kita gehen, verhielt sich ungewöhnlich und fragte mehrfach, wo der Täter sei und ob er in die Kita zurückkomme. Ihr Verhältnis zu den männlichen Erwachsenen in der Familie wurde gestört, erklärt die Mutter. Bis auf den Vater verhielt sie sich sehr distanziert zu den Männern der Familie, wollte nicht allein mit ihnen sein. „Die Alpträume haben nachgelassen“, berichtet die Mutter vor Gericht, ein Dreivierteljahr später. „Sie ist immer noch lebenslustig und wir hoffen, das bleibt auch so.“ Das Kind ist nicht in psychologischer Betreuung.

Das andere Mädchen, berichtet die Mutter, nässe seit dem Missbrauch wieder ein und das sogar bis vor kurzen, also insgesamt über ein Dreivierteljahr. Weil das teilweise mehrmals am Tag geschieht, sei das Kind in psychologischer Betreuung.

Dass die Taten Folgen für die Kinder habe, sei bei John E. bis heute „noch nicht angekommen“, so der Rechtsanwalt der Eltern. Das Nachdenken über die Konsequenten beziehe er bisher nur auf sich selbst.

John E. habe seine „Aufsichtsfunktion in eklatanter Weise missbraucht“, so Staatsanwalt Baumgarten. Für Kinder sei das, was der Erzieher sagt, Gesetz. Sein Wort folge gleich auf das der Eltern. Das Berufsbild des männlichen Erziehers sei durch den Fall schwer geschädigt. Durch die Videos der Taten, auf deren Sichtung im Prozess verzichtet wurde, ist zweifelsfrei belegt, dass die Kinder während der Taten mit Gewalt festgehalten wurden.

Es sei eine Urangst von Eltern, ihre Kinder in Gefahr zu wissen, erklärt Staatsanwalt Baumgarten die gesellschaftlich schwere Bedeutung des Missbrauchs, der sich hier mit dem sensiblen Bereich der Kinderbetreuung kreuzt. Das Vertrauen, das Eltern aufbringen, wenn sie ihre Kinder in die Hände anderer geben, sei „in verachtenswerter Weise“ erschüttert worden.

Die Angst, dass das eigene Kind auch betroffen sein könnte, zog in Westeregeln weite Kreis. „Große Verunsicherung ist entstanden“, so Rechtsanwalt Klaus. John E. hatte als Springer verschiedene Kita- und Hortgruppen betreut.

„Wir sind damals auch mit unserem Jungen zur Polizei nach Magdeburg“, erzählt ein Zuhörer vor der Verhandlung. Seiner Schätzung nach seien 12 bis 15 weitere Elternpaare aus der Kita mit ihren Kindern zur Polizei gegangen. „Kinder geben manchmal nichts preis, man hat als Elternteil ja doch den Verdacht.“ Letztendlich hatten keine weiteren Eltern Anzeige erstattet.

In der deutschen Rechtsprechung werden die Einzeltaten nicht summiert, sondern alle Faktoren abgewogen. Zugunsten von John E. werden in diesem Fall gewertet: Er ist nicht vorbestraft. Er hat ein Geständnis abgelegt. Das Geständnis erübrigt die Aussage der Kinder vor Gericht. John E. habe vor dem Prozess erklärt, bewusst durch das „Fegefeuer“ einer öffentlichen Verhandlung gehen zu wollen. Auch das rechnet ihm die Kammer positiv an.

Das „letzte Wort“ vor dem Urteil hat der Angeklagte: Er entschuldigt sich bei den Eltern, Kindern und Familien. Die Entschuldigung „bei allen, die durch meine Taten negative Folgen erleiden mussten“ geht in Richtung Zuhörer. Die Entschuldigung bei „allen, die Vertrauen in mich gesetzt haben“ geht an den Ort Westeregeln, Vereine, Feuerwehr und Kita.

John E. verspricht, eine Therapie zu machen, nie wieder im sozialen Bereich zu arbeiten, ob mit oder ohne Berufsverbot. „Ich erwarte meine gerechte Strafe“, schließt er ab.

Richterin Seydell mahnt eindringlich eine Therapie an. Die Strafkammer verhängt kein Berufsverbot gegen John E., weil Erzieher sowieso ein Führungszeugnis vorlegen müssen und die Wiederholungsgefahr nachgewiesen werden müsste. Die „Ächtung in der Öffentlichkeit“ werde dazu führen, dass John E. sowieso nie wieder eine Anstellung als Erzieher finden werde.