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Der Magdeburger Kinderarzt Dr. Gerhard Jorch steht an der Spitze der Aktion "Mehr gesunde Babys" Jeder neue Mensch, der auf die Welt kommt, ist ein willkommenes Geschenk

31.12.2011, 04:21

Der Direktor der Magdeburger Universitätskinderklinik, Professor Gerhard Jorch, hat selbst neun Kinder. Er betrachtet den "neuen Menschen", der auf die Welt kommt, als ein Geschenk. "Darum sollte unsere Gesellschaft jedes Neugeborene noch ausdrücklicher willkommen heißen. Und das müsste schon mit der höheren Wertschätzung einer schwangeren Frau beginnen", ist seine Meinung. Mit ihm sprach Kathrain Graubaum.

Volksstimme: Jüngst haben Sie sich an die Spitze der bundesweiten Aktion "Mehr gesunde Babys" gestellt. Welches Ziel verfolgen Sie?

Dr. Gerhard Jorch: Anschaulich ausgedrückt: Wir wollen jeden Tag zwei Kinderleben retten. Im Jahr 2010 sind bundesweit 1541 Säuglinge in ihren ersten 28 Lebenstagen gestorben. Aus medizinischer Sicht sind die hauptsächlichen Ursachen dafür bekannt. Wir Ärzte und unsere nichtärztlichen Kolleginnen und Kollegen wollen diese Gründe publik machen und Mittel aufzeigen, um die Säuglingssterblichkeit weiter zu senken und die Gesundheit unserer Kinder zu sichern.

Volksstimme: Worin bestehen heutzutage die Gründe für den frühen Tod von Neugeborenen und Säuglingen?

Dr. Jorch: Angeborene Krankheiten und Frühgeburten sind die Hauptrisiken. Aber auch der plötzliche Kindstod ist immer noch eine Ursache. Obwohl die Zahl der Fälle bundesweit zurückgegangen ist. 1990 waren es noch 1400, heute sind es 200 Fälle im Jahr, davon 2,5 Prozent in Sachsen-Anhalt.

Volksstimme: Sie sind seit Beginn der 1990er Jahre Kopf der Aufklärungskampagne gegen den plötzlichen Kindstod. Überhaupt konzentrieren Sie sich in Ihren Forschungen besonders darauf, die Sterblichkeit von Säuglingen zu senken.

Dr. Jorch: Das hat seinen Grund. Schon als 30-Jähriger trug ich an der Universitätskinderklinik in Münster die Verantwortung für die Intensivstation. Ich habe in meinem bisher 35-jährigen Berufsleben überwiegend dort gearbeitet, wo sich schwere Krankheits- und eben auch Todesfälle unter anderen von Säuglingen ereignen. Da bekommt man seine ganz eigene Sicht auf die Dinge des Lebens - und auf den Tod, übrigens auch auf den eigenen. Der verliert an Bedrohlichkeit, wenn man weiß, dass man durch seine Kinder körperlich und geistig weiter lebt.

Volksstimme: Was waren - und sind es auch heute noch - die Ursachen für den plötzlichen Kindstod?

Dr. Jorch: Rauchen in Gegenwart des Säuglings kann die Sauerstoffzufuhr beeinträchtigen. Und unter einem Federkissen ist die Gefahr des Erstickens oder Erhitzens wesentlich höher als in einem Schlafsack. Eine "gefährliche Mode", den Säugling in Bauchlage zu betten, ist weitestgehend gebannt. Die Bauchlage war nach dem Vorbild in den USA hier in den 1970er Jahren eingeführt worden, weil sie das Krabbeln und Laufen lernen der Kinder befördert. Als sich aber die Todesfälle häuften, starteten wir unsere Kampagne. Da haben uns die Medien sehr geholfen.

Volksstimme: Derzeit in Mode ist das "Pucken". Was halten Sie vom strammen Wickeln des Säuglings. Es soll beruhigend wirken, Geborgenheit vermitteln.

Dr. Jorch: Das kann ja nur eine Spekulation sein. Es hat doch seinen Grund, warum ein Kind auf die Welt kommen will. Weil es Bewegungsfreiheit braucht, um sich weiter zu entwickeln. Sicher, Spontanbewegungen können dazu führen, dass es aufwacht, aber ob das zum Nachteil für das Kind ist ...

Volksstimme: Aus einer Deutschlandkarte auf Ihrer Seite www.rund-ums-baby.de/mehr-gesunde-babys geht hervor, dass die Neugeborenensterblichkeit in Mitteldeutschland vergleichsweise gering ist, "nur" 1 bis 1,4 auf tausend Lebendgeborene. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Dr. Jorch: Schwangere mit einer Frühgeburt unter der 30. Schwangerschaftswoche gelangen rechtzeitig in Perinatalzentren mit guter Ausstattung und Erfahrung. In Mitteldeutschland (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) sind das im Wesentlichen sieben Zentren. Ganz anders in flächenmäßig vergleichbaren Bundesländern wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, dort gibt es 20 bis 30 Standorte. Wir glauben, dass eine geringere Zahl an Perinatalzentren für deren Qualität besser ist, da in ihnen mehr Erfahrung gesammelt wird.

Es gibt noch einen anderen Aspekt, den ich hervorheben möchte: In der Zusammenarbeit mit den hier gebürtigen Kollegen bemerke ich immer wieder positiv, dass die DDR-Gesellschaft anders sozialisiert hat und die Fähigkeit zur sachlich begründeten Zusammenarbeit trainiert wurde. Die Kolleginnen und Kollegen in den Kinder- und Frauenkliniken des Landes haben zuallererst eine Optimierung der Neugeborenenversorgung dieser Region im Sinn.