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Interview mit Ministerin Birgitta Wolff über Budgetkürzungen sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis an Hochschulen "Das käme einem Wasserentzug gleich"

17.04.2013, 01:13

Die Regierungsspitze ist fest entschlossen, das Budget der Hochschulen um 50Millionen Euro zu kürzen. Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) hält den Sparkurs für zu hart. Mit ihr sprachen die Volksstimme-Redakteure Elisa Sowieja und Jens Schmidt.

Volksstimme: Frau Ministerin, der kluge Gärtner schneidet seine Bäume. Wie bewerten Sie die in Rede stehende Kürzung: Schnitt oder Kahlschlag?

Birgitta Wolff: Kürzungen von insgesamt fast 77 Millionen Euro kämen eher einem Wasserentzug gleich. Die Profilschärfung, die wir anstreben, wäre nicht möglich. Die Hochschulen haben sich kooperativ gezeigt. Allen ist klar, dass wir in einer finanziellen Konsolidierungsphase sind. Aber die Basis für eine Diskussion über Kürzungen muss das Gutachten des Wissenschaftsrates sein, das im Sommer kommt.


Volksstimme: Ministerpräsident Haseloff und Finanzminister Bullerjahn wollen aber nicht davon abrücken, dass ab 2015 das Budget um jährlich fünf Millionen Euro abgeschmolzen wird, bis 50 Millionen Euro erreicht sind.

Wolff: Schon bevor der Entwurf vorgestellt wurde, haben Wissenschaftsministerium und Rektoren einen Vorschlag unterbreitet: Die Höhe der jährlichen Kürzung soll nicht sofort bei fünf Millionen Euro liegen, sondern bei einer Million Euro beginnen, dann schrittweise steigen - sodass im Jahr 2025 auch die geforderten 50 Millionen Euro erreicht sind. Zusätzlich sollen jedoch laut Finanzministerium über die "Eckpunkte" schon 2014 fast 27 Millionen aus dem Wissenschaftsetat gezogen werden. Das nähme uns jeden Spielraum für eine qualifizierte, inhaltliche Profildiskussion.


Haben wir zu viel Mittelmaß?

Volksstimme: Wenn die Hochschulen in den ersten Jahren sanfter sparen, läge die Gesamteinsparung bis 2025 aber deutlich niedriger, als es Bullerjahn plant. Wenn er - wie angekündigt - ab 2015 zehnmal hintereinander jährlich fünf Millionen Euro kürzt, hat er schon 2024 die Zielmarke erreicht. Bis 2025 summiert sich die Einsparung nach seiner Variante dann auf 325 Millionen Euro. Mit ihrer sanften Variante kommen Sie lediglich auf 166 Millionen Euro.

Wolff: Das stimmt. Aber im Hochschulbereich kann man nicht beliebig schnell kürzen. Wenn ich kurzfristig zehn Prozent der Studienplätze streiche, spare ich nicht kurzfristig zehn Prozent der Ausgaben. Wir können nicht einfach Stellen streichen, da viele Professoren und Mitarbeiter Lebenszeitverträge haben. Und wenn wir Personal umherschieben oder Studierenden die Abschlüsse an ihrer Hochschule unmöglich machen, riskieren wir Klagen. Das haben wir bei der Strukturreform 2004 gesehen.


Volksstimme: Dennoch: Der Ministerpräsident geht davon aus, dass Sachsen-Anhalt nicht ewig mehr als 500 Fächer anbieten kann. Wovon werden Sie sich trennen?

Wolff: Wir haben in der Tat ein sehr ausdifferenziertes Studienangebot und müssen fokussieren. Dummerweise sind aber die Studienfächer, die die meisten im Land für besonders wichtig halten, auch die teuersten, beispielsweise die Ingenieurwissenschaften. Wir könnten in den Geistes- und Sozialwissenschaften schnell viele Studierende verlieren, würden aber relativ wenig sparen. Und viele junge, qualifizierte Leute weniger im Land haben.


Volksstimme: Der Regierungsspitze zufolge soll es künftig ohnehin nur noch 35000 bis 40000 statt 55 000 Studenten im Land geben. Was passiert dann?

Wolff: Dann würden wir eine große Chance vertun, hochqualifizierte junge Menschen ins Land zu holen. Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach bleiben immerhin 43 Prozent der Westdeutschen, die im Osten stu-dieren, auch hier. Außerdem würden wir auch Landeskinder verdrängen. Denn die Hochschulen können nicht nur Studierende aus Sachsen-Anhalt zulassen. Das wäre eine unzulässige Diskriminierung.


Volksstimme: Die Zahl der Abiturienten wird sinken, die doppelten Abiturjahrgänge im Westen laufen aus. Woher sollen überhaupt so viele Studenten kommen?

