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Ludmilla Dereng und Yelena Friedrich verließen ihre Heimat Kasachstan, um neu anzufangen Alles aufgegeben - auf der Suche nach Glück

23.04.2013, 01:13

Die eine kam mit ihrer Großfamilie, die andere kam alleine. Zwei junge Frauen gingen mit unterschiedlichen Voraussetzungen von Kasachstan nach Deutschland und haben eines gemeinsam: den festen Willen, es hier zu schaffen.

Stendal l Als Ludmilla Dereng vor knapp 15 Jahren nach Deutschland kam, war sie der glücklichste Teenager der Welt. Vom heimatlichen Kasachstan, "wo das Leben sehr hart ist", kam sie nach mit ihrer Familie nach Stendal. Mitgebracht hat sie ihre ganze Familie. Mit ihren Eltern und ihren sechs kleineren Brüdern machte sich auf, eine neue Welt zu entdecken.

"Für mich und meine Brüder war das das Tollste. Wir würden nach Deutschland kommen! Vor allem haben wir uns darauf gefreut, Bananen zu essen! In Kasachstan konnten wir uns das nicht leisten. Wir hatten manchmal zwei Bananen, die haben wir aufgeteilt, damit jeder etwas davon abbekommt. Die ersten Wochen in Deutschland haben wir nur Bananen gegessen. Wie die Affen, hat mein Vater immer gesagt. Aber das hat sich mittlerweile relativiert", erzählt die 27-Jährige und muss dabei selbst lachen, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt.

"Wir haben Bananen gegessen wie die Affen."

Ludmilla Dereng

Allerdings musste sie feststellen, dass sich nicht alles so erfüllte, wie sie es sich erträumt hatte. Das Problem: sie sprach kein Wort deutsch. Ihren Geschwistern erging es ähnlich. Von heute auf morgen kamen sie an eine Deutsche Schule, wo sie als einzige Sprachfremde sofort auffielen. "Das war ganz furchtbar. Wir wurden da reingeschubst in die Klasse, so nach dem Motto: Friss oder stirb", erzählt sie. Sie zog sich zurück, vermied jeglichen Kontakt zu den Klassenkameraden. Freundinnen? Fehlanzeige! "Mit wem hätte ich denn reden sollen?"

Erst nach einem Schulwechsel entspannte sich die Situation. Perfekt war es nicht, findet Ludmilla rückblickend, "aber auf jeden Fall sehr viel besser als an der ersten Schule. In der Komarow-Schule waren wir dann auch nicht mehr die einzigen Migranten. Das hat vieles leichter gemacht." Sogar Freunde habe sie hier gefunden und begonnen, sich endlich wohl zu fühlen in Deutschland.

Heute merkt man Ludmilla Dereng, die mittlerweile Mutter von drei Kindern ist und mit ihrem Mann in Wahrburg wohnt, die Sprachschwierigkeiten kaum noch an. Sicher, sie spricht mit einem Akzent, den man gerne als niedlich bezeichnen würde. Aber das gefällt ihr nicht. Lieber wäre es ihr, man würde ihr gar nicht anmerken, dass sie aus einem anderen Land kommt. Trotzdem hat sie sich durchgebissen und es geschafft, die zehnte Klasse erfolgreich abzuschließen. Sogar ihren Traumberuf konnte sie lernen: Friseurin. Über ein Praktikum, das sie freiwillig über mehrere Monate in einem Friseursalon leistete, bekam sie einen Ausbildungsvertrag angeboten. Sie ist angekommen in Deutschland, mit Mann, Kindern und ihrer Großfamilie. Der Aufbruch in die neue Welt war für Ludmilla "die beste Entscheidung, die meine Eltern jemals für uns treffen konnten".

Für Yelena Friedrich sieht die Welt nicht ganz so rosig aus. Die 25-Jährige kommt ebenfalls aus einem kleinen Dorf in Kasachstan. Der Liebe wegen zog sie nach Stendal, denn "hier lebte schon mein Mann. Ich bin ihm sozusagen nachgezogen. Ganz allein. Ohne meine Familie."

Ihre Ankunft in Deutschland war für sie wie ein Zusammensturz. "Es war ganz schlimm. Ich habe ja alles zurückgelassen. Meine beiden Geschwister, meine Familie. Und ich konnte kein Wort deutsch. Wir haben das in Kasachstan in der Schule nie gelernt. Ich habe mich total verloren gefühlt." Sicherheit und Halt gab ihr nur ihr Mann und seine Familie. Als diese Liebe zerbrach, war sie ganz allein. Mit knapp 20 Jahren kamen ihr Zweifel an ihrem Weg. Was sollte sie tun? Gehen oder bleiben? Wobei: Aufgeben sei nicht ihr Ding. Also bleiben.

Dieser Entscheidung stellten sich jedoch gleich zwei Probleme in den Weg: die schlechten Sprachkenntnisse und die nicht erteilte Aufenthaltsgenehmigung. An der Lösung des ersten Problems arbeitete sie sofort und meldete sich zum Sprachkurs an der Volkshochschule an. Neun Monate paukte sie Deutschvokabeln, besuchte zusätzlich noch beim AWO-Jugendmigrationsdienst in Stendal Deutschkurse, nur um sich so erfolgreich wie möglich zu integrieren. "denn mittlerweile hatte ich mir einen eigenen kleinen Freundeskreis aufbauen können. Ich fühle mich richtig wohl hier, habe eine neue Beziehung und bin sehr glücklich."

"Ich fühle mich richtig wohl und bin glücklich."

Yelena Friedrich

Auch ihre berufliche Zukunft hat Yelena eigenständig angepackt: Durch ein Praktikum im Gastronomiebereich bekam sie gleich eine Lehrstelle. Jetzt befindet sie sich im dritten Lehrjahr und kämpft immer noch - um Vokabeln und um die Aufenthaltsgenehmigung. Bis Dezember darf sie noch in Deutschland bleiben, was dann kommt, weiß sie noch nicht. Aber sie hofft. Immerhin, in ihrem Betrieb hat man ihr schon signalisiert, dass man sie gerne weiterbeschäftigen würde. Die Weichen in Richtung Zukunft sind also gestellt. Welchen Weg Yelena dann nehmen wird, weiß sie noch nicht.