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Johann Andreas Wernicke (1816 - 1861): Missionar, Teebauer, Begründer der Darjeeling Dynastie. Von Simone Pötschke Das Jerichower Land von A bis Z: Der Aufbruch eines mittellosen Dorfjungen

28.01.2014, 01:23

Das Jerichower Land feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Was macht diesen Kreis so besonders? In einer Serie von A wie Anfang bis Z wie Ziegelsdorfer Telegraf gehen Volksstimme-Redakteure der Sache auf den Grund. D wie Darjeeling: Nachfahren von Missionaren aus Wulkow bauen in Indien Darjeeling-Tee an und steigen zu mächtigen Teebaronen auf.

Wulkow l Viele Predigten wurden von der Kanzel der Großwulkower Dorfkirche gehalten, seitdem von hier aus in einem Gottesdienst im Jahr 1838 zwölf junge Missionare nach Indien ausgesandt wurden, um den christlichen Glauben zu verbreiten.

Unter diesen zwölf jungen Leuten war auch der 23-jährige Johann Andreas Wernicke, drittes von acht Kindern einer Kleinbauernfamilie aus dem benachbarten Kleinwulkow.

Der junge Mann aus ärmlichen Verhältnissen lebt in einer Zeit, als sich in Preußen der Pietismus - eine gegen das allgemeine Vernunft-Denken gerichtete, gefühlsbetonte Strömung - ausbreitet.

Die Ideen der sogenannten Erweckungsbewegung des Wulkower Pfarrers Ferdinand Hachtmann und die Berliner Goßner Mission begeistern die jungen, durchweg mittellosen Leute, alles aufzugeben und als Missionare in die Welt zu ziehen. Für ihre Aufgabe werden sie im Predigen und in der Bibelkunde ausgebildet. Gottes Wort, Glauben und das Gebet, mehr sei für ihre Aufgabe nicht notwendig, gibt ihnen der Wulkower Pfarrer Ferdinand Hachtmann mit auf den Weg. Den Lebensunterhalt sollten sich die Auswanderer selbst verdienen. Johann Andreas Wernicke verlässt seine Heimat in dem Wissen, dass er nie wieder zurückkehren wird. Das erlaubte Preußen den Auswanderern nicht.

Johann Andreas Wernicke verliebt sich bei der Überfahrt von Hamburg in den mittelenglischen Hafen Hull in Sophie Stölke, die aus dem brandenburgischen Glöwen stammt. Die beiden heiraten, noch bevor sie in Liverpool ankommen. Ein halbes Jahr dauert die Seereise, bevor sie den Hafen von Kalkutta erreichen.

Schnell nach ihrer Ankunft macht sich Ernüchterung breit. Das Leben in dem exotischen Land ist selbst für die an Entbehrungen gewöhnten Preußen hart. Nach und nach müssen sie auch erkennen, dass ihr Missionsauftrag zum Scheitern verurteilt ist. Die Gründe dafür sind vielfältig, so die tiefe Verwurzelung der einheimischen Bevölkerung in ihre Jahrtausende alte Hindu-Kultur, zu der die Missionare aus Europa keinen Zugang fanden oder der tägliche Kampf ums Überleben, dem die Familie Wernicke ausgesetzt war.

Die zwölf Auswanderer reisen den Ganges aufwärts und werden dabei geplagt von heißem und in den Monsun-Zeiten sehr feuchtem Klima, unbekannter Nahrung und den Tücken des Dschungels. 1842, Johann Andreas Wernicke ist zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt, siedelt sich die Familie in Darjeeling am Fuße des Himalaya an.

Sie bauen auf erst kleinen Feldern Früchte für die Selbstversorgung an, spezialisieren sich aber bald auf Tee.

Die Familie, zu der sieben Kinder gehörten, erarbeitete sich in Darjeeling nach und nach einen bescheidenen Wohlstand. Sophie Wernicke betrieb in der prosperierenden Stadt am Himalaya einen kleinen Laden und vermietete Bungalows an Besucher. Sie ermöglichten den drei Söhnen James Andrew, Frederick und Samuel sogar einen Schulbesuch in Kalkutta.

Johann Andreas Wernicke war in den 1850er Jahren bereits vom Leben gezeichnet: Die körperliche Schwerstarbeit unter den klimatisch schwierigen Verhältnissen des Hochland-Dschungels hatten ihm zugesetzt. Am 1. September 1861 starb Wernicke im Alter von nur 47 Jahren.

Anbau auf eigenem Grund

Nun musste der älteste Sohn der Familie, der 20-jährige James Andrew, der in Kalkutta Theologie studierte, für die Familie sorgen. Mit seinem Bruder Fred stieg er ins Tee-Geschäft ein. Die Wernicke-Brüder erkannten, dass sich der Teeanbau nur auf eigenem Grund und Boden lohnt. Sie kauften mit Krediten große Flächen Land. Ohne schriftliche Überlieferungen oder Hilfsmittel betrieben sie Teeanbau im großen Stil, rodeten Urwald an den steilen Hängen des Himalayas, legten Terrassen an und investierten in die Zukunft, setzten Pflanzen, die erst nach sieben, acht Jahren erntereif waren. Die Gewinne investierten die Brüder in Immobilien und gelangten in Darjeeling zu einem erheblichen Häuserbesitz.

So stiegen die Söhne eines mittellosen Dorfjungen aus Kleinwulkow zu den reichsten Kapitalisten in Darjeeling und zu englischen Teebaronen auf. Die Wernickes schafften es auch in der nächsten Generation, gleich mehrere Kinder als Eigentümer und Manager der wichtigsten Teeplantagen der Umgebung von Darjeeling einzusetzen und den Reichtum der Familie zu mehren. Sophie Wernicke hat dies alles noch miterlebt: Sie starb, ohne jemals ihre deutsche Heimat wiedergesehen zu haben, 1913 im Alter von 96 Jahren. Ein Sohn von Andrew Wernicke, der um 1900 in Edinburgh Medizin studiert hatte, schrieb rückblickend: "Die harte Arbeit der Brüder wurde reichlich belohnt mit dem unglaublichen Erfolg, dass die Söhne von armen gestrandeten Missionaren in der Lage waren, ihre Kinder in England erziehen zu lassen." Nach Sophies Tod verblassen die Spuren der Wernickes in Darjeeling. Die Enkel und Urenkel zieht es nach Frankreich, England, Kanada und in die Vereinigten Staaten.