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Zum Tag der Städtepartnerschaften erinnert sich Jürgen Mielke an die Anfänge mit Lemgo "Die junge Genossin war etwas übereifrig"

Von Thomas Pusch 27.04.2013, 03:19

Stendal l "Das ist Geschichte." Jürgen Mielke will eigentlich gar nicht darüber sprechen, wie es war, als Stendal und Lemgo Partnerstädte wurden. "Heute gibt es zu viele Leute, die wissen wollen, wie es damals war", bleibt er kurz angebunden. Man müsse dabei gewesen sein. "Natürlich wurde vieles verordnet, aber das wissen wir doch", fängt er dann aber an zu erzählen. "Jahrelang haben wir den Westen als Klassenfeind gesehen und die uns ja auch, sie haben es vielleicht anders genannt", zeichnet er das Bild vom Kalten Krieg in seiner Endphase.

Offene Sympathie nicht erwünscht

Nach vielen Vorgesprächen kam 1988 eine Delegation aus Lemgo nach Stendal. "Als die aus ihrem VW Bully ausstiegen, hatten wir den Eindruck: Die sind ja fast wie wir", erinnert er sich. Doch Sympathien habe man nicht so offen zeigen dürfen. So sprach er von einer "freundschaftlichen Atmosphäre". Und wurde von einem SED-Oberen zurückgepfiffen. Bestenfalls "freundlich" hätte die Atmosphäre sein dürfen. Doch Mielke hielt sich nicht immer ans Protokoll. Offiziell begrüßte er seinen Amtsbruder natürlich als "Herrn Bürgemeister Wilmbusse". Abends waren es dann aber eher "Jürgen" und "Reinhard"

Die Partei forderte trotzdem Linie ein. Ein Genosse der Parteileitung habe sich darüber mokiert, dass er in seiner Ansprache nicht von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und der Sieghaftigkeit des Sozialismus gesprochen habe. "Hast du keene anderen Probleme", erinnert sich Mielke an seine spontane Antwort. Die eigentliche Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages fand dann in Lemgo statt. "Zu viert sind wir zur Ratifizierung gefahren", erzählt Mielke.

Im folgenden Jahr fuhr wieder eine Delegation aus Stendal nach Lemgo, zu einem Friedenssymposium. Mielke hat noch gute Erinnerungen an diese Reise im Mai, nicht nur wegen der prominenten Besetzung. "Da war auch Gerhard Gies, der spätere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, dabei, und ich habe immer mit meiner Weitsichtigkeit kokettiert", meint er verschmitzt.

Probleme wegen einer Schallplatte

Weniger zum Lachen war ihm bei der Rückreise 1988 am Kontrollpunkt Marienborn zumute. "Wir hatten eine Schallplatte des Kirchheider Chores als Gastgeschenk bekommen." Die Einfuhr von Tonträgern aus dem Westen war verboten. "Und die Genossin war ein wenig übereifrig", schildert Mielke. Das unerwünschte Objekt sollte beschlagnahmt werden. "Wäre es Ihnen lieber gewesen, wir hätten gleich den ganzen Chor mitgebracht?", fragte Mielke keck zurück, ließ sich nicht einschüchtern. Der Tonträger durfte dann doch mit nach Stendal.

Die Wende bedeutete das Ende seiner Amtszeit, aber noch nicht den Schluss seiner Beziehung zu Lemgo. Doch auch der kam. "Ich war 1998 das letzte Mal dort", sagt er ein wenig traurig. Persönliche Schicksale seines Lemgoer Pendants hatten den Draht abreißen lassen.

Seit den Anfangstagen sind noch vier weitere Partnerstädte hinzugekommen. Stadt und Partnerschaftsgesellschaft sorgen dafür, dass der Draht nicht so abreißt wie zwischen Mielke und Lemgo, dass die Beziehungen nicht "von Rathaus zu Rathaus" bleiben, wie Mielke die damaligen Anfänge beschreibt, sondern von Menschen gelebt werden.