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Reissues Wieder im Angebot: Tears For Fears, Petty, Wilco, Casal

Der Herbst ist eine gute Zeit für "Reissues", also Neuausgaben und Wiederveröffentlichungen wichtiger Alben - schließlich steht Weihnachten vor der Tür. Vier Editionen ragen heraus: Klassiker von Tears For Fears, Tom Petty, Wilco und Neal Casal.

Von Werner Herpell, dpa 30.10.2020, 14:00

Berlin (dpa) - Für Fans eine wahre Fundgrube - oder zumindest eine schöne Erinnerung im schicken neuen Gewand: Wiederveröffentlichungen (Reissues) klassischer Rock- und Popalben von Tears For Fears, Tom Petty, Wilco und Neal Casal sind allesamt in diesem trüben Corona-Herbst erschienen.

TEARS FOR FEARS - The Seeds Of Love (Universal)

Nach den Alben "The Hurting" (1983) und "Songs From The Big Chair" (1985) schien die Erfolgsgeschichte von Roland Orzabal und Curt Smith alias Tears For Fears Ende der 1980er auserzählt. Umso beeindruckender fiel ihr Comeback nach vier Jahren Pause aus - eine lange Wartezeit, deren Großteil die Briten mit Puzzle-Arbeit an einem gewaltigen Artrock/Soul-Meisterwerk verbracht hatten. Denn nicht weniger sollte "The Seeds Of Love" werden: die Krone der Schöpfung für dieses hochtalentierte Pop-Duo. Und so kam es dann auch.

Die gerade mal acht, teilweise aber sehr langen Lieder sind von seltener Raffinesse und Liebe zum Detail. Die mit zahlreichen Studiocracks bewerkstelligten Arrangements etwa von "Woman In Chains", dem virtuosen Beatles-Pastiche "Sowing The Seeds Of Love" oder "Year Of The Knife" sind atemberaubend. Bei einer Wahl der am besten produzierten und klingenden Platten aller Zeiten dürfte "TSOL" weit vorne liegen.

Aber was waren das auch für Songmonolithen, die Orzabal/Smith hier immer wieder von der Gospelstimme der jungen Oleta Adams veredeln ließen. "Badman's Song" startet mit einem furiosen Jazz-Pianosolo, ehe ein hartes Gitarrenriff reingrätscht, ein stoischer Bass loswummert und die Sänger in Cinemascope schwelgen. Oder das federnde "Advice For The Young At Heart" - einer der besten Popsongs jenes Jahres und drei Dekaden später unfassbar gut gealtert. Oder die berührende, an Peter Gabriel erinnernde Ballade "Standing On The Corner Of The Third World".

"The Seeds Of Love" war trotz seiner ehrgeizig-überbordenden Ambitionen ein Erfolg bei den Kritikern (einige bemängelten Produktions-Irrsinn und Soundbombast), das Album wurde zudem millionenfach verkauft. Für viele ist es eines der Großwerke der Eighties. Tears For Fears konnten die Magie ihrer ersten Platten und insbesondere dieser dritten dann nie wieder erzeugen.

Wer das schon etwas in die Jahre gekommene "TSOL"-Original von 1989 im Schrank hat, kann jetzt nachlegen: Es gibt eine prächtige Boxset-Edition (4 CDs, üppiges Booklet und Blue-Ray mit Steven-Wilson-Remaster), die auch Single-B-Seiten, Instrumentals, Radio-Edits, Demos und frühe Mixes enthält; zudem eine "Deluxe 2-CD", eine LP-Version (Remaster) und ein Picture-Disc-Vinyl.

TOM PETTY - "Wildflowers & All The Rest" (Warner)

70 Jahre alt wäre dieser wunderbare Singer-Songwriter am 20. Oktober geworden, der 2017 zum Entsetzen von Millionen Fans starb. Kurz vor dem Jahrestag ist nun eine umfassende Würdigung von Tom Pettys wohl bestem Album erschienen: Das von Rick Rubin warm und erdig produzierte "Wildflowers" von 1994 erstrahlt in erweiterter Fassung in noch größerem Glanz, es ist in dieser Fülle erst recht eine der besten Leistungen der 90er-Jahre-Rockmusik.

"Wildflowers" sollte schon damals ein Doppelalbum mit 25 Tracks werden, weil Petty - angetrieben von einer tiefgreifenden persönlichen Krise - im kreativen Überfluss neue Lieder geschrieben hatte. "Mein Privatleben stürzte ein, und das warf mich für eine Weile aus der Bahn. Doch während der Aufnahmen war ich voll und ganz bei mir", sagte der Musiker später. Fast zwei Stunden Musik standen nach den Rubin-Sessions bereit - doch das Label trat auf die Bremse, und es blieb bei einer CD mit gut einer Stunde Spieldauer.

