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Katholische Pfarrgemeinde investiert 200000 Euro in Orgel von 1870 Old England erwacht in St. Anna

Am 15. Februar 1973 wurde beim Brand der Kirche St. Anna auch die Orgel
zerstört und nie wieder aufgebaut. Nach mehr als 40 Jahren ohne
Kirchenorgel kann die katholische Pfarrgemeinde nun wieder eine Königin
der Instrumente ihr Eigen nennen. Derzeit wird sie von holländischen
Restauratoren aufgebaut.

Von Egmar Gebert 19.06.2014, 03:21

Stendal l Probst Michael Schelenz steht die Freude über die und der Stolz auf die neue Orgel ebenso ins Gesicht geschrieben wie Reinhard Weis. Ein Traum wird wahr. Auf der über vier Jahrzehnte verwaisten Orgelempore der Stendaler Annenkirche steht wieder eine der Königinnen der Instrumente. Zu danken ist das einem Beschluss des Pfarrgemeinderates von St. Anna, dem Reinhard Weis vorsteht. Das Provisorium, Gottestdienste und sonstiges Kirchenleben wenn überhaupt mit einem elektronischen Tasteninstrument begleiten zu müssen, sollte ein Ende haben. St. Anna soll wieder eine Orgel bekommen, war sich der Pfarrgemeinderat einig. Der Orgelsachverständigen des Bistums, Matthias Mück, unterstützte die Idee tatkräftig und vermittelte schlussendlich auch den Kontakt zum holländischen Orgelrestauratoren Fokke-R. Feenstra.

Die katholischen Gemeinde legte das Fundament für die Neuanschaffung - im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Sie sorgte gemeinsam mit Zimmerer Marko Fack dafür, dass das marode Orgelpodest auf der Nonnenempore ihrer Kirche bis auf das darunter befindliche Kreuzgewölbe abgetragen und neu aufgebaut wurde. Und darauf steht sie nun, die Kirchenorgel von St. Anna.

"Robson hat die Orgel 1870 für eine Kirche in Hastings gebaut"

Ein imposantes Instrument, ein Meisterwerk, dem man seine 140 Jahre nicht ansieht. Thomas J. Robson, englischer "Orgelbauer seiner Majestät", so verrät es das Original-Messingschild direkt über den Manualen (der Klaviatur der Orgel), hat das Instrument 1870 gebaut. Die übrige Geschichte dieser Orgel kennt Fokke Feenstra, der nach Pfingsten damit begonnen hat, es in der Stendaler St. Annenkirche aufzubauen. Denn das bereits in seiner holländischen Orgelbau-Werstatt komplett und spielbereit aufgebaute Instrument wurde in seine Einzelteile zerlegt, nach Stendal transportiert und hier wieder zusammengefügt. Gute drei Wochen werden Feenstra und sein Mitarbeiter Luuk Sikkema damit noch beschäftigt sein, bis hin zur Abstimmung der Akustik auf den Kirchenraum von St. Anna.

"Thomas Robson hat die Orgel 1870 für eine Kirche im englischen Hastings gebaut", erzählte der niederländische Orgelrestaurator, der sich mit seiner kleinen Firma auf die Restaurierung kleinerer Kirchenorgeln aus England, Schottland und Irland spezialisiert hat. Wobei "klein" ein relativer Begriff ist. Die Stendaler Robson-Orgel verfügt über 1068 Pfeifen, die größte fünf Meter hoch, in 21 Registern (Reihen von Pfeifen). Die Orgel aus viktorianischer Zeit wurde später, nachdem das Kirchengebäude in Hastings aufgegeben worden war, eingelagert. Vor fünf Jahren wurde das Instrument Fokke Feenstra angeboten, der es aus der englischen Hafenstadt am Ärmelkanal ins holländische Grootegast holte und es dort in den folgenden zwei Jahren restaurierte.

"Das Besondere ist die Klangfarbe, sehr warm und dadurch edel"

"80 Prozent der Orgel sind Originalteile. 20 Prozent haben wie neugebaut, darunter das komplette Gehäuse", sagt der Restaurator. Eine Arbeit übrigens, die der dritte Mitarbeiter seiner Firma, der Schreiner Idsert van der Vaart, ausführte. Bei der Gestaltung einzelner Gehäuselemente orientierte sich van der Vaart auch am Baustil der Stendaler St.-Annenkirche. Doch nicht nur deshalb steht die Pfeifenorgel ihrer jetzigen Kirche gut zu Gesicht. Das Orgelprospekt, die Vorderfront der Orgel mit ihren sparsam verwendeten Schmuckelementen und den silbrig schimmernden Prospektpfeifen, ist ein wahrhafter Blickfang geworden. Wie die neue Orgel von St. Anna klingt, war bei einem kurzen Probeanspiel am Dienstagabend zu erahnen. "Das Besondere an den englischen Orgeln aus dieser Zeit ist ihr Klangfarbe, sehr warm und dadurch edel. Diese Orgeln haben Charakter", sagt der Fachmann und weiß das zu begründen. Unter Königin Viktoria wurden in England sehr viele Kirchen gebaut, also auch Orgeln gebraucht. Das Handwerk boomte, und die Kunst des Orgelbaus erreichte eine hohe Qualität."

Apropos Besonderheiten: Beim Abtragen der alten Orgelempore entdeckten die Gemeindemitglieder eine Flaschenpost. In ihr ist zu lesen: "1973 wurde durch einen Brand der Dachstuhl und die Inneneinrichtung der Kirche zerstört. Am Wiederaufbau der St. Annenkirche waren folgende Zimmerleute beteiligt ..."

"Die Hälfte dessen, was ein neues Instrument kosten würde"

Es folgen die Namen der Handwerker und der abschließenden Satz: "Die Fertigstellung sämtlicher Zimmererarbeiten war im Mai des Jahres 1974." Diese Nachricht, ergänzt durch die wichtigsten Informationen zum Neubau der Empore, sind als Flaschenpost wieder im Gebälk verstaut, auf der die Robson-Orgel von St. Anna steht.

Der Pfarrgemeinde kostete ihre neue, geschichtsträchtige Orgel rund 200000 Euro. "Das ist ungefähr die Hälfte dessen, was ein komplett neues Instrument dieser Größe gekostet hätte", ordnet Fokke Feenstra den Preis ein. Eine Investition, die sich mehr als gelohnt hat, sind sich Probst Schelenz und Pfarrgemeinderatsvorsitzender Weis einig.

Bis sich die Mitglieder der katholischen Pfarrgemeinde St. Anna davon überzeugen können, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Die Orgelweihe ist für den 12. Oktober vorgesehen. Das hat nichts mit dem Fertigstellungstermin zu tun - der und die Abnahme der Orgel sind im Juli geplant - sondern mit dem Terminkalender des Bischofs.

Reinhard Weis: "Nachdem wir so lange auf unsere neue Orgel gewartet haben, können wir mit dieser kurzen Pause leben."