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Alarmierende Zahlen im Jerichower Land / Mangel an geeigneten Lehrlingsbewerbern Ausbildung im Handwerk - keiner will Maurer werden

Von Falk Heidel 03.08.2013, 03:07

Sterben gutausgebildete Facharbeiter aus? Mit dem aktuellen Ausbildungsbeginn im August meldet das Handwerk alarmierende Zahlen. Viel zu wenige Lehrlingsanwärter mit geeigneten Schulnoten bewerben sich in den Betrieben.

Burg/Genthin/Möckern l Im Jerichower Land haben 40 junge Menschen eine Ausbildung im Handwerk begonnen. "Zusammen mit den bestehenden Azubis zählen wir nur 210 Lehrlinge im Landkreis", erklärt Anja Gildemeister von der Magdeburger Handwerkskammer. Alarmierend: 50 Ausbildungsplätze sind noch unbesetzt.

Zwei Arbeitstage als Lehrling hat Tim Dilling aus Möckern schon geschafft: "Ich wollte nie etwas anderes machen. Der Umgang mit Kabeln und Stromkreisen macht mir unheimlich viel Spaß", erzählt der 16-jähige ehemaligen Sekundarschüler. In roter Latzhose und blauem T-Shirt arbeitet er mit dem Gesellen Andreas Elvert an einem elektronischen Steuersystem in der Badausstellung der Burger Firma Wiedemann. Tims Arbeitgeber ist das Burger Unternehmen VTB. Das Kürzel steht für Versorgungstechnik Burg.

In der Nordhälfte Sachsen-Anhalts begannen 630 Lehrlinge am 1. August ihre Ausbildung. Weitere 100 junge Leute starten in den nächsten Wochen in die Lehre. Insgesamt gibt es dann 4750 Handwerkslehrlinge im ersten, zweiten, dritten oder vierten Ausbildungsjahr.

Anja Gildemeister: "Bei den jungen Männern sind die Berufe Kraftfahrzeugmechatroniker, Metallbauer, Elektroniker, Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Maler und Lackierer sowie Tischler besonders beliebt. Viele junge Frauen lassen sich zur Friseurin oder zur Bürokauffrau ausbilden."

Die korrekte Bezeichnung für Tim Dillings Beruf lautet Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. "Den Beruf des einfachen Elektrikers gibt es nicht mehr. Heute sind die Anforderungen sehr viel komplexer", erklärt Rainer Mecking. Der VTB-Abteilungsleiter zeigt auf einen riesigen Schaltschrank mit unzähligen Kabeln und Steckverbindungen. "Wer in der Schule in Mathe und Physik nicht mitgekommen ist, wird auch solche Systeme nicht verstehen", sagt der Diplom-Ingenieur. Mecking hat sich am Freitag, dem ersten Arbeitstag des neuen Lehrlings, intensiv mit Tim Dilling beschäftigt: "Er hat Arbeitsschuhe und - anzug bekommen. Auch einen Koffer mit persönlichem Werkzeug." Es folgte eine intensive Arbeitsschutzbelehrung, ehe Tim Dilling seinen neuen Kollegen, Geselle Andreas Elvert, kennenlernte. Derzeit installieren die VTB-Fachleute bei Wiedemann Temperaturfühler für ein neues elektronisches Steuersystem. "Die Arbeiten bestehen aber nicht nur aus der sehr filigranen Installation der Komponenten", sagt Elvert. "Zunächst heißt es schlitzen, stemmen und fräsen."

Bei der VTB (das Unternehmen ist bundesweit im Montageeinsatz) haben inklusive Tim zwei Schüler ihre Ausbildung begonnen. Hinzu kommt noch ein bestehender Azubi. "Vor gut zehn Jahren hatten wir noch 20 Lehrlinge", erzählt Firmenchef Bernd Dreßler. Er würde gern mehr Leute einstellen: "Aber ohne entsprechende Schulnoten haben die jungen Leute kaum eine Chance, die Prüfungen zu bestehen." Nur zwei von fünf Lehrlingen hatten in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht. Aus seiner Sicht liegt das Problem in den Familien: "Wer in der Schule etwas lernen möchte, der lernt auch was. Wir benötigen junge Leute mit Verstand und Durchhaltevermögen, doch daran hapert es häufig."

In den verschiedenen Handwerks-Innungen zeigt sich die Ausbildungsdramatik noch gravierender: "Jeweils nur ein junger Mensch hat im Landkreis eine Lehre zum Bäcker oder Kfz-Mechatroniker aufgenommen", sagt Kreishandwerkerschafts-Geschäftsführerin Diane Sommer. "Im Baubereich gibt es auch nur einen Azubi, der jedoch nicht Maurer lernt, sondern Hochbau-Facharbeiter, eine Art Vorstufe zum Maurer."

Insgesamt gibt es im Handwerk 130 Ausbildungsberufe. "Da ist für jeden etwas dabei", meint Handwerkskammer-Präsident Hagen Mauer. Wer noch einen Ausbildungsplatz sucht, hat im Handwerk gute Chancen: Derzeit sind im Kammerbezirk Magdeburg noch 475 Lehrstellen unbesetzt. Die größten Lücken gibt es bei den Bäckern, Fleischern, Gebäude- reinigern, Elektrotechnikern und Metallbauern. Mauer: "Ein Ausbildungsbeginn ist auch nach dem 1. August möglich."

Die Lehrlingszahlen im Kammerbezirk Magdeburg haben sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Ursache ist vor allem der Bevölkerungsrückgang, aber auch die mangelnde Ausbildungsfähigkeit einiger Jugendlicher. Außerdem wird die anspruchsvolle Ausbildung im Handwerk von vielen unterschätzt.

Wo liegen die Gründe für den Lehrlingsmangel?

"Wir können unseren Betrieben keine Lehrlinge backen", meint Mauer. Die Berufsorientierung in den Schulen müsse verbessert werden, und die Anzahl der Schulabbrecher verringert."

Das alles ist für Tim Dilling kein Thema. Er schaut in eine für ihn günstige Zukunft: "Ich lasse alles auf mich zukommen. Kann mir aber sehr gut vorstellen, eines Tages den Meisterbrief zu machen, beziehungsweise eine eigene Firma aufzubauen."