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Kurz vor Weihnachten herrscht große Nachfrage in Stendaler Obdachlosenunterkunft Obdachlose werden immer jünger

13.12.2014, 01:11

Obdachlose unter der Brücke oder vor dem Luftschacht am Kaufhaus sind in Stendal kaum zu finden. Und doch gibt sie. Dann ist es Aufgabe der Kommune, eine Notunterkunft bereitzustellen. In Stendal kümmert sich das Ordnungsamt derzeit um sechs Menschen ohne Obdach.

Stendal l Ein Mensch liegt mit Zeitungspapier zugedeckt auf einer Bank. Leere Bierflaschen stehen davor. Die wenige Habe, die ihm noch geblieben ist, trägt er bei sich, in einem Beutel, dicht an seine Brust gedrängt, während er schläft. Menschen ohne Obdach, die auf Parkbänken schlafen, unter Brücken oder in Abrisshäusern wohnen, kennt man eigentlich nur aus Filmen oder aus Großstädten. Kaum vorstellbar, dass sich dieses Großstadtszenario direkt vor der eigenen Tür abspielt, auch, wenn es in Stendal nicht Alltag ist. Dennoch gibt es sie, die Menschen ohne Obdach, die in der Hansestadt leben, im Sommer vielleicht noch im Park oder in Gartenlauben unterkommen. Im Winter aber wird die Situation problematisch. Die Kälte zwingt sie, sich um ein Dach über den Kopf zu kümmern, und sei es nur die Obdachlosenunterkunft im Hohen Weg 3.

Derzeit sechs Menschen in der Obdachlosenunterkunft

"Hier können bei Bedarf innerhalb weniger Minuten Menschen in Notsituationen untergebracht werden", erzählt Mandy Krümmel, Leiterin des Stendaler Ordnungsamtes. Sie erklärt auch, dass die Bereitstellung einer Obdachlosenunterkunft für die Stadt zu den Pflichtaufgaben gehört und damit sowohl Personal als auch Finanzen bereitgestellt werden müssen. Für die Stadt Stendal kommen damit jährliche Kosten von knapp 41000 Euro für die Unterhaltung und die Überwachung des Gebäudes durch einen Sicherheitsdienst zu.

"Hier stehen etwa 40 Plätze zur Verfügung", sagte Mandy Krümmel. Zusätzlich gebe es noch Betten in der Notunterkunft für die kurzzeitige Unterbringung von Menschen nach Wohnungsbränden oder einem Heizungsausfall. Derzeit sind in der Obdachlosenunterkunft Stendal sechs Menschen untergekommen. Zwei dieser Bewohner kommen aus Stendal Süd. Wer obdachlos ist, der brüstet sich nicht gerne damit. Deshalb wollen die Betroffenen auch nicht mit der Volksstimme über ihre Situation sprechen, und wenn doch, dann nur ganz kurz und natürlich anonym (siehe Infokasten).

"Wer hierher kommt, ist am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen. Viele sind durch Trennungen vom Partner oder durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder sogar beides emotional so belastet, dass sie sich selbst nicht mehr fangen können. Sie haben sich aufgegeben", erklärt Elona Mowitz. Die junge Frau kümmert sich seit einem knappen halben Jahr ehrenamtlich um Menschen ohne Obdach oder um jene, die von Obdachlosigkeit bedroht sind (Volksstimme berichtete).

Viele Betroffene sind erst um die 20 Jahre alt

Ihr ist auch aufgefallen, dass die Menschen, die in solche Lebenssituationen geraten immer jünger werden. "Teilweise sind sie gerade mal Anfang 20." Das bestätigt auch Mandy Krümmel. Seit einiger Zeit beobachtet sie die erschreckende Zunahme junger Obdachloser. "Viele haben zu Hause Probleme oder bekommen nach der Ausbildung keinen Arbeitsplatz. Klar, der Staat kümmert sich um diese Zielgruppe, aber viele von ihnen wissen gar nicht, wie sie ihr Leben anpacken sollen." In diesem Jahr haben bisher 14 Menschen Zuflucht in der Obdachlosenunterkunft gesucht. Acht von ihnen konnten bereits in eine Wohnung vermittelt werden. "Das ist unsere wichtigste Aufgabe", so Krümmel. "Die Menschen können nicht dauerhaft in der Unterkunft bleiben. Deshalb sind wir bemüht, sie so schnell wie möglich wieder in eigene vier Wände zu vermitteln."

Um die verbleibenden sechs Bewohner kümmern sich jetzt die Mitarbeiter des Ordnungsamtes. "Die Menschen brauchen vor allem Ziele und Stabilität in ihrem Leben", so Krümmel. "Das ist eine größere Herausforderung, als die Suche nach einer Wohnung."

Obdachlos ist, wer keine feste Wohnung und keine feste Adresse beziehungsweise keinen Mietvertrag hat. Neben wirtschaftlichen Notlagen führen auch einschneidende Erlebnisse wie schwer zu verarbeitende Schicksalsschläge, an die sich meist der finanzielle Abstieg anschließt, zum Verlust der Wohnung.