1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Die zwei Seiten der Elektromüll-Verwertung Neue europäische Regeln sollen auch die Entsorgung in armen Ländern verhindern

Die zwei Seiten der Elektromüll-Verwertung Neue europäische Regeln sollen auch die Entsorgung in armen Ländern verhindern

22.08.2012, 03:16

Von Steffen Honig

Der slowenische EU-Umweltkommissar Janez Potocnik hatte am vergangenen Montag Wichtiges zu verkünden: Die neue Regelung für die Entsorgung von Elektroschrott ist in Kraft. Potocnik: "In diesen Zeiten der Wirtschaftskrise und der steigenden Rohstoffpreise ist Ressourceneffizienz die Schnittstelle, an der Umweltvorteile und innovative Wachstumsmöglichkeiten aufeinandertreffen."

Hinter dieser Reihung von Wortungetümen steckt die simple Wahrheit, dass ausgesonderte Fernseher oder Computer einen Schatz darstellen, den die Europäer endlich heben wollen. In den Geräten stecken wertvolle Materialien wie Gold, Silber, Platin, Indium und Kupfer. Sehr vernünftig ist es also, die umweltgerechte Verwertung zu steigern, wie es die EU-Regeln vorschreiben (siehe Kasten).

Das Brüsseler Umweltkommissariat peilt aber ausdrücklich noch ein anderes Ziel an: die wirksame Bekämpfung der illegalen Ausfuhr dieses sehr speziellen Schrotts. Nach der neuen Richtlinie müssen Exporteure die Funktionsfähigkeit der alten Elektrogeräte prüfen und entsprechende Nachweise vorlegen, wenn der Verdacht auf illegalen Versand besteht.

Seit Jahren ist die - häufig gesetzeswidrige - Verschickung von Elektromüll aus Europa und den USA nach Afrika und Asien ein blühendes Geschäft. Auch defekte Geräte werden als gebrauchsfähig deklariert, in Container verpackt - und ab geht die Schiffsreise in Zielländer wie Nigeria, Ghana, Pakistan, Indien und China.

Nach einer Studie des Umweltbundesamtes in Dessau von 2010 verlassen jährlich 155000 Tonnen Elektroschrott Deutschland auf diese Weise, davon rund 50000 Tonnen PC- und Fernseh-Bildschirme. Die Liste der darin enthaltenen Schadstoffe ist lang und enthält beispielsweise Blei, Quecksilber, Cadmium, Polybromierte Biphenyle (PBB), Polybromierte Diphenylether (PBDE) und Chromverbindungen.

Das schreit nach fachgerechter Entsorgung, wie sie in Europa zumindest vorgeschrieben ist. In den betreffenden Entwicklungsländern funktioniert die Verwertung jedoch wie im Mittelalter. Beispiel Ghana: Über Agbogbloshie, einem Bezirk der Hauptstadt Accra, stehen Tag für Tag stinkende Qualmwolken. Jugendliche, ja Kinder verbrennen auf dem schwarzbödigen Areal Computer und anderen Elektroschrott.

Im Ganzen, was heißt, dass die entstehenden giftigen Gase die Lungen der Mädchen und Jungen angreifen, die die ausgebrannten Geräte ausschlachten und die nützlichen Teile an die Händler am Rand des Brandfeldes verkaufen. Sie tragen so zum Unterhalt ihrer Familien bei.

Ein ganzer Wirtschaftszweig baut sich rund um den Elektroschrott aus den USA und Europa auf - über Importeure und Zwischenhändler bis zu den schwächsten Gliedern in der Kette, den Kindern und Jugendlichen.

Natürlich ist es hohe Zeit, das giftige Geschäft mit dem Elektromüll zu unterbinden. Somit ist das Brüssler Recycling-Programm ein Segen. Es wird aber von den Menschen, die davon bisher gelebt haben, als Fluch empfunden. Es sei denn, Europa hilft, in Ghana oder Pakistan Alternativen des Broterwerbs zu schaffen.