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Der Einsatz für die deutsche Einheit ist das bleibende Verdienst des von 1982 bis 1998 regierenden Pfälzers Helmut Kohl: Ehrgeiz, Einheit, Eierwürfe

Von Steffen Honig 27.09.2012, 03:14

16 Jahre Kanzlerschaft - keiner hat Deutschland länger regiert als Helmut Kohl. Heute würdigt ihn die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

Der Pfälzer Helmut Kohl war im Herbst 1982 angetreten, in der Bundesrepublik eine "geistig-moralische Wende" einzuleiten, was auch immer er darunter verstand. Eine erkennbare christlich-konservative Wende in den gesellschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik kam allerdings nie zu Stande.

Dafür eine andere: die Umwälzung in der damaligen DDR. Wie kein anderer deutscher Politiker erkannte Kohl die damit verbundene historische Chance auf die Wiedervereinigung und setzte sie schließlich gegen alle Widerstände durch.

Die Machtübernahme des späteren "Kanzlers der Einheit" wurde aber im deutschen Osten zunächst eher mit Sorge zur Kenntnis genommen. Und zwar in seltener Einigkeit vom SED-Politbüro bis zum einfachen Volk. Die bange Frage lautete: Würde die CDU-geführte Regierung die von Willy Brandt begonnene Entspannungspolitik zwischen West und Ost fortführen oder in Gebaren des Kalten Krieges zurückfallen?

Entgegen früheren Ankündigungen knüpfte die Kohl/Genscher-Regierung nahtlos an den Kurs der sozialliberalen Koalition an. Kohl hatte schließlich auch familiäre Bindungen an Ostdeutschland - seine erste Frau Hannelore war in Leipzig aufgewachsen.

Es blieb gegenüber der DDR bei der Formel: Wirtschaftshilfe gegen menschliche Erleichterungen. Ja, Kohl ermöglichte DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker sogar seinen größten außenpolitischen Triumph - dessen Besuch in der Bundesrepublik 1987 mit (fast) allen Ehren für das Oberhaupt eines souveränen Staates.

Kohl forcierte mit Zehn-Punkte-Plan die Wiedervereinigung.

Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass die DDR zwei Jahre später implodieren würde. Deshalb hatte die Bonner Regierung auch kein Konzept dafür, wie mit dem zerfallenden zweiten deutschen Staat umzugehen sei. Der Kanzler ergriff die Initiative und forcierte mit seinem Zehn-Punkte-Plan Ende 1989 die Wiedervereinigung.

Kohl setzte sein ganzes Gewicht in der Noch-DDR ein, um die Einheit voranzutreiben und in konservativem Sinne zu prägen. Wenn der Bundeskanzler die Einführung der D-Mark und die berühmt-berüchtigten "blühenden Landschaften" versprach, so war es genau das, was die Menschen hören wollten. Für das Vertrauen in Helmut Kohl ganz persönlich sprach der überraschend klare Erfolg der vom Kanzler unterstützten "Allianz für Deutschland" bei den ersten und letzten demokratischen Volkskammerwahlen im März 1990.

Mit seinem Stab zimmerte er im nächsten halben Jahr - einem Wimpernschlag in der Weltgeschichte - innen- und außenpolitisch die deutsche Einheit. Ein Kraftakt von historischer Dimension: Deutschland, im 20. Jahrhundert für zwei verheerende Kriege verantwortlich, war nicht länger eine Bedrohung. Kohl wollte die nationale Einheit als Beitrag zu einem geeinten Europa verstanden wissen, was die Nachbarn letztlich überzeugte.

Nicht aber das Nobelpreis-Komitee, das Helmut Kohl dafür bis heute nicht mit dem Friedensnobelpreis ehren mochte.

Der "Einheitskanzler" war es, der beim Geldtausch D-Mark gegen Ost-Mark gegen die gravierenden Bedenken von Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl den mental für den Osten wichtigen 1: 1-Kurs durchsetzte. Der politisch, aber nicht ökonomisch gerechtfertigte Umtauschkurs erwies sich später als ein Sargnagel für viele Ost-Betriebe.

Der Niedergang der Industrie wirkte sich auf das neue Bundesland Sachsen-Anhalt mit dem Schwermaschinenbau-Zentrum Magdeburg und der Chemieregion um Halle besonders dramatisch aus. Binnen Monaten verloren Tausende ihre Arbeit. Die Kohl-Gegner im Osten wurden zahlreicher.

Es kam jener 10. Mai 1991 in Halle, Sachsen-Anhalt. Bei einer Kundgebung auf dem Marktplatz flogen Eier und Tomaten auf den Kanzler, der fast explodierte. Nur mit Mühe konnten Sicherheitsleute und Absperrungen ihn daran hindern, sich die Delinquenten persönlich vorzunehmen.

Nach der Attacke von Halle kam das Leuna-Geschäft.

Dieser Tag war eine Zäsur für den tief gekränkten Helmut Kohl. Er, vor dem die Welt den Hut zog, stand vor den eigenen Landsleuten mit seinen Versprechen wie ein Scharlatan da. Es musste etwas passieren. Gemeinsam mit dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand fädelte Helmut Kohl das Leuna-Projekt ein, die Übernahme der von der Schließung bedrohten Raffinerie im Süden Sachsen-Anhalts. Es ging um die Rettung des Chemiedreiecks. Es wurde eines der wichtigsten Einheitsprojekte Kohls.

Das Geschäft, das bald als "Leuna-Affäre" unrühmlich von sich reden machte, hatte Schattenseiten. Es wurde gemauschelt, viel Geld hin und her geschoben. Doch weil er den Leuna-Verkauf politisch brauchte, ging Kohl wie eine Dampfwalze über alle Bedenken hinweg. Ähnlich ließ er das schwärzeste Kapitel seiner Laufbahn, die CDU-Spendenaffäre, von sich abprallen.

Helmut Kohl war einer der letzten großen Vertreter der Bonner Republik. Patriarchalisch und mit Werten und Überzeugungen, die nicht kurzfristiger Taktik untergeordnet wurden. Das Privatleben war noch privat, die Allgemeinheit kannte nur die alljährlichen Urlaubsbilder vom Wolfgangsee. Lange nach seinem Abgang von der politischen Bühne wurden das erschütternde Schicksal von Hannelore Kohl und die Zerwürfnisse mit seinen Söhnen bekannt.

Der Christdemokrat Kohl ist vor allem zu Beginn seiner beispiellosen politischen Laufbahn immer wieder unterschätzt worden. Man nannte ihn mit Spottnamen wie "Birne" und traute ihm nicht zu, Deutschland längere Zeit zu regieren. Das stellte sich bald nach dem Deal von Union und FDP im Herbst 1982 als ein schwerer Irrtum heraus.

Ähnlich erging es übrigens Kohls Nachfolgerin im CDU-Vorsitz und später auch an der Regierungsspitze: Angela Merkel war vielen Deutschen nicht als erfolgreiche Kanzlerin vorstellbar. Unter aktivem Zutun des Pfälzer Schwergewichts: Die als "Kohls Mädchen" apostrophierte Merkel wurde von ihm stets selbst behandelt wie eine politische Niestüte.