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Heute Festempfang und Sportlerball unterhalb des Brockens ESV Schierke – Pionier des Eishockeysports wird 100 Jahre

Von Regina Urbat 06.11.2010, 05:17

Mit einem Festempfang und Sportlerball wird heute Abend in Schierke die Gründung des Eishockeysports vor 100 Jahren gefeiert. Gleichzeitig wird an die aufstrebende Zeit, die Tiefschläge und den Kampf um den Erhalt dieser – für viele schönen Sportart erinnert.

Schierke. Die Gründung des Eishockeysports in der Brockengemeinde ist untrennbar mit dem Bau des Eisplatzes verbunden, dem heutigen unter Denkmalschutz stehenden Eisstadion.

Es war im September vor 100 Jahren, als in der Oberharzgemeinde eifrig mit dem Bau eines Eisplatzes, dessen Fläche damals größer als die des Berliner Eispalastes war, auf dem Grundstück des Hotels Fürstenhöh begonnen wurde.

Die Arbeiten erwiesen sich als schwierig, der Boden war übersät mit tonnenschweren übereinanderliegenden Granitfelsblöcken. Es wurde berichtet: "Da kann man nicht mit dem Spaten kommen, da heißt es bohren, mit Dynamit sprengen, Brechstange und Spitzhacke anwenden und mit Schienensträngen die zerkleinerten Granitbrocken und den Felsenkies transportieren."

Zum Ende der Bauphase wurde im November der Schierker Eishockey- und Skeleton-Club unter Vorsitz von Professor von Badersleben aus Berlin gegründet. Sportwart und Vorstandsmitglied war Otto Hartmann, Kurhaus-Direktor und Wintersport-Aktivist. Ihm verdankte die nach Schierke pilgernde Sportwelt neben Skipisten, Rodel- und Bobbahnen nun auch diese neue Natureisfläche. Sie hatte dank ihrer Lage neben der Bode immer reichlich Wasser.

Berliner schwärmten von den Bedingungen

Das hat sie heute noch, doch vom lebendigen Eisstadion ist sie weit entfernt. Um so mehr werden sich heute die Gäste des Festempfangs an "die guten alten Zeiten" erinnern.

Begonnen hatten sie am 5. Februar 1911 mit dem ersten Eishockeyspiel zur Einweihung des Eisplatzes. Noch waren nur Berliner Mannschaften am Start. Sie schwärmten von der Qualität des Eises, dem Platz in Schierke wurde eine große Zukunft prophezeit. 1912 noch nicht, der Winter war zu mild.

Ein Jahr später jagte man der Hartgummischeibe nach kanadischen Regeln hinterher, wieder gewann der Berliner Schlittschuhklub. Diesmal jedoch das Endspiel der Deutschen Meisterschaftsrunde. Damals gehörte Schierke neben Berlin, Hannover, Nürnberg, München, Hamburg, Dresden und Leipzig zu den Pionieren des Eishockey-Sports; dokumentiert in den Analen des Deutschen Eishockey Bundes.

Mit dem 1. Weltkrieg endete vorerst der große Aufschwung im Wintersport in Schierke. 1920 wurde wieder Eishockey gespielt, 1928 die erste eigene Mannschaft in der Oberharzgemeinde gebildet. Wettkämpfe bestritt das Team noch nicht. 1931 richtete Schierke die 16. Deutsche Eishockey-Meisterschaft aus, eine Sternstunde für das Eisstadion an der Bode.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Trainings- und Spielbetrieb wieder aufgenommen. Von Erfolg zu Erfolg eilten die Eishockeyspieler der Sportgemeinschaft Schierke, die 1949 bei den Titelkämpfen Anfang Februar im heimischen Stadion Landesmeister Sachsen-Anhalts wurde. Ein Jahr später nahmen sie an den 1. Wintersportmeisterschaften der DDR teil, ebenfalls in Schierke ausgetragen, und ließen sich als Viertplatzierter und erneuten Landesmeister feiern.

Damals wurde der Eisplatz ein Eisstadion, und das Schierker Team erhielt seine erste komplette Ausrüstung. In orangen Pullovern lieferten sich die Oberharzer spannende Duelle gegen Mannschaften aus Weißwasser, Frankenhausen, Berlin, Brotterode und Ballenstedt. In die Herzen der Anhänger spielte sich die Stammformation mit: "Rolli" Rolf Lüdicke, Walter Schmidt, Ernst Wenzel, Günter Kah, Heinz Koppel und Otto Hellmund.

