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Gustav-Petri-Recherchen führen Peter Lehmann nach Frankreich / Vorstellung des Tagebuches Auf den Spuren des Stadt-Retters

Von Ivonne Sielaff 14.10.2014, 03:12

Durch seine Befehlsverweigerung bewahrte Gustav Petri Wernigerode kurz vor Kriegsende vor der Zerstörung. Seit Jahren beschäftigt sich Peter Lehmann mit dem Leben des Stadt-Retters. Seine Recherchen führten ihn jetzt nach Frankreich.

Wernigerode l Die letzten Tage von Gustav Petri sind genau dokumentiert. Am Abend des 8. April 1945 kam er in Wernigerode an. Wie er in seinem Tagebuch notierte, nahm er am nächsten Tag Kontakt zum Bürgermeister der Stadt auf. Am 10. April fuhr er nach St. Andreasberg zum Armeeoberkommando, um Absprachen zu treffen. In der Nacht erhielt er einen Anruf. Es befand sich kein Kampfkommandant mehr in der Stadt. Als ranghöchster Offizier sollte er eine Kampffront gegen die in Goslar stehenden Amerikaner aufbauen, hieß es von seinem Vorgesetzten. Petri verweigerte dies. "Soll diese Stadt auch ein Trümmerfeld werden?", waren die letzten Worte in seinem Tagebuch. Am Morgen des 11. April wurde er abgeholt und hingerichtet.

"Gustav Petri war weder im Widerstand aktiv, noch war er ein Märtyrer - eine zwiespältige Figur", sagt Peter Lehmann. "Aber mit seiner Befehlsverweigerung hat er Wernigerode vor der Zerstörung bewahrt." Der Heimatforscher beschäftigt sich seit Jahren mit dem Leben von Petri. Zuerst wollte er nur drei Seiten für eine geschichtliche Broschüre schrei-ben. Daraus wurden drei Jahre intensiver Recherche. "Es hieß eigentlich, dass sein Tagebuch verschollen sei", sagt Lehmann. Er habe Kontakt zur Familie von Gustav Petri aufgenommen, eine Freundschaft sei entstanden. "Bei einem Besuch zeigte mir sein inzwischen verstorbener Sohn Günther einen Schrank voll mit Unterlagen, der seit dem Tod seiner Mutter im Jahr 1972 nicht mehr geöffnet worden war. Wir zogen eine Schublade heraus, darin lagen 23 beschriebene Hefte, wohl sortiert, dazu noch Briefe und Dokumente. Ein bewegender Moment."

Inzwischen hat Lehmann die Ergebnisse seiner Forschungen in einem Buch veröffentlicht. Das Tagebuch ist von Studenten der Hochschule Harz in mühsamer Kleinarbeit ins Französische übersetzt worden (wir berichteten). Warum französisch? Weil Gustav Petri im Zweiten Weltkrieg 20 Monate lang im Norden Frankreichs stationiert war. Während der Besatzung der Deutschen war er in der Stadt Beauvais als oberster Verwaltungschef unter anderem für die Quartiere, die Verpflegung und Verkehrsangelegenheiten zuständig. "Für den aktiven Dienst war er zu alt."

Anhand des Tagebuches gelang es Lehmann, Gustav Petris Weg von 1939 bis 1945 nachzuvollziehen. Um mehr Informationen zusammentragen zu können, nahm er Kontakt zu den einzelnen Stationen auf, so auch zu Beauvais. "Ich habe Mitarbeiter des Stadtarchivs und der Verwaltung angeschrieben, stehe in Briefwechsel mit einem Geschichtsverein." Aus Beauvais hörte er, dass viele Dokumente verloren gegangen seien. "Sie waren an meinen Recherchen interessiert, um ihre eigene Stadtgeschichte zu komplettieren."

Zum Tag des offenen Denkmals in Frankreich sei er nun nach Beauvais eingeladen worden. "Ich wurde gebeten, Petris Tagebuch vorzustellen. Auf französisch. Und das, obwohl ich kein Wort französisch spreche." Eine Dolmetscherin habe ihn deshalb bei der Vorbereitung seines Referates unterstützt. In Beauvais wurde er freundlich begrüßt. Beim Empfang seien Zeitzeugen dabei gewesen. "80 Jahre alte Männer, die sich an so manches aus der Zeit der Besatzung erinnern konnten." Bei dem Treffen sei es nicht um Schuld und Sühne gegangen. "Einige Leute wollten sich sogar auf deutsch mit mir unterhalten. Das war wirklich bewegend." Peter Lehmann nutzte seinen Aufenthalt in Beauvais auch, um einen halben Tag im Archiv zu stöbern. Er habe aber nur wenig neue Erkenntnisse gewonnen.

Seine Forschung wird er dennoch fortsetzen. "Es geht mir nicht darum, Petri auf einen Sockel zu stellen." Er arbeite gleichzeitig seine eigene Familiengeschichte auf. Lehmanns Vater war Offizier im Zweiten Weltkrieg, wurde 1943 in Russland erschossen. "Mich interessiert, wie ein Offizier der Wehrmacht tickte. Im Nachhinein lässt sich das leicht beurteilen. Aber wie war es damals? Wie hat er gedacht, was waren seine Ideale, seine Ängste? Die Lektüre von Tagebüchern und Briefen gibt mir mehr, als alle Geschichtsbücher, die ich jemals gelesen habe."