1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. Von Washington D.C. in das altmärkische Jeetze

EIL

Der Deutsch-Amerikaner Mark Lyle kam viel herum, bis er sich in ein hiesiges Bauernhaus verliebte Von Washington D.C. in das altmärkische Jeetze

Von Gesine Biermann 25.05.2012, 05:20

Geboren ist er in den USA, getauft wurde er in Peru, gearbeitet hat er unter anderem im Dschungel von Guyana. Seit einigen Jahren nun ist Mark Lyle Altmärker. Er blieb der Liebe wegen - zu einem Vierseitenhof in Jeetze.

Jeetze l Im Hausflur gibt es noch die original Jugendstil-Fliesen. Die Türen haben verzierte Zargen. Im Zimmer gleich rechts vom Flur steht ein wunderschöner Kachelofen. "Ein Ebay-Schnäppchen", verrät der Hausherr. "Es ist auch der einzige Raum, der immer warm ist." Und beim Wörtchen "warm" ist er dann ganz deutlich zu hören, der amerikanische Akzent - auch wenn Mark Lyle sonst hervorragend Deutsch spricht.

"In Amerika war ich immer der Deutsche, in Deutschland war ich plötzlich Amerikaner"

Schließlich ist er zweisprachig aufgewachsen. Und dazu multikulturell. Der Vater, amerikanischer Militärattaché, lernte seine Mutter, Tochter eines Hamburger Außenhandelskaufmannes, Anfang der 1960er Jahre nämlich nicht in den USA, sondern in Peru kennen. "Beim Polospiel." Sie folgte ihrem Mann kurz darauf nach Virginia. Dort, ganz in der Nähe der US-Hauptsstadt Washington D.C., wird Mark Lyle 1962 geboren. Dort wächst er auf. Bekommt etwas später noch eine Schwester. Den Sommer verbringen die Kinder allerdings oft bei den Großeltern in Südamerika.

Als er 16 Jahre alt ist, geht die Ehe der Eltern jedoch in die Brüche. Die Mutter kehrt mit den Kindern in ihre deutsche Heimat zurück. Die Familie landet 1979 im Taunus, wo weitere Verwandte leben. Dort macht Lyle dann auch sein Abitur, den Zivildienst, studiert später Biologie.

Leicht fällt ihm der Wechsel dennoch nicht. "In Amerika war ich immer der Deutsche", erzählt er. "In Deutschland war ich plötzlich der Amerikaner." Ein Schicksal, das er mit vielen Einwanderern teilt.

Offiziell ist Lyle nun allerdings beides. "Die USA-Staatsbürgerschaft erhält man automatisch mit der Geburt in den USA." Die deutsche Staatsbürgerschaft konnte er später annehmen, da seine Mutter zum Zeitpunkt seiner Geburt Deutsche war. Die wiederum ist nun Amerikanerin, obwohl sie in Deutschland geboren wurde. "Ein bisschen absurd, all diese Gesetze", findet Lyle. Seine doppelte Staatsbürgerschaft bedeute für ihn nun zwar "viel Bewegungsspielraum". Für beide Staaten brauche er weder Visum noch Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis. "Allerdings", so Lyle zwinkernd, "muss ich dafür auch jedes Jahr zwei Steuererklärungen machen." Vor die Wahl gestellt, "würde ich aber wohl eher die Amerikanische abgeben", sagt er. "Ich bin doch sehr deutsch, in vielen Sachen." Und: "Ich mag vor allem Ostdeutschland. Irgendwie ist man hier emotional noch nicht so abgebrüht." Eine ähnliche Sympathie habe er auch immer für die Südamerikaner empfunden. Dort "habe ich mich auch immer hingezogen gefühlt".

Kennen gelernt hat Mark Lyle die ostdeutschen Länder und ihre Bewohner aber erst nach der Wende. Denn nach dem Studium in Frankfurt und langen Monaten in Bolivien - "Ich wollte einfach gern wieder mal nach Südamerika" -, wo Lyle seine Diplomarbeit über Pampasgras schrieb und mit der Cortaderia boliviensis sogar eine bislang unbekannte Art entdeckte, lebte er immerhin zehn Jahre lang in Hamburg. Dort wechselt er schließlich die Branche, wurde Anfang der 1990er Jahre Personalberater für Bauunternehmen. "Head Hunter", sagt er, und stieg schließlich voll in den Bauboom der ostdeutschen Länder ein. "Ich glaube, ich kannte jede Großbaustelle im Osten", so Lyle.

Dann allerdings gab es einen Karrierebruch. Baufirmen benötigten Anfang 2000 plötzlich nicht mehr so viel Personal. Lyle musste sich anderweitig umsehen. Und da ist er dann wieder, der Amerikaner in ihm. Denn unbefangen erzählt der 50-Jährige von "Aushilfsjobs in der Putzkolonne, als Küchenhilfe oder in der Versicherungsbranche". So gut wie jeder Deutsche, noch dazu ein Akademiker, hätte mindestens die ersten beiden im Interview unterschlagen. Darauf angesprochen, lacht Mark Lyle. "Möglich", sagt er. Für ihn seien das aber Arbeiten wie alle anderen auch. "Ich bin erwachsen, körperlich unversehrt", schmunzelt er. Da sei Arbeit einfach Arbeit. "So bin ich aufgewachsen."

