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Traditionsbetrieb verfällt an der Gardelegener Straße / Akten und Laborzubehör lagern immer noch im Bürogebäude des Chemiewerkes Werkshalle wird zur Graffitigalerie

Von Marco Heide 12.12.2014, 02:12

Das Salzwedeler Chemiewerk zählte einst zu den größten Fabriken Salzwedels. Doch die Wende sorgte für das Aus des Betriebes, dessen Geschichte bis in das Jahr 1838 zurückgeht.

Salzwedel l Mit der Wende ging an der Gardelegener Straße in Salzwedel eine mehr als 150-jährige Industriegeschichte zu Ende. Teile des ehemaligen Chemiewerkes werden zwar noch heute gewerblich genutzt, doch das Bürogebäude mit Laboren sowie die dahinter liegende Produktionshalle verfallen zusehends.

1838 kaufte Gottfried Neukranz eine Abdeckerei, die sich auf dem Gelände des Werkes befand. Er ließ dort zusätzlich eine Knochensiederei errichten und produzierte Knochenmehl, das direkt als Dünger oder gemischt mit Tierdung auf die Äcker ausgebracht wurde. Ab 1862 wurde die Produktion chemisch. Denn nun versetzten die Abeiter das Knochenmehl mit Schwefelsäure. Damit begann in Salzwedel die Herstellung von Superphosphat. Allerdings reichten aufgrund steigender Nachfrage bald nicht mehr die Knochen aus, sodass der Dünger ab 1880 aus nordafrikanischem Rohphosphat hergestellt wurde. 1898 erweiterte sich das Unternehmen um eine eigene Schwefelsäurefabrik und konnte von nun an den zweiten wichtige Bestandteil des Düngers selbst produzieren.

Einen eigenen Anschluss an die Bahnlinie Salzwedel-Winterfeld erhielt das Werk 1903. Damit vergrößerte sich der Absatzmarkt und so konnte die Fabrik in den Jahren 1908/09 erweitert werden. Nur ein Jahr später verwüstete ein Feuer fast das komplette Betriebsgelände. Es folgte der sofortige Wiederaufbau. Nach dem Ersten Weltkrieg versorgte die Chemiefabrik die komplette Altmark und angrenzende Regionen mit Dünger.

Produktionsstopp wegen Rohstoffmangels

Im April 1943 stellte die Fabrik aufgrund von Rohstoffmangels die Produktion ein. In der Lagerhalle für Superphosphat ließen in dieser Zeit die Junkerswerke Tragflächen für ihre Flugzeuge montieren. Während des Krieges befand sich eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme auf dem Firmengelände. Zwischen 1944 und 1945 mussten rund 1500 Zwangsarbeiter in der nahegelegenen Draht- und Metallfabrik Salzwedel schuften.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk am 22. Juni 1948 in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) umgewandelt und war seit dem 1. Januar 1979 Teil des Kombinats Agrochemie Piesteritz. Von 1964 bis 1967 flossen 50 Millionen Mark in den Bau einer neue Superphosphatanlage - die letzte große Investition in die Fabrik.

In den Jahren nach der Schließung des Werkes haben Graffitikünstler die große Produktionshalle erobert. Neben Schmierereien sind inner- und außerhalb der Mauern einige Kunstwerke zu finden - und jede Menge Müll.

Das Bürogebäude an der Gardelegener Straße zeichnete ein noch traurigeres Bild. Gleich im Eingangsbereich türmt sich der Müll und es zeigen sich verkohlte Möbelreste. In den Laboren im Erdgeschoss liegen leere Chemikalienflaschen. Das ganze macht den Eindruck, als ob die Räume von den Angestellten beinahe fluchtartig verlassen wurden. In der zweiten Etage zeigt sich ein anderes Bild. Die Zimmer sind komplett leer. Bis auf Scherben von den eingeworfen Fenstern und Bauschutt liegt nichts auf dem Boden.

Im Obergeschoss sind die Decke und Wände schwarz. An mehreren Stellen haben dort Brandstifter versucht, Feuer zu legen. Den Zunder liefern Berge von alten Akten und sonstigem Büromaterial. Da das Gebäude in Privatbesitz und der Eigentümer verschwunden ist, wird sich in absehbarer Zeit an diesem Zustand nichts ändern.

Weitere Bilder vom Chemiewerk unter www.volksstimme.de/chemiewerk14