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Geburtenknick nach 1989 löste Schulsterben aus / Privatschulen und quotenfreies Abitur / Stendals Trumpfkarte Immer weniger Schüler lernen in der Altmark – Fachhochschule wächst

Von Holger Thiel 13.04.2010, 04:52

Die Altmärker werden älter und weniger. Bis zum Jahr 2050 könnte sich die Einwohnerzahl von 215 000 auf bis zu 160 000 verringern und sich das Durchschnittsalter auf um die 50 Jahre einpendeln. Eine große Herausforderung für die Altmark. Sie hat schon einmal bewiesen, dass sie Umbrüche bewältigen kann – nach der Wende 1990. Nur müssen die Altmärker wissen, wohin sie steuern wollen und ob sie auf Unterstützung durch die Politik hoffen können. Heute Teil II der Volksstimme-Serie " Altmark 2050 " : Bildung.

Stendal / Salzwedel. " Kinder dringend gesucht !" Auch auf die Altmark trifft dieser Ruf zu. Die Schülerzahlen haben nach der politischen Wende 1990 eine dramatische Entwicklung genommen. Waren es einst mehr als 40 000 Kinder und Jugendliche, die an mehr als 150 altmärkischen Schulstandorten lernten, sind es jetzt nur noch rund 23 850 Schüler. Der Geburtenknick nach der Wende dünnte die Schullandschaft aus. Zum Vergleich : 1987 gab es laut Statistischem Jahrbuch der DDR in der Altmark 4295 Geburten. Im Jahr 2008 waren hingegen es nur noch 1611.

Die Folgen sind spürbar. Mehr als ein Drittel der Schulen und Außenstellen in der Altmark mussten seit 1993 geschlossen werden. Oftmals trotz energischen Protestes der Eltern. Ob in Seehausen, Havelberg oder in Salzwedel – der Ruf nach Ausnahmeregelungen für die dünnbesiedelte Altmark war und ist unüberhörbar. " Doch wenn keine Kinder da sind, kann man nichts machen ", resümiert Annegret Schwarz.

Sie ist seit mehr als zehn Jahren Vorsitzende des Kreiselternrates im Landkreis Stendal und hat so manchen Kampf um den Erhalt von Schulstandorten ausgefochten. Ein Ende der Schulsterbens sieht sie in der östlichen Altmark noch nicht. " Im Zuge der Gemeindegebietsreform werden wohl noch einige Grundschulen geschlossen werden ", schätzt sie ein. In der westlichen Altmark sind vorerst alle 46 Schulstandorte bis zum Jahr 2018 festgezurrt. Was danach kommt, hängt davon ab, ob die derzeitige Geburtenquote gehalten werden kann. Angesichts der Tatsache, dass vor allem junge Frauen die Altmark verlassen, bezweifeln Demographen das.

" Nordverbund " sichert die Berufsschulen

Mittlerweile haben die Folgen des Geburtenknicks die Berufsschulen erreicht. Um den Erhalt der drei Berufsschulen in Salzwedel und Stendal zu sichern, haben die beiden altmärkischen Kreise zusammen mit dem Jerichower Land und dem Landkreis Börde einen " Nordverbund " gebildet. In 185 Berufen der dualen und der Vollzeit-Ausbildung kooperieren die vier Kreise. Nicht ohne Grund. In den vergangenen Jahren sind Millionen Euro in die Schulen investiert worden. Allein in die drei Berufsbildenden Schulen flossen 115 Millionen Mark. Aber auch die Grund- und Sekundarschulen sowie Gymnasien sind schrittweise modernisiert worden. Ein Ende der Investitionen ist nicht in Sicht. So wird in den kommenden zwei Jahren die Gardelegener Karl-Marx-Schule neugebaut. Kostenpunkt : rund fünf Millionen Euro. In Stendal wird für 3, 4 Millionen Euro die Grundschule Nord neu errichtet.

Private Schulen bereichern das Angebot

Neben den staatlichen Schulen haben sich in den vergangenen 15 Jahren auch private Schulen erfolgreich in der Altmark etabliert. Die Spannweite der derzeit neun Schulstandorte reicht von der evangelischen Grundschule in Salzwedel über die ebenfalls in Salzwedel gelegene freie Jeetzeschule bis zum Privatgymnasium in Tangermünde.