Wolff: Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz geht davon aus, dass wir künftig nicht weniger als 7300 Erstsemester haben werden. Aktuell sind es rund 10000. Wir wollen aber gar nicht vorrangig auf die Erstsemester schauen, sondern auf die Absolventen. Hochschulen, die die Organisation und Qualität der Lehre verbessern und höhere Absolventenquoten und bessere Studienzeiten aufweisen, sollen belohnt werden. Das kann über die Zielvereinbarungen geschehen und ist bereits in der Diskussion.


Volksstimme: Haben wir zu viel Mittelmaß?

Wolff: So pauschal kann man das nicht sagen. Wir haben durchaus Exzellenz: In Magdeburg zum Beispiel bei den Neurowissenschaften, in Halle in der Bioökonomie.

Muss sich das Land zwei Unikliniken leisten?

Volksstimme: Aber bei Umfragen und Leistungsvergleichen glänzen Sachsen-Anhalts Unis oft nur mit Durchschnitt. Im Ranking des angesehenen Instituts CHE ist das zu sehen: Bei der Humanmedizin etwa liegt Magdeburg im Mittelfeld, Halle tief im unteren Drittel.

Wolff: Ziel kann nicht akademische Exzellenz auf allen Gebieten sein. Sachsen-Anhalt braucht nicht nur extrem teure, nobelpreisverdächtige Forschung, sondern auch solide Ingenieure und andere Fachkräfte für die mittelständische Wirtschaft und Ärzte in den Regionen. Was aus Landessicht sinnvoll ist, lässt sich nicht durch einen vordergründigen Exzellenzbegriff abbilden.


Volksstimme: Das Land gibt für einen Studenten laut Statistik 11000 Euro aus. Damit liegt es deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Warum sind wir so teuer?

Wolff: In den vergangenen Jahren haben wir mehr als andere in Neubauten und die Sanierung von Gebäuden investiert. Das war sinnvoll. Unsere Einrichtungen sind gut ausgestattet. Das sollten wir nutzen.


Volksstimme: Besonders investiert wurde in die Medizin in Magdeburg und Halle. Soll sich ein Land mit zwei Millionen Einwohnern zwei voll ausgestattete Unikliniken leisten?

Wolff: Das ist eine berechtigte Frage. Wir müssen uns die Unikliniken anschauen. Der Wissenschaftsrat hat schon 2005 angemahnt, dass in Halle die Ausbildung besser sein könnte. Auch an der Forschung dort hat er massive Kritik geübt. Wenn das Gremium in seinem neuen Gutachten im Sommer wieder zu diesem Ergebnis kommt, stellt das einiges in Frage. Fest steht: Patientenversorgung und Ärzteausbildung müssen gesichert bleiben. Darüber reden wir auch mit dem Sozialminister.


Volksstimme: Steht eine Privatisierung der Unikliniken wieder zur Debatte?

Wolff: Aus meiner Sicht ist es unrealistisch, dass sich ein privater Betreiber findet, der auf hohe Zuschüsse vom Land für Forschung und Lehre verzichten würde. Das zeigen die Erfahrung aus anderen Ländern und Aussagen privater Klinikbetreiber. Wir werden andere Lösungswege suchen müssen.


Volksstimme: Eine Einsparmöglichkeit ist die Zusammenlegung von Hochschulen. Lüneburg hat es vorgemacht, Cottbus ist dabei. Wie steht es um Stendal und Merseburg?

Wolff: Im Landtag herrscht Einigkeit, dass wir auch in der Fläche leistungsfähige Hochschulen brauchen. Wir betreiben mit Hochschulen eben nicht nur Wissenschafts- sondern auch Regionalpolitik. Der Standort Stendal ist für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der Region sehr bedeutsam. Auch den Standort Merseburg stellt keiner infrage. Dort liegt die Studierendenzahl allerdings unter dem Wert von 3000, der laut Wissenschaftsrat die Untergrenze für ein effizientes Hochschulmanagement darstellt. Wir werden darüber nachdenken müssen, ob Kooperationen mit einer anderen Fachhochschule möglich sind.


Volksstimme: Beim Einwerben von Drittmitteln pro Student liegt das Land 500 Euro unter dem Bundesschnitt. Bei 55000 Studenten macht das ein Potenzial von mehr als 20 Millionen Euro. Können Sie das ausschöpfen?

Wolff: Wir haben einen positiven Trend. Entsprechend informierte und motivierte Wissenschaftler können das gemeinsam erreichen, vielleicht übertreffen.


Volksstimme: Ein großer Teil der Drittmittel kommt von der EU. Wieso hinkt Sachsen-Anhalt hinterher?

Wolff: Spannender finde ich die Frage, wie wir das ändern. Vor zwei Jahren haben wir EU-Hochschulbüros eingerichtet. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie einen effektiveren Informationsfluss sichern und Know-how zur Antragstellung vermitteln. Seitdem ist die Zahl der Professoren, die Anträge auf EU-Mittel gestellt haben,gestiegen.