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Nachfahren der Wagenführs besuchten Park und Schloss / Gerhard Borstell: "Waren begeistert" Ein Album aus Amerika bringt ein Stück Stadtgeschichte nach Tangerhütte zurück

Von Birgit Schulze 08.06.2012, 05:23

Nachfahren der Familie Wagenführ/von Arnim, die um 1840 mit der Eisenverhüttung im damaligen Vaethen begonnen und mit der Gießerei den Grundstein für die Entwicklung der jüngsten Stadt der Altmark gelegt hatte, waren jetzt in Tangerhütte zu Gast. Und sie ließen Familienerinnerungen in Form eines Albums dort - ein kleiner Schatz, der das Archiv der Stadt bereichern soll.

Tangerhütte l Ganz aus den Köpfen der Tangerhütter sind sie nie verschwunden, die Nachfahren der Fabrikantenfamilie, die Tangerhütte erst zu dem werden ließ, was es ist. Mit dem Errichten des Alten und des Neuen Schlosses, aber auch der kunstvollen Gestaltung des heutigen Stadtparkes haben sich die Wagenführs ein bleibendes Denkmal gesetzt. Nach Krieg, Enteignung und unschönen Erinnerungen wollte die Familie lange nichts mehr von Tangerhütte wissen. Das Neue Schloss war 1911 zur Hochzeit von Franz Wagenführ und Hildegard Carp erbaut worden. "Lediglich Franzie Perreand, Tochter der 1914 geborenen Angelika Wagenführ von Arnim hatte immer wieder mal telefonisch Kontakt nach Tangerhütte", berichtet Ortsbürgermeister Gerhard Borstell.

Jetzt kam deren Tochter, Angie Hendersson aus Luisiana/USA, gemeinsam mit Cousine Veronica Theresa de Fries an den Ort, der in den alten Familienalben immer wieder auftaucht - mit Aufnahmen von der Hochzeit ihrer Großeltern Frederic Wirth und Angelika Wagenführ von Arnim etwa.

Die hatten 1936 noch in der Tangerhütter Kirche den Bund fürs Leben geschlossen, bekamen zwei Kinder, eines von ihnen hieß Franzie. Und die ist auf einigen Fotos noch als Kind beim Spielen auf den Treppenabsätzen des Schlosses, damals noch mit schönen Teppichen belegt, zu sehen. Doch auch Anzeigen zu Verlobung und Hochzeit oder ein Bild salutierender Hüttenschützen, die zur Hochzeit auf dem Ehrenhof vor dem Schloss angetreten waren, lassen einen Teil der Stadtgeschichte lebendig werden.

Fast sieht man die Kleider von damals wieder durch die Gänge rauschen und hört das Lachen der Kinder mit den Blütenkränzen im Haar. "Viele Tangerhütter kannten noch Familienmitglieder der Wagenführs persönlich, manche hatten auch noch privat Verbindungen, so wie unsere Heimatforscherin Ruth Wolff, die damals noch Kontakt zu einzelnen Familienmitgliedern hielt", erzählt Ortsbürgermeister Gerhard Borstell.

Als sich vor kurzem die beiden Damen aus Louisiana und Panama angekündigt hatten, weil sie zu einem Familientreffen in Süddeutschland weilten, war für ihn schnell klar: "Wir wollten gute Gastgeber sein." Gemeinsam mit Kulturhausleiter Sven Biermann begleitete er die Frauen durch Park und Schloss, aber auch auf den städtischen Friedhof, wohin die Toten der Familie aus dem Mausoleum zu DDR-Zeiten umgebettet worden waren.

Im Schloss selbst habe Angie Hendersson immer wieder mit ihrer Mutter Franzi telefoniert, um nach Details zu fragen. Wo das Kinderzimmer gewesen sei etwa. "Sie haben viele Fotos gemacht für zu Hause, aber sie waren auch ganz begeistert und haben sich bei uns als Stadt bedankt dafür, dass wir das kulturelle Erbe ihrer Familie angetreten haben."

Seit einigen Jahren geht es in Stadtpark und Schloss aufwärts, als Mitglied im Landesprojekt "Gartenträume" ist die Wiederherrichtung des englischen Landschaftsparkes mit seinem künstlichen Wasserfall, dem Deckelvasenrondell und den historischen Wegeführungen bereits gefördert worden.

Auch im Schloss ist, wenn auch nur schrittweise, schon einiges passiert. Sanitäranlagen sind neugestaltet, Böden in Kaminzimmer, Bridgezimmer und großem Saal aufgearbeitet und auch die Stuckdecke im Festsaal ist renoviert worden. Als Angie Hendersson 1990 einmal hier war, da war das Neue Schloss, das eigentlich nur eine Villa ist und anlässlich der Hochzeit ihrer Urgroßeltern 1911 erbaut worden war, noch ein Altenpflegeheim.

"Damals konnte sie auch nicht in die Räume hinein", erzählt jetzt Gerhard Borstell. Dass es inzwischen Bestrebungen gibt, das Schloss soweit wie möglich zu erhalten und nach alten Vorlagen wieder herzurichten, freute die Nachfahren der Wagenführs sehr. Auch deshalb ließen sie guten Gewissens ein Stück Familiengeschichte in einem dicken Album da - samt Stammbaum und Hochzeitszeitung fürs Stadtarchiv.

Um den Kontakt zu halten, aber auch, um sich zu bedanken, wollen Gerhard Borstell und Sven Biermann jetzt die Kopie einer in Tangerhütte verfassten Abhandlung über das Wirken des Otto Funkes nach Amerika schicken. Funke hat unter anderem den kunstvoll verzierten Kamin in der Belle Etage des Schlosses geschaffen. Er begann im Eisenwerk als Modelltischler und wurde später als Bildhauer bekannt. Er war auch an der künstlerischen Ausgestaltung des Parkes beteiligt - unter anderem gestaltete er die Sphinxen vor dem Schloss. Den Park ziert bis heute auch der filigrane Kunstgusspavillon, den die Familie Wagenfür bereits bei der Weltausstellung in Paris 1889 als Tangerhütter Produkt präsentiert hatte.