Vom Erfolg der Großen profitierte auch der Nachwuchs. Mittlerweile im Sportverein Dynamo organisiert, spielte das Schierker Schülerteam um die DDR-Meisterschaft, schlug unter anderem Berlin und belegte den vierten Platz. Es folgten weitere Achtungserfolge bei DDR-Turnieren; Nachwuchsspieler wie "Rolli" Zieprich, Günter Schmidt, Siegfried Marquardt, Klaus Liedtke, Werner Lissel, Bernd Riemenschneider, Helmut Homann, "Mucki" Walter oder "Tussi" Lissel ließen durch ihre Leistungen aufhorchen.

Seeleute besorgten Helme aus Leningrad

Erfahrungen, die bei einem unvergessenen Lehrgang in Berlin unter Leitung des weltbekannten Einshockey-Trainers Terassow gesammelt wurden, setzten die Schierker erfolgreich um. Engagierte Helfer beim Spielbetrieb waren Siegfried Schömer, Erich Weber, "Charlie" Berke und Egon Thielemann. Erster Sektionsleiter war Helmut König, der viel zu früh verstarb.

Dynamo Schierke setzte Akzente in der Oberliga und später in der DDR-Liga, belegte immer vordere Plätze und konnte den Gegnern in der zweithöchsten Spielklasse allemal das Wasser reichen. Bis 1969, als die Regierung entschied, den Eishockey nicht mehr zu fördern wie andere Olympische Sportarten. Man konzentrierte sich nur noch auf die Clubs in Berlin und Weißwasser. Für alle anderen Eishockeyvereine stellte der Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) den Spielbetrieb ein.

Die Schlittschuhstiefel wollten die Schierker aber nicht an den Nagel hängen. Sie blieben aktiv und trugen Freundschaftsspiele aus. 1984 wurde in Schierke eine Schülermannschaft aufgebaut, die kontinuierliche Arbeit trug 1988 Früchte. Bei der DDR-Besten- ermittlung erreichten die Dynamos aus dem Oberharz das Finale und unterlagen mit 5:6 nur knapp gegen Chrimmitschau.

Großen Anteil, dass sich die "Randsportart" im Grenzort Schierke bis zum Fall der Mauer 1989 über Wasser gehalten hatte und nicht ausgelöscht wurde, haben Bernd Riemenschneider, befreundete Idealisten und der Club in Weißwasser. Letzterer spendete ausrangiertes Material und reiste auch zu Spielen in die Sperrzone. Bei einem Freundschaftsspiel in Rostock baten die Oberharzer einige Seeleute, die im Team der Hanseaten spielten, ihnen Helme aus der Sowjetunion zu besorgen. Über Umwegen bekamen die Schierker tatsächlich einen Posten mit Eishockeyhelmen aus Leningrad. Schläger und Schlittschuhe besorgten sie sich damals aus der CSSR, zu kaufen gab es für sie als "Nicht Olympischer Sportverein" nichts.

Nach dem "Prügeljahr" lächelte keiner mehr

Riemenschneider baute auf Kameradschaft und die Nachwuchsriege. Den Erfolg, den seine Jungs hatten, motivierte den leidenschaftlichen Kufencrack in der Wendezeit. Sofort suchte er nach Möglichkeiten, damit der Eishockeysport in der Brockengemeinde den Stellenwert wiederbekommt, den er einst inne hatte.

Ansprechpartner fand er in Niedersachsen. Dynamo wurde in Eissportverein (ESV) Schierke umbenannt, 25 Spieler fanden sich rasch zusammen und bestritten am 18. Februar 1990 im Eisstadion in Altenau ihre erste Freundschaftspartie. Nun wollte sie auch wieder um Punkte wetteifern.

Der Kräuterhersteller mit der heimischen Feuersteinklippe als Logo spendierte das Ausrüstungsmaterial. Niedersachsens Spielausschussobmann Edgar Dieckmann, ein gebürtiger Schierker, räumte alle organisatorischen Hindernisse aus dem Weg. So konnte der ESV Schierke nach 21 Jahren Pause wieder das erste offizielle Punktspiel bestreiten – am 14. Oktober 1990 im Braunlager Eisstadion gegen den USC Clausthal Zellerfeld.

