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Aus dem Leben eines Menschen mit geistiger Behinderung Sascha (18) ist mit seinem Leben zufrieden

Von Sylvia Loth 27.06.2009, 05:28

Hamersleben. Montagfrüh, halb elf, betrete ich das Zimmer der Textil- und Hauswirtschaftsgruppe der Förderschule für Kinder mit geistigen Behinderungen am Mühlenberg. Mein Blick schweift durch den Raum. Ich erkenne zwei große Holztische, einige Stühle, Regale mit Spielen und Bastelzeug, einen CD-Player und eine Küche. Erst einmal bin ich verwirrt : Ist das der Aufenthaltsraum oder etwa das normale Klassenzimmer ? Da begrüßt mich Lehrerin Christina Venzkl mit einem " Hallo, kommen Sie rein, wir haben Sie schon erwartet. Wir hatten gerade Teepause, aber gleich geht es weiter. " Auf einmal schauen mich zehn Augenpaare an. Ihre Blicke sind fragend, erwartungsvoll und vor allem freundlich. Ich fühle mich sofort willkommen. Schnell mache ich mich mit allen bekannt und sehe auch schon Sascha. Der 18-Jährige ist mit ein paar anderen noch mit dem Abwasch des Teegeschirrs beschäftigt. Wow, denke ich mir. Das hätte ich früher in der Schule auch gerne gehabt : Eine gemeinsame Teepause. " Hallo ", sagt Sascha und lächelt.

Ein paar Minuten später, ich sitze schon gespannt auf meinem Stuhl, beginnt der praktische Teil des heutigen Schultages. Wie in den vergangenen Schulstunden steht Filzen auf dem Programm. " So Sascha, dann holst du dir bitte die Sachen, die du brauchst ", sagt Christina Venzkl. Der Schüler geht zielstrebig zum Schrank. Die Schüssel mit Seife stellt er auf den Tisch. " Was brauchst du noch Sascha ?", seine Lehrerin sieht ihn geduldig an. " Weiß nicht ", sagt Sascha. Sascha Ahrens ist von Geburt an geistig behindert. Festgestellt wurde das, als er sechs Monate war. Da hat er seine Arme immer anders gehalten als die anderen Babys. Und das ist bis heute so. Denn häufg zuckt er mit den Armen und macht seltsame Bewegungen.

" Da gucken die Leute schon komisch oder lachen, wenn er das macht ", hatte mir seine Mutter im Vorfeld erklärt.

" Wie wär ‘ s mit Filz und warmem Wasser ?", sagt Cristina Venzkl. " Achso ", entgegnet Sascha. Vorsichtig stellt er die Schale mit Wasser ab. Dann kann es losgehen. Während Sascha einen Kirschenstengel flzt, sagt er das, was jeder andere Schüler auch sagen würde. " Ich will jetzt lieber in der Sonne liegen. " Dabeiwirftereinensehnsüchtigen Blick aus dem Fenster. " Nachmittag, mach das. " Wenn Sascha spricht, vergisst er Wörter. Oftmals spricht er wie fast alle geistig behinderten Menschen so leise, dass er kaum zu verstehen ist oder macht Gedankensprünge.

Die nächste Pause verbringen Sascha und seine Mitschüler im Freien und genießen die warmen Sonnenstrahlen. Dann geht es weiter.

Ich versuche mich nun ebenfalls am Filzen eines pinken Herzens. Als ich dieses dann einer Schülerin schenke, bin ich von ihrer Reaktion überwältigt. Sie blickt mich mit ihren großen blauen Augen an und legt es vorsichtig in ihre Handfäche. Dann umarmt sie mich stürmisch und lacht herzlich. Schön zu sehen, was so kleine Gesten für eine Wirkung haben können. Aber es heißt wohl nicht umsonst, dass die Arbeit mit behinderten Menschen erfüllend ist.

Sascha schafft insgesamt drei Stengel. Dann wird gemeinsam aufgeräumt und in einer offenen Runde erzählen alle Schüler und Schülerinnen, als Sprech- und Gedächtnisübung, was sie heute erlebt haben.

Nach dem Mittagessen wird Sascha gegen halb zwei von seiner Mutter abgeholt.

Den 15 minütigen Fußweg geht Sascha entweder mit seiner Mama oder wird von seinem Papa mit dem Auto abgeholt. Fröhlich vor uns herlaufend geht er im Hüpfe-Schritt voran. Lediglich bei der Straßenüberquerung muss seine Mutter aufpassen, da er nicht nach links und nach rechts schaut.

Zuhause angekommen, werden erst einmal sein Hase Schwarzkopf, wenn Sascha das sagt, hört sich das wie Schwarzkopp an, und der Mischlingshund Tom begrüßt. Sascha ist tierlieb und kümmert sich liebevoll um seinen neun Jahre alten Hasen. Außerdem geht er jeden Tag nach der Schule gemeinsam mit seiner Mama und mit Tom spazieren.

Doch weil ich heute da bin, fällt der Spaziergang fürs Erste aus. Stattdessen zeigt mir Sascha sein Zimmer. Oben unterm Dach ist sein Reich : Viele Spielsachen, vor allem Playmobilsachen, CDs, eine DVD-Sammlung mit Fantasy- und Disneyf lmen und einige Tier-Poster.

" Lieblingstier sind Fische ", sagt Sascha und setzt sich auf seine Nemo-Bettwäsche. Was er denn so mag, will ich wissen. Sofort greift er zu einer Scooter-CD und dreht laut auf. Sein Bruder, der nebenan am PC sitzt, wirft ihm durch die offene Tür einen vielsagenden Blick zu. Wie bei allen Geschwistern eben.

Wie kommt eigentlich Philipp ( 15 ) damit zurecht, dass sein Bruder behindert ist ? " Natürlich ist es schwer. Aber ich schäme mich nicht für ihn. Letztens, als ein Kumpel von mir da war, hat der sich sogar mit Sascha unterhalten. "

Und Sascha, was sagt der zu der Situation ? Der begreift das alles gar nicht. Seine Welt dreht sich ums Spielen, Tiere und seine Filmhelden. Für ihn steht fest, dass er später auf jeden Fall eine eigene Familie haben wird. Doch was das bedeutet, kann er nicht realisieren.

Ab August fängt er in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Oschersleben an zu arbeiten. Dort wird er unter anderem Bonbons verpacken. Und was ist sein allergrößter Wunsch ? " Autofahren ", sagt Sascha und holt ein rotes Spielzeug-Cabrio aus seiner Sammlung. Doch das wird leider nie möglich sein. " Und eine Freundin hätte ich auch gerne. " Wie jeder junge Mann in seinem Alter.

Zum Schluss möchte ich von seiner Mutter wissen, ob Sascha denn jemals alleine leben können wird. " Auf seinem jetzigen Stand nicht. Immerhin braucht er sogar Hilfe beim Waschen und Anziehen. Wenn, dann käme nur ein betreutes Wohnen infrage. " Aber jetzt wird der erste Schritt sein, jeden Tag mit dem Bus nach Oschersleben zur Arbeit zu fahren. Ob Sascha davor Angst hat ? " Nein. Aber aufgeregt ", sagt er, hält seinen Kopf schief und blickt zur Seite.