Dass Eltern für die Bildung ihrer Kinder Schulgeld zahlen, war vor 1989 in der DDR undenkbar. Ebenso aber auch, dass der Sonnabend dauerhaft unterrichtsfrei ist und der Zugang zum Abitur jedem Kind entsprechend seiner Leistung ermöglicht wird.

Sanierte Gebäude und moderne Unterrichtsmittel sind das eine. Strukturen und Lehrerschaft das andere. Für die Elternratsvorsitzende Annegret Schwarz sind genau das die wunden Punkte der vergangenen 20 Jahre. " In wohl keinem anderen Bundesland gab es so viele Schulreformen, wie in Sachsen-Anhalt ", sagt sie. Die Folge war eine permanente Unruhe unter den Schülern, Eltern und Lehrern. Erst in den vergangenen Jahren sei es ruhiger geworden, habe sich die Bildungspolitik mehr den Inhalten als den Strukturen zugewandt. Für die Lehrer wünscht sich die engagierte Mutter, dass sie künftig mehr Zeit für die Schüler erhalten und auch länger an ihrer jeweiligen Schule unterrichten können.

Volkshochschulen wirken in die Fläche

Bewegte Zeiten erlebten auch die Musik- und Volkshochschulen beider Landkreise. Die Kreisfusionen 1994 waren zu bewältigen. Immer wieder war die Frage von Außenstellen in der mehr als 4700 Quadratkilometer großen Region angesichts des Kostendrucks neu zu stellen. Dabei zeigten sich die Altmärker als durchaus findig : Die 14 Lehrer der Havelberger Kreismusikschule " Ferdinand Vogel " fahren beispielsweise zu ihren Schülern. An 21 Orten unterrichten sie den Umgang mit Instrumenten und den Gesang.

Auf dezentrale Wirkung setzen auch die beiden Volkshochschulen, die im vergangenen Jahr fast 8000 Altmärker in 740 Kursen unterrichtet haben. Mehr als 12 000 Stunden sind dabei gegeben worden. Beide Kreis-Volkshochschulen sind nicht nur über Außenstellen in der Fläche präsent : Die Dozenten fahren bei Bedarf auch in die Dörfer.

Neues Terrain hat die Altmark 1992 betreten, als Stendal mit einem Brückenkurs für Betriebwirtschaft Hochschulstandort wurde. Neben der Außenstelle Falkenberg des Umweltforschungszentrums ( UFZ ) Leipzig-Halle ist die seit dem Jahr 2000 vereinigte Fachhochschule Magdeburg-Stendal die zweite wissenschaftliche Einrichtung der Region. Dass die Altmark zu ihrer Hochschule steht, hat sie im Jahr 2005 mit einer landesweit vielbeachteten Spendenkation bewiesen. 100 000 Euro sind innerhalb von sieben Monaten gesammelt worden, um so den vorzeitigen Baubeginn für das Haus III ( Audimax ) zu ermöglichen. Im April 2008 konnte die umgebaute Kaserne eingeweiht werden.

Rund 1900 Studenten in den Fachbereichen Angewandte Humanwissenschaften und Wirtschaft zählt mittlerweile der Hochschulstandort in der ehemaligen Garnisonsstadt. " Sie kommen aus dem gesamten Bundesgebiet ", stellt Prorektor Prof. Wolfgang Patzig zufrieden fest. Stendal ist begehrt. So haben sich beim Wintersemester 2009 / 2010 insgesamt 462 junge Frauen und Männer für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre entschieden. Am Ende konnten 171 das Studium beginnen.

Wenig Hoffnung auf Ingenieursausbildung

Doch vor allem ein Studiengang könnte sich als Trumpf erweisen : " Bildung, Erziehung und Betreuung im Kindesalter – Leitung von Kindereinrichtungen ". Seit 2009 gibt es diesen Studiengang, der Erzieherinnen in Kindertagesstätten einen anerkannten Abschluss ermöglicht.

Politikern und Unternehmern, die oftmals den Wunsch nach einer Ingenieursausbildung in der Altmark äußern, macht Prof. Patzig wenig Hoffnung.

" Wir sind eine Fachhochschule ", stellt der Prorektor mit Blick auf die Ingenieursausbildung der FH in Magdeburg fest. Das Land hat dafür Millionen in moderne Technik und Labors investiert. " Ein Umzug nach Stendal ist schwer vorstellbar ", sagte Professor Patzig.