Viel Lehrgeld zahlte das Team um Trainer Jörg Baxmann, das aus "Verwegenen" der Schülergeneration und geborgten Braunlagern bestand, im Jahr eins nach der Aufnahme in den Deutschen Eishockeybund. Der Einstieg in die Landesliga Niedersachsen war ein echtes "Prügeljahr", fast alle Punktspiele wurden, wie zum Auftakt gegen Clausthal Zellerfeld (5:15), zweistellig verloren. Ein Trost war die Ehrung mit dem Fair-Play-Pokal.

Zwei Jahre später lächelte keiner mehr über den ESV Schierke, die Leistungssteigerung war unübersehbar und wurde mit dem Titelgewinn der Landesmeisterschaft Niedersachsen gekrönt. Im letzten Duell gegen Bremen schoss Oldie Charly Berke das psychologisch so wichtige 1:0, am Ende hieß es 9:2. Die Kufenflitzer im Alter von 19 bis 44 ließen sich von den 400 Fans feiern.

Aus finanziellen Gründen verzichtete Schierke auf den Aufstieg. Der umsichtige Chef Bernd Riemenschneider warnte vor Euphorie, zumal der Etat für eine höhere Spielklasse nicht reichte. Die Strategie bewährte sich, Hauptsponsoren wurden gewonnen, die Erfolgsserie hielt an. Ab 1994 siegte der Newcomer aus Sachsen-Anhalt oftmals zweistellig, stieg in die Niedersachsen-Liga auf, wurde Meister und schaffte eine Saison später schon den Sprung in die Verbandsliga. Drei Aufstiege in fünf Jahren, manch einer sprach vom Wunder.

In den Reihen des ESV spielten immer mehr Akteure höherklassiger Mannschaften – aus Freude und Leidenschaft für den Eishockeysport. In der Saison 1996/97 belegten die Oberharzer Platz drei und wurden Zweiter im Pokalwettbewerb, 1999 und 2000 beendeten sie die Serien jeweils mit Platz zwei in der Niedersachsen-Liga und im Pokalkampf.

Längst waren sie zum größten Werbeträger des Kurortes Schierke avanciert. In vielen Teilen Niedersachsens, in Hamburg und Bremen, Timmendorf und Flensburg an der dänischen Grenze hinterließen sie ihre Visitenkarte. Leider konnten sie ihre Gegner nie im heimischen Natureisstadion empfangen, dort nagte auch nach der Wende der Zahn der Zeit weiter. Visionen des einstigen Kurdirektors wie "Schierke 2000" mit Eissporthalle und Skilift waren Schall und Rauch. Zum Glück konnten sich die Eishockeyspieler im benachbarten Braunlager Eisstadion einmieten. Im Wurmbergstadion wurde auch der Nachwuchs trainiert.

Dann der plötzliche Rückzug aus dem Spielbetrieb, 90 Jahre nach der Gründung des Eishockey-Clubs Schierke.

Rückzug, einen Stern gibt‘s aber immer noch

Aus finanziellen Gründen musste der Zweitbundesligist Braunlage die Segel streichen und sportlich ganz unten anfangen. Die Krise übertrug sich auf die Schierker Mannschaft. Die "ausgeborgten" Talente vom Nachbarn wurden zurückgeholt, andere gute Spieler zogen hinterher. Eiszeiten zum Training in Braunlage wurden nur noch ab 21 Uhr angeboten. Da winkten viele Interessenten ab, an Nachwuchsförderung war nicht mehr zu denken. Dabei hatte Riemenschneider Ausrüstung für eine komplette Jugendmannschaft besorgt und zwei Trainer ausbilden lassen. Eine eigene Eisporthalle im Ort hätte dem Verein diesen Rückschritt wohl erspart.

Es gibt aber immer noch einen Stern am Schierker Eishockey-Himmel: Jens Baxmann jagt seit 2001 erfolgreich bei den Eisbären Berlin dem Puck hinterher, nahm mit der U20-Nationalmannschaft an der WM in den USA teil, wurde fünf Mal Deutscher Meister und absolvierte im Nationalteam acht Länderspiele. Das Eishockey-Abc hat der heute 25-Jährige in Schierke gelernt.