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Vier Künstlerinnen aus den USA arbeiten derzeit im Atelierhaus Hilmsen / Umfeld regt das Kreativsein an Revolutionskinder erhalten ein Gesicht

Von Anke Pelczarski 08.08.2014, 03:20

Galerist Gus Kopriva aus Houston (USA) hat das Quartett sorgfältig ausgewählt: Die Frauen aus Houston, New York, Detroit und Beaumont genießen es, im Atelierhaus Hilmsen kreativ sein zu dürfen.

Hilmsen l "Alles hier ist so schön und so sauber. Manchmal habe ich schon gedacht, dass sie die alten Häuser heimlich für mich aufgebaut haben und hinterher wieder abbauen": Lynet McDonald ist zum ersten Mal in Europa und somit auch in Deutschland. Etwas Vorahnung hatte sie schon, was sie erwarten könnte: weil sie den deutschen Teil im Disneyland besucht hat, verrät sie lächelnd. Doch hier sei alles noch viel besser, schwärmt die 44-Jährige, die in Mexiko-City aufgewachsen ist und als 15-Jährige in die USA ging. Heute arbeitet sie als Direktorin der Red bud Gallery in Houston.

Für sie sei Kunst machen wie eine Art Tagebuch. Derzeit beschäftigt sie sich intensiv mit der mexikanischen Revolution von 1910. "Man hört immer nur etwas von den Männern. Dass aber auch Kinder und Frauen beteiligt waren, ist wenig bekannt", erzählt sie. Lynet McDonald möchte diesen ein Gesicht geben. Alte Fotos dienen ihr als Vorlage für die Porträts, die sie mit Pastell und Öl- farben auf Holzplatten zeichnet. Lieder und Gedichte, die mit der Revolution zu tun haben, ergänzen die Arbeiten.

Mit Lochkamera aufs Wichtige konzentrieren

Die Bildhauerin und Fotografin Ashley Pridmore aus New York arbeitet hauptsächlich über den menschlichen Einfluss auf die Umwelt. Die 30-Jährige interessiert sich dafür, wie Dinge vergehen und welche Strukturen sie haben. Dabei verwendet sie Pflanzen- und Tierteile, die sie derzeit für den Bronzeguss vorbereitet.

Aber auch Fotos können viel erzählen. "Ich benutze eine einfache Lochkamera, die nur das wirklich vorhandene Licht durchlässt", sagt Ashley Pridmore. Per Fahrrad sei sie in Diesdorf gewesen und habe sehr viele Bilder gemacht. "Für jeden Amerikaner, der nach Deutschland kommt, ist es beeindruckend, die vielfältige Geschichte kennenzulernen, die hier an jeder Ecke zu spüren ist", schwärmt die junge Frau.

Sie und Lynet McDonald werden übrigens wieder in die Altmark kommen. Denn in zwei Jahren werden sie ihre Werke in der Salzwedeler Mönchskirche ausstellen. Die Arbeiten würden sich ziemlich intensiv ergänzen, macht der Hilmsener Künstler Hans Molzberger bereits jetzt neugierig.

Paula Schubatis aus Detroit hat ihr Atelier unterm Dach aufgeschlagen, wo sie sich ungestört auf ihr Schaffen konzentrieren kann. Dort arbeitet die Malerin, die an der University of Michigan Kunst studiert hat, mit Farbe, Textil und gefundenen Objekten. Die sechs Meter lange Leinwand liegt auf dem Fußboden. Sie wolle Architektur und Natur verschmelzen lassen, beschreibt die 22-Jährige. Wenn man von oben darauf schaue, wirke das Dargestellte dreidimensional. "Dadurch möchte ich den Betrachter dazu bringen, in die Arbeit einzutauchen", erzählt sie.

Die Künstlerin störe, dass der Betrachter nicht die gleiche Beziehung zu ihrem Bild habe wie sie. Dem wirkt sie auf ihre Art entgegen: "Auf meiner Farbpalette passieren all meine Gedanken rund um das Kunstwerk. Deshalb suche ich ein kleines Fragment aus, das ich in eine Knallfolie einnähe." Mit diesem zusätzlichen Ausstellungsstück gebe sie einen Teil vom Prozess ab.

Stille, Sterne und grüne Blätter faszinieren

Bei ihrem ersten Deutschland-Besuch habe sie festgestellt, dass es viele Parallelen zwischen Detroit und Berlin gibt. "Die kulturelle Verwandtschaft ist zu spüren. Jetzt weiß ich, wie Detroit in 10 bis 20 Jahren aussehen wird", sagt sie.

Für die gebürtige Schweizerin Grace Megnet, die seit 16 Jahren in Amerika lebt, ist es die erste Begegnung mit Deutschland. "Ich fühle mich wie zu Hause, höre jeden Tag meine Vatersprache", beschreibt die 59-Jährige aus Beaumont im Bundesstaat Texas ihre Gefühle. Sie habe sich riesig gefreut, als ihr der Studienaufenthalt angeboten wurde. "Von Houston nach Hilmsen zu Hans", sprudelt es aus ihr heraus. Die Künstlerin malt normalerweise Bilder mit Acrylfarben. Doch in der Altmark probiert sie ein anderes Genre aus: Sie schreibt. "Ich hatte eine Kurzgeschichte zu einem Wettbewerb nach England geschickt. Diese ist prämiert worden", verrät Grace Megnet.

Derzeit entstünden vorwiegend Gedichte. Doch sie wolle auch ein Buch schreiben. "Der Ort hier ist unglaublich kreativ. Hier gibt es Stille, Sterne, grüne Blätter, Schmetterlinge, die bei uns ausgestorben sind. Ich habe das Gefühl, ein Glückspilz zu sein", schwärmt sie.

Die Künstlerin möchte jeden Moment in sich aufsaugen. Denn sie weiß, dass sie von den Erlebnissen weitab des rasanten Alltages noch eine ganze Weile zehren wird. Und das macht Lust auf neue Arbeiten - genauso wie bei ihren drei Kolleginnen.