In genannter Zeit kam es für den Deutsch-Amerikaner jedoch schließlich auch zu einer schicksalhaften Begegnung. Freunde hatten im Wendland ein Haus gekauft. Er habe ihnen beim Einzug und Umbau geholfen, erzählt Lyle, und dabei zwei Altmärker getroffen, die ihn spontan nach Störpke zum Spargelessen eingeladen hätten. War es des altmärkische Lieblingsgemüse oder die Luft? So genau weiß Lyle es nicht mehr. "Aber ich war so froh, wieder mal auf dem Land zu sein", gesteht er. Als ihn die neuen Freunde schließlich zu Bekannten nach Jeetze mitnahmen, war sein Herz jedenfalls weit offen, die Augen auch. Und so genügte der erste Blick auf den einstigen Kamith-Hof, um sich sofort in das Anwesen zu verlieben. "Manchmal ist das einfach so", sagt der Deutsch-Amerikaner. Denn seit dem Tag wurde Lyle den Gedanken an das Haus in Jeetze nicht mehr los.

Zum damaligen Zeitpunkt gehörte diese Liebe allerdings anderen. Vielen anderen, um genau zu sein. Eine Gruppe junger Großstädter hatte es 1994 gekauft, versuchte sich in der Sanierung. Doch wie das so ist, wenn es einen erwischt hat: Lyle beauftragte seine neuen altmärkischen Freunde damit, die Immobilie doch einfach mal im Auge zu behalten.

Eine Bitte, die sich als goldrichtig erwies. Denn Jahre später, Anfang 2004, bekam er schließlich den Anruf, auf den er irgendwie immer gewartet hatte. "Das Haus stand zum Verkauf!", erzählt sein Lebensgefährte Chris, der in Hamburg als Einkaufsmanager in einem Fünf-Sterne-Restaurant arbeitet. "Und ich habe einfach nur ins Telefon geschrien: "Ja, ich will es!", erinnert sich Lyle.

Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings so gar nicht in der Nähe von Jeetze. Nicht einmal von Deutschland. Als ihn der Anruf per Satellitentelefon erreichte, steckte Lyle gerade mitten im tiefsten Dschungel von Guyana "in einem Basiscamp am Mazaruni-Fluss". Zur nächsten Ortschaft wäre es ein wochenlanger Marsch gewesen. Mittlerweile hatte ihn nämlich sein Forscherdrang mal wieder gepackt. Ein amerikanisches Institut brauchte einen Pflanzenkundler, und Lyle hatte spontan zugesagt. Ein anspruchsvoller Job - nur eben ziemlich ungünstig für jemanden, der in der Altmark gerade ganz dringend eine Immobilie kaufen will. Glücklicherweise habe seine Mutter im heimatlichen Hamburg allerdings alle Vollmachten besessen, erzählt Mark Lyle begeistert. Und als er drei Wochen später wieder ein Satellitentelefon zur Verfügung hatte, wusste er schon, dass es gut gehen würde mit dem Kauf.

Noch aus den USA leitete er alle weiteren Schritte ein, schaffte es sogar von dort aus noch rechtzeitig, die Frist für den Antrag auf Förderung aus der Dorferneuerungsgesetz einzureichen. Wenn schon, denn schon.

Und wie weise auch das war, wusste der Deutsch-Amerikaner spätestens nach seinen ersten Baumaßnahmen. Denn Haus und Nebengebäude entpuppten sich schließlich als "Geldversenkungsmaschinen", wie Lyle schmunzelnd verrät. Zuweilen hätten ihm Freunde und Familie optimistisch garantiert, das Haus werde ihn umbringen.

Dennoch gab er nicht auf. Und wer ihn heute besucht, weiß warum. Auch wenn noch nicht alles fertig ist: Mittlerweile ist aus dem sanft und dennoch fantasievoll renovierten Bauernhaus nämlich ein echtes Schmuckstück geworden, und aus dem Großstädter "nach 25 Jahren Dreck, Lärm und Hektik" ein echtes Landei, das sich in Jeetze so zu Hause fühlt wie noch nie. Außer dem schnellen Internet, das er hier als selbstständiger Personalberater in der Solarbranche doch ziemlich vermisse, sei einfach alles perfekt, gibt Lyle schmunzelnd zu.

Ganz erheblich hätten dazu allerdings auch die Menschen beigetragen, auf die er hier in der Altmark getroffen sei. Die beiden guten Freundinnen gleich im Haus nebenan, weitere im Ort, in anderen Dörfern ganz in der Nähe, Menschen, die ihn offen und herzlich aufgenommen hätten, ihn, den Ami in Deutschland.

"Man kann sich ausgeschlossen fühlen oder man kann Brückenbauer sein"

"Allerdings bin ich selbst auch aufgeschlossen, gehe auf Menschen zu", sagt Lyle von sich. Eine Tugend, die den Altmärkern, denen man ja zuweilen etwas Sturheit nachsagt, sicher auch gut gefällt.

"Man kann sich ausgeschlossen fühlen oder man kann Brückenbauer sein", sagt Lyle irgendwann im Volksstimme-Gespräch. Er hat es geschafft. Er hat eine Brücke gebaut von Washington D.C. nach Jeetze. Seine Brücke ist allerdings ein Haus. Ein Vierseitenhof, in den er nach wie vor richtig verliebt ist.