1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Intensive Trauerarbeit und makellos schöner Chorgesang

Bewegende Erstaufführung des Requiems von Jenkins Intensive Trauerarbeit und makellos schöner Chorgesang

Von Hans Walter 17.03.2009, 05:06

Die Erstaufführung für Sachsen-Anhalt des Requiems von Karl Jenkins durch den Rundfunk-Jugendchor und das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode unter Leitung von Peter Habermann war zutiefst bewegend. In die Gedanken foss auch das Gedenken an die jungen Opfer der Bluttat von Winnenden ein.

Wernigerode. Die Aufführung von Karl Jenkins Requiem erfuhr mit dem Attentat von Winnenden eine geradezu beklemmende aktuelle Wirkung : Da standen Gleichaltrige auf dem Chorpodest, die die Gesänge um den Tod und ewiges Gedenken intonierten.

Man sah in die offenen, wachen Gesichter der Mädchen und Jungen, und es wurde einem schwer ums Herz ob des unsagbaren Leids.

Gesteigert wurde die Aussage noch durch Bibelzitate und Gedichte von Hermann Hesse, Peter Huchel und Aurelius Augustinus, gesprochen und gesungen von Jürgen Groth. " Gib ihnen ewige Ruhe, Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen ", hieß es in der Introduktion, weitergeführt durch ein Gedicht des Religionsphilosophen und Lyrikers Wolfgang Hinker : " Unsere Kinder mussten sterben zur Unzeit ... " Die zusätzlichen Gedanken wurden von Groth vor dem Massaker in das Requiem aufgenommen. Wie nah das Werk damit am Denken und Fühlen der Zuhörer in der fast ausverkauften Kirche St. Sylvestri war, bewies auch das minutenlange, endlose Schweigen zum Schluss, als " In Paradisum " wie ein Hauch verklungen war. Erst dann brach der Beifall für eine überaus wirkungsvolle Aufführung aus.

Sie stand besonders auch im Zeichen des Gedenkens für Helko Siede, den vorhergehenden künstlerischen Leiter des Rundfunk-Jugendchors. Tiefer Schmerz und ein unausgesprochenes Warum ist um seinen Tod vor einem Jahr. Die Sängerinnen und Sänger leisteten hier intensive Trauerarbeit, manifestiert auch im makellos schönen Chorklang. Es geht weiter – das war Versprechen und Verpf ichtung zugleich.

Jenkins ‘ Werk ist multikulturell. In die Form des lateinisch gesungenen Requiems fießen japanische Haiku mit ein. Er instrumentierte mit kräftig pulsierendem Schlagwerk und mit lyrischer Harfe ( Domenica Reetz ) und Flöte ( Barbara Toppel ), schafft liedhafte Strukturen ebenso wie pompöse Klangstrukturen. Solopassagen zweier ausgezeichneter Chorsolistinnen, der Hörner oder der Violine steigerten die emotionalen Wirkungen noch, wie im " Pie Jesu " – " gnädiger Herr, gib ihnen Ruhe, immerwährende Ruhe ". Auf manche Zuhörer wirkte diese Komposition oder das rhythmisch treibende " Dies irae " wie effektvolle Filmmusik. Sei ‘ s drum. Es ist eine Möglichkeit, mit klassischem Instrumentarium und exotischen Klängen eine zeitgenössische Trauermusik zu komponieren – anders eben als Haydn, Mozart, Bruckner oder Liszt.

" Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben "

Man kann sie in der Kirche aufführen – oder aber im Konzertsaal. Der Aufbruch der klassischen Form mit vier Haiku – sensibel von den Frauen gesungenen und von der Flöte instrumentierten Gedanken um den ewigen Kreislauf der Wasser – erweiterte den gedanklichen Inhalt des überkommenen Requiems ohnehin und leitete auch den nichtchristlichen Zuhörer auf das ewige Stirb und Werde. Diese japanischen Verse könnten im Konzert auch ohne aufwändige Orchesterbegleitung gesungen werden, zumal sie kunstvoll mit den Männerstimmen im " Benedictus " oder solistisch wie im " Agnus Dei " verwoben sind. Das hymnische ausklingende " In Paradisum " gestaltete Peter Habermann wesentlich ruhiger als Karl Jenkins in der Londoner Originaleinspielung. Im Mittelteil schaffen die Flöte und die hohen Frauenstimmen eine süße Vision vom Paradies – ursprünglich in der Notierung als Harfenpart angelegt.

Das Pulsieren der Streicher mit kurzem Bogen ist ein instrumentaler Herzschlag, der im Schluss einstimmig mit den Sängern leiser wird, ausklingt, verweht, vergeht. Diese Musiksprache lässt nicht nur weite Assoziationen zu – sie erzwingt sie geradezu im Nachdenken über die elementaren Fragen menschlicher Existenz.

" Darauf muss man sich erst mal als mitten im Leben stehender Mensch einlassen – auf das Sterben und auf die Vergänglichkeit ", schrieb ein Zuhörer nach der Aufführung eine E-Mail an den Chor, " Media vita in morte sumus – mitten im Leben sind wir von Tod umgeben. Die Gesellschaft lehrt uns aber gerade etwas anderes. Wer das nicht kann und will, wird es möglicherweise nicht verstehen ... "

Klaus Reinsdorf schnitt die bewegende Aufführung mit – leider nur für die Mitwirkenden. Der Chor sang fast ohne Blick in die Noten, so vertraut wurde das Werk. Angefragt sind weitere Konzerte, doch in diesem Schuljahr wohl nicht mehr realisierbar. Schade.