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Hajo Schumacher "Chillen bis zur Aggression"

Nach der Abi-Feierstunde der Privatgymnasien Stendal und Tangermünde
stellte sich Hajo Schumacher den Fragen der Volksstimme. Tanja Andrys
sprach mit dem prominenten Medienmacher über inneres Gleichgewicht, die
zweite Persönlichkeit und halbfertige Romane.

07.07.2015, 09:55

Volksstimme: Herr Schumacher, Sie haben den Abiturienten während Ihrer Festrede erzählt, dass diese ihr Abitur als Geschenk betrachten sollen. Geschenke aber erarbeitet man sich doch nicht und ich denke, viele der Jugendlichen haben bestimmt sehr hart für ihr Abi gearbeitet. Was wollten Sie den Jugendlichen denn damit sagen?
Hajo Schumacher: Das Geschenk ist viel mehr die Grundlage, die ihnen quasi zu Füßen lag, ohne dass sie was dafür tun mussten, als der Ort, in den sie hineingeboren wurden. Ich nenne das immer Gen-Pool. Alle Gene sind vermischt und werden ausgestreut, und das eine landet eben in einer netten Familie in Stendal und das andere vielleicht in Afghanistan. Da sind die Chancenunterschiede quasi schon vorgegeben.

Mittlerweile lassen sich Abiturienten ihren Abiball richtig was kosten, so als kleinen Luxus zum Abschluss nach zwölf Schuljahren. Was ist denn für Sie Luxus?
Für mich gibt es nur zwei Arten von Luxus: ein gut sitzender Anzug, den brauche ich ja auch beruflich immer mal wieder und da fühle ich mich auch wohl drin. Das zweite ist ein gutes Fahrrad. Ich fahre sehr viel Fahrrad und es gibt nichts Schlimmeres, als eine Schrottmöhre, wo man bei jeder Gelegenheit einen Platten hat.

Das klingt recht bescheiden.
Ja. Obwohl, Zeit ist mir auch sehr wichtig. Ich habe gelernt, mich auch zurückzunehmen und nicht mehr alles gleichzeitig zu machen. Das Leben sollte am besten im Gleichgewicht funktionieren.

Das haben Sie den Absolventen auch geraten. Glauben Sie, das funktioniert schon in dem Alter?
Ich glaube, in dem Alter kann man eigentlich nur rennen. Wobei, die können auch ganz gut chillen. Manchmal so gut, dass man selbst leichte Aggressionsschübe bekommt. Vielleicht ist das deren Art von Gleichgewicht.

Sie sind Journalist, Verleger, Buchautor, Moderator, Kolumnist und Sportler. Wann finden Sie denn bei dem Pensum Ihr Gleichwicht?
Alles zusammen schaffe ich nicht, da kommt irgendwas zu kurz. Ich habe für mich festgestellt: Runter vom extremen Training. Ich habe dadurch keinen Druck mehr.

Solch einer Erkenntnis geht meist ein Loch voraus, in das man gefallen ist.
Das Loch war in Berlin beim Marathon 2011. Ich war gut vorbereitet, bin auch ins Ziel gekommen und habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Ich war einer von denen, über die ich mich immer selbst lustig gemacht habe. Und da dachte ich, das kann doch nicht der Sinn von Sport sein, dass der Körper so reagiert.

Sie sind ein erfolgreicher Autor und Sportler und verbinden beides mit Ihrem sportlichen Ich, dem Achim Achilles. Warum diese zweite Persönlichkeit?
Als Hajo Schumacher bin ich politischer Journalist, also wie ein scheinbar seriöser Theaterkritiker, der immer so tut, als sei das auf der Bühne alles echt. Und Achilles ist ein Proll. Und er ist ehrlich. Er flucht, er mobbt, am liebsten sich selbst, der ist ungerecht und politisch unkorrekt. Ich wollte die beiden trennen.

Wie lebt es sich denn mit Hajo Schumacher und Achim Achilles? Vertragen die sich oder gibt es Streit?
Das klappt super. Die sind dufte Kumpels.

Sind Sie jemand, der direkt seinen Weg geht oder der auch gerne mal abschweift?
Beides. Da kommen eben wieder Achim und Hajo zusammen. Ich schreibe jedes Jahr ein Buch. Da braucht man schon einen präzisen Plan. Wenn der Verlag sein Abgabedatum sagt, dann ist dann auch Abgabe. Da ist Disziplin und Zielstrebigkeit gefragt. Auf der anderen Seite bastele ich seit sechs Jahren an einem Roman. Ich glaube, jeder Journalist hat irgendwelche Romananfänge in der Schublade. Genau hier ist das Problem: die ersten zehn Seiten sind gemacht, fehlen nur noch 348.

Vielleicht wird\'s dann nur eine Kurzgeschichte?
Ja, genau, das könnt? ich machen. Ich könnte einfach sagen: Das muss so. Das ist eine Sammlung von Romananfängen. Schöne Buchidee. Danke.

Gerne, mit den Tantiemen werden wir uns schon einigen. Aber wie war das jetzt mit den geraden und den ungeraden Wegen?
Also, ich finde, wenn man eine ganze Weile zielstrebig war, darf man auch ruhig mal chillen, experimentell sein und einige Romananfänge schreiben.

Hajo Schumacher studierte Journalistik, Politikwissenschaft und Psychologie und ist begeisterter Läufer. Er arbeitete beim "Spiegel". Als "Achim Achilles" schreibt er bei Spiegel online erfolgreich Lauf-Geschichten.