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Halberstädter Glockenschäden werden nicht weiter untersucht / Staatsanwalt : "Künstler waren so besessen, dass sie nichts bemerkt haben"

Von Winfried Borchert 12.05.2009, 05:02

Halberstadt. Die Staatsanwaltschaft Halberstadt hat ihre Ermittlungen gegen mehrere Musiker eingestellt, die im vergangenen Jahr auf kuriose Weise sechs Halberstädter Kirchenglocken teils schwer beschädigt haben. Oberstaatsanwalt Helmut Windweh sagte der Volksstimme, man habe den Künstlern keinen Vorsatz nachweisen können. " Alle Verdächtigen haben erklärt, sie hätten die Schäden nicht gewollt. Sachbeschädigung setzt aber Vorsatz voraus. Eine fahrlässige Sachbeschädigung gibt es laut Gesetz nicht. "

Die Akteure – 20 Musikstudenten unter Leitung mehrerer Musikwissenschaftler – hatten im Auftrag der John-Cage-Orgelstiftung am 5. Juli 2008 ein Konzert gegeben, wobei sie mit Eisenhämmern von außen auf die Glocken schlugen, was diesen erfahrungsgemäß schlecht bekommt. Die Folge : Kratzer, Beulen und abgeschlagene Verzierungen an fünf Großglocken, ein Riss an einer kleineren.

Die Bürger reagierten empört, kritisierten vor allem die John-Cage-Stiftung als Veranstalter. Zehn Jahre lang war in der Stadt für die Reparatur beziehungsweise den Neuguss von 18 Glocken gesammelt worden. Viele Leute mochten nicht glauben, dass die Schäden aus Versehen verursacht worden sein sollen.

Ermittler Windweh hat eine eigene These : " Die Künstler waren von ihrem Tun offenbar so besessen, dass sie gar nicht bemerkt haben, was sie da anrichten. "

Halberstadts ehemaliger OberbürgermeisterHaraldHausmann, wegen seiner Spendenaktionen in der Stadt als " Glockenvater " bekannt, wundert sich über den Ermittlungsstopp der Staatsanwälte : " Es heißt doch, Dummheit schützt vor Strafe nicht. Aber das gilt wohl nicht mehr. " Hausmann bemüht sich nun um die Reparatur der Klangkörper. " Die Kratzer an den großen Glocken wird die mit der Zeit ansetzende Patina überdecken, der Riss der kleinen Glocke muss in Bayern geschweißt werden. "

Die Kosten dafür von mindestens 2000 Euro will die Cage-Stiftung übernehmen. Rainer Neugebauer, Vize-Vorsitzender des Stiftungskuratoriums, sagte : " Die Sache hat uns total geärgert. Wir haben nicht gewusst, dass die Künstler mit Hämmern arbeiten werden und haben uns auf die Aufsicht der Musik-Experten verlassen. " Als " Wiedergutmachung " will die Stiftung zusätzlich eine andere, früher gerissene Glocke schweißen lassen.

Glockenretter Hausmann ist zuversichtlich, dass die Glocken nach der Reparatur genau so klingen werden wie früher. Er sagt aber auch : " An die Glocken lassen wir niemanden mehr mit einem Hammer heran. "