Auf einer 4-CD-Deluxe-Edition ist nun auch die zweite Hälfte des Albums veröffentlicht, als 10-Song-Sammlung "All The Rest" (allesamt erstklassig) sowie mit weiteren unveröffentlichten Tracks. Die nun endlich greifbaren Lieder sind Edelstoff für Fans eines Künstlers, der hier nach den etwas zu glatten 80er-Erfolgsalben auf einen reduzierteren Sound Wert legte. Die Edition wurde kuratiert von Pettys Töchtern Adria und Annakim und Ehefrau Dana, für die es "viele Stunden purer musikalischer Freude" waren, sowie Mike Campbell und Benmont Tench von der langjährigen Begleitband The Heartbreakers.

Abgerundet wird das Paket mit 14 Live-Versionen von "Wildflowers"-Liedern, mitgeschnitten zwischen 1995 und 2017, sowie den "Home Recordings" für eine Platte, die in den USA nur neun Monate nach der Veröffentlichung bereits Dreifach-Platin erreicht hatte. Eine "Super Deluxe Edition" besteht gar aus 5 CDs/9 LPs mit 70 Tracks, vielen unveröffentlichten Songs und Versionen - plus Hardcover-Buch sowie allerlei Gimmicks für Super-Fans.

WILCO - "Summerteeth" (Rhino/Warner)

Es war das dritte Album der im Alternative-Country gestarteten Truppe aus Chicago - im Rückblick droht "Summerteeth" (1999) zwischen den Wilco-Meisterstücken "Being There" (1996) und "Yankee Hotel Foxtrot" (2002) etwas zu verblassen. Zu Unrecht, denn diese Platte markierte eine mutige Zäsur - und einen spannenden Ausblick.

Die Band um Mastermind Jeff Tweedy und Multiinstrumentalist Jay Bennett setzte sich hier klar von schunkeligen Countryfolk-Anfängen des Debüts "A.M." (1995) ab. Auch die teilweise ruppigen, experimentellen Classic-Rock-Exkursionen des unmittelbaren Vorgängers ließ man hinter sich und vollzog den Aufbruch zu einem magischen Pop-Sound, der nicht zuletzt an Beatles und Big Star erinnerte.

Das im Indie-Zirkel seinerzeit durchaus erfolgreiche Album enthält einige Bandklassiker, die Wilco bis heute (in einer auf vier von sechs Positionen veränderten Besetzung) live spielen: "She's A Jar", "A Shot In The Arm", "Via Chicago" beispielsweise. Tweedys eigener Blick auf "Summerteeth" ist also positiv. Der Songwriter hatte vorher viel gelesen und damit seinen Horizont erweitert - das zahlte sich in den Texten aus. "Ich wollte definitiv beim Schreiben besser werden, und dies geschah simultan zum Versuch, bessere Sachen zu lesen."

Mit seinen luxuriösen Arrangements und melancholischen Balladen war "Summerteeth" eine der gefeierten Rockplatten des Jahres 1999. Nun kommt das Werk - wie vorher schon "A.M." und "Being There" - in tollen Neuauflagen auf den Markt: als 4-CD-Version mit Live-Aufnahmen und einem Tonträger voller unveröffentlichter Studio-Outtakes, Alternativ-Fassungen und Demos; zudem als 5er-Vinyl-Edition. Das Wiederhören lohnt sich - hier wird der Übergang einer großen Band vom etwas unbedarfteren Country-Sound der mittleren 90er zum genreübergreifenden Gitarrenrock der Nuller-Jahre nachvollziehbar.

NEAL CASAL - "Fade Away Diamond Time" (Not Fade Away Recording Co.)

Zum Abschluss des Reissue-Überblicks ein Kult-Album - mit gewisser Verbindung zu Tom Petty und Wilco: Das Debüt des Gitarristen, Sängers und Songwriters Neal Casal (1968-2019) wurde erstmals 1995 veröffentlicht - und für wohl alle, die es hörten (es waren leider viel zu wenige) eine Lieblingsplatte jener Dekade.

Produziert von Jim Scott (Wilco, Petty, Johnny Cash) und aufgenommen mit einer fantastischen Studioband, spiegelt "Fade Away..." den California-Folkrock der Sixties und Seventies in seiner schönsten Form. Von The Band und Little Feat über Neil Young ("Maybe California", "Free To Go") bis zu Jackson Browne (das herrlich walzernde "Sunday River") reicht das stilistische Spektrum dieser zwölf Lieder (darunter mit "Detroit Or Buffalo" eine Coverversion). Zum 25. Jahrestag werden sie in einer Neuauflage endlich wieder leichter zugänglich gemacht - auf CD und Vinyl.

Casal brachte auch danach noch einige feine Soloalben heraus, so gut wie "Fade Away Diamond Time" wurde es allerdings nicht mehr. Vor allem war der sympathische, bescheidene Virtuose dann ein gesuchter Sidekick, etwa für Beachwood Sparks, Hard Working Americans, Lucinda Williams, bei Ryan Adams & The Cardinals und Chris Robinson Brotherhood. Dieser Amerikaner war einer der wichtigen Musiker in der sogenannten zweiten Reihe - doch eigentlich selbst ein Großer.

© dpa-infocom, dpa:201027-99-102425/4

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