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Allensbach-Chefin Köcher: Deutsche gehen optimistisch ins neue Jahr Keine Wechselstimmung in Deutschland, dennoch ist im Wahljahr alles offen

02.01.2013, 01:38

Die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, Renate Köcher, gehört zu den renommierten Meinungsforschern des Landes. Im Gespräch mit dem Berliner Journalisten Stefan Vetter erklärt sie, warum für die Bundestagswahl 2013 noch alles offen ist und wie sich die FDP wieder berappeln könnte.

Frage: Frau Köcher, Deutschland steht trotz Euro-Krise wirtschaftlich gut da. Warum profitiert die schwarz-gelbe Bundesregierung davon nicht in den Meinungsumfragen?

Renate Köcher: Da muss man differenzieren. CDU und CSU profitieren durchaus. Die Union ist im Moment deutlich stärker als bei der letzten Bundestagswahl. Aber die FDP ist sehr schwach, und das hängt damit zusammen, dass viele Wähler vom Dauerstreit in der Koalition enttäuscht sind.

Frage: Warum entlädt sich die Enttäuschung der Bürger nur bei den Liberalen? Weil CDU-Chefin Angela Merkel so beliebt ist?

Köcher: Das ist eine der wesentlichen Ursachen. Merkel wird in der Bevölkerung sehr viel Respekt gezollt für ihren nüchternen Regierungsstil und die Tatsache, dass Deutschland in der Krise unbeschadet geblieben ist. Es ist aber auch so, dass die Union in Regierungsverantwortung allgemein profitiert, wenn die Wirtschaft gut läuft.

Frage: Würde eine Zuspitzung der Euro-Krise Merkels Beliebtheit in Frage stellen?

Köcher: Das ist möglich, muss aber nicht so sein. Wenn es wirklich zu einer tiefen Krise käme, die die Leute richtig ängstigt, dann ist entscheidend, wem sie zutrauen, in einem solch schwierigen Umfeld erfolgreich zu operieren. Das ist zurzeit eindeutig Frau Merkel.

Frage: Nun sagen alle Ökonomen eine Eintrübung der Konjunktur voraus. Was bedeutet das für das Wahljahr 2013?

Köcher: Das hängt davon ab, ob es wirklich zu einer gravierenden Verschlechterung kommt. Derzeit spricht nichts für einen massiven Einbruch. Die Stimmungslage in der Wirtschaft hat sich zuletzt sogar verbessert. Und nach allem, was wir beobachten, gehen die Menschen durchaus optimistisch ins neue Jahr. Wenn es nur bei einer Eintrübung bliebe, würden sich die Rahmenbedingungen für die Bundestagswahl kaum ändern.

Frage: Der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar wird eine fast magische Bedeutung beigemessen. Wie prägend ist sie für den Urnengang im Bund, der ja erst neun Monate später stattfindet?

Köcher: Da haben wir es auch mit einer Überhöhung durch die Medien zu tun. Aber von besonderem Interesse ist natürlich das Abschneiden der FDP. Daraus bezieht diese Wahl ihre Spannung.

Frage: Was prophezeien Sie?

Köcher: Zur Landtagswahl kann ich nichts sagen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass die FDP nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird. Denn über die 4,5 Prozent hinaus, die zurzeit bei einer Bundestagswahl für die Liberalen votieren würden, gibt es eine deutlich größere Gruppe von 20 Prozent in der Bevölkerung, die der festen Überzeugung ist, dass das Land eine liberale Partei wie die FDP auf Dauer braucht.

Frage: Müsste die FDP dafür ihren Chef, Philipp Rösler, abservieren? Schließlich ist er der unbeliebteste Bundespolitiker im Land?

Köcher: Das Entscheidende ist, dass die FDP glaubwürdig inhaltliche Ziele vertritt. Das ist ihr Kernproblem. Das Profil der FDP ist deutlich blasser als das aller anderen etablierten Parteien. Nur ein Beispiel: Die FDP war einmal d i e Bildungspartei. Als solche wird sie heute überhaupt nicht mehr gesehen.

Frage: Auch die besten Inhalte transportieren sich immer über Personen. Wirkt Rösler da nicht eher störend?

Köcher: Natürlich ist neben einer überzeugenden Sacharbeit auch wichtig, dass die Ziele einer Partei glaubwürdig und kompetent vertreten werden. Aber populäre Personen sind auch kein Garant für den Erfolg: Die Grünen waren beispielsweise am Ende der rot-grünen Regierung sehr schwach, obwohl damals Joschka Fischer außerordentlich populär war.

Frage: Die SPD bietet im Kampf um die Kanzlerschaft Peer Steinbrück auf. Ist er mit Merkel auf Augenhöhe?

Köcher: Mit Steinbrück bietet die SPD durchaus einen starken Kandidaten auf. Sein Kernproblem ist, dass ihm kein ausreichender Rückhalt in der eigenen Partei zugeschrieben wird.

Frage: Kann sich das Blatt zugunsten der SPD noch wenden?

Köcher: Wir haben keine Wechselstimmung, aber wenn man sich die aktuellen Parteien-Sympathien anschaut, dann müsste Rot-Grün nur zwei bis drei Prozentpunkte dazugewinnen, um eine eigene Mehrheit zu erzielen. Insofern ist alles offen.

Frage: Wagen Sie trotzdem eine Prognose für den Wahlausgang 2013?

Köcher: Nein. Ich bin oft erstaunt, wie viele Leute heute schon ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass wir nach der nächsten Bundestagswahl eine Große Koalition haben werden. Das ist ein mögliches Szenario, ein anderes Rot-Grün, aber auch eine schwarz-grüne Konstellation. Auch eine Neuauflage der jetzigen Koalition ist nicht völlig ausgeschlossen. Dafür müsste Schwarz-Gelb allerdings noch rund 4 Prozent zulegen, kein einfaches Unterfangen.