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Stendaler lebt mit transplantierter Leber / Klinikkontrollen sollen den Rückgang von Spenderzahlen stoppen Organspende: Wenn Fremde Leben verschenken

Von Elisa Sowieja 01.06.2013, 03:17

Magdeburg/Stendal. 400 Menschen in Sachsen-Anhalt warten auf ein lebensrettendes Organ. Zum heutigen Tag der Organspende stellt die Volksstimme einen jungen Stendaler vor, der sein Leben einer neuen Leber verdankt. Und sie erklärt, wie Politiker und Ärzte um neue Spender werben.

Christian Neumann* hat den Geruch von gegrillter Rinderbrust schon in der Nase. Sobald Petrus endlich den Regen abstellt, schnappt er sich Papa und Partnerin und es geht ab zum amerikanischen Barbecue. Stundenlang sitzen die drei dann mit Freunden im Park, quasseln über Gott und die Welt und schauen dem Fleisch beim Brutzeln zu. Das ist seine ganz persönliche Definition von Freude am Leben. Dem Leben, das er ohne Organspender längst verloren hätte.

Der 36-Jährige lebt seit drei Jahren mit der Leber eines Fremden. Die brauchte er damals Knall auf Fall. "Ich dachte, ich hätte nur eine Erkältung", erzählt der kräftige junge Mann mit wachem Blick. "Als ich damit zum Hausarzt ging, hat er mir in die Augen geschaut, etwas Gelbes gesehen und mich gleich ins Stendaler Krankenhaus geschickt."

Die Leberwerte waren katastrophal. Um herauszufinden, wieso, wurde Neumann an Spezialisten vom Magdeburger Universitätsklinikum überwiesen. Es ist eines von bundesweit 24 Transplantationszentren für Lebern.

Dort hatte man gleich eine Vermutung: Morbus Wilson, eine Stoffwechselerkrankung, bei der sich in der Leber vermehrt Kupfer ansammelt. Sofort ließen ihn die Ärzte auf die Warteliste von Eurotransplant setzen. Die Organisation verteilt in sieben Ländern Europas die gespendeten Organe - und zwar kreuz und quer, je nach Wartelisteplätzen.

Es folgte eine Leberbiopsie, die den Verdacht bestätigen sollte. Dabei verschlechterte sich der Zustand des Organs weiter. Am selben Abend brach der Stendaler in der Krankenhaustoilette zusammen. "Ich habe noch geklingelt, dann gingen bei mir die Lichter aus", erinnert er sich. In den folgenden Tagen war er nie ganz bei Bewusstsein. Dass man ihm in dieser Zeit neues Leben schenkte, davon ahnte er nichts. "Als ich richtig aufgewacht bin, hörte ich eine nette Männerstimme, die sagte: "Alles ist gut, Ihre neue Leber arbeitet perfekt.\'"

Dass Christian Neumann gleich ein passendes Organ erhalten hat, ist alles andere als selbstverständlich. Allein im Uniklinikum Magdeburg stehen zurzeit rund 110 Patienten auf der Warteliste für Lebern. Ihre Aussichten werden immer schlechter, denn die Zahl der Spender sinkt - nicht nur bundesweit, auch hierzulande. Das belegen die Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Diese koordiniert die Organspenden in Krankenhäusern.

"Der Transplantationsskandal hat Menschen Vertrauen genommen."
Dr. Christa Wachsmuth, Ärztin

Allein 2012 ging die Zahl der Spender in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Vorjahr von 36 auf 30 zurück. Und es werden wohl noch weniger, sagt Dr. Christa Wachsmuth von der Stiftung. "Der Transplantationsskandal im Sommer 2012 hat den Menschen Vertrauen genommen", sagt sie. Damals kam ans Licht, dass in Göttingen, Regensburg, München und Leipzig Mediziner Krankenakten gefälscht haben sollen, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen.

Das Misstrauen kommt auch in Magdeburg an. Dr. Jörg Arend, Chirurg am Uniklinikum, sagt: "Ärzte auf der Intensivstation berichten, dass Angehörige von Hirntoten oft Angst haben, die Organe könnten nicht an die Menschen gehen, die sie am dringendsten brauchen."

Um Vertrauen wieder aufzubauen, hat die Bundesregierung Kontrollen in Transplantationszentren per Gesetz erleichtert. Umgesetzt werden diese von der Prüfungs- und der Überwachungskommission, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und der Bundesärztekammer getragen werden. Sie bestehen aus Medizinern, Juristen sowie Regierungsvertretern von Bund und Ländern.

Was sich seit dem Transplantationsskandal geändert hat, erklärt Professor Hans Lippert. Er ist Vorsitzender der Überwachungskommission und Direktor der chirurgischen Klinik am Uniklinikum: "Vorher haben wir Kliniken nur auf Verdacht und mit deren Zustimmung überprüft. Jetzt brauchen wir das Einverständnis nicht mehr." Mit diesen Befugnissen kontrollieren die Kommissionen derzeit alle Transplantationszentren in Deutschland.

"Viele beschäftigen sich zu Lebzeiten nicht mit dem Thema."
Christa Wachsmuth

Sie schauen sich Fälle aus den Jahren 2010 und 2011 an, bei denen theoretisch Manipulationen möglich sind - etwa bei Dialysepatienten. Denn wenn jemand mit kranker Leber als Dialysepatient gemeldet wird, obwohl er gar keiner ist, verbessert das unrechtmäßig seinen Platz auf der Warteliste. In Magdeburg waren die Prüfer bereits. Im Sommer erwartet auch das Uniklinikum in Halle Besuch. Dort gibt es ein Transplantationszentrum für Nieren. Der erste Bericht folgt in einigen Wochen.

Auch die klinikinternen Kontrollen wurden verschärft, und zwar von der Bundesärztekammer. Die Transplantationszentren sind nun zum Sechs-Augen-Prinzip verpflichtet. Es müssen also mindestens drei Ärzte auf einen Fall schauen, bevor der Patient an Eurotransplant gemeldet wird. Im Magdeburger Uniklinikum geschieht das nach eigenen Angaben bereits seit Jahren. Die Hallenser sagen, es sähen sich sogar fünf Ärzte die Fälle an.

Zudem sind die Krankenkassen per Gesetz verpflichtet worden, bis 1. November Organspendeausweise samt Informationen an ihre Mitglieder zu verschicken. Die Barmer GEK in Sachsen-Anhalt hat das nach eigener Aussage bereits im Februar getan, die AOK im April.

Neuester Streich der Regierung ist eine Kampagne für mehr Spenden mit prominenten Gesichtern wie dem von Gewichtheber Matthias Steiner.

"Immer, wenn ich meine Tabletten nehme, wird mir bewusst: Ich lebe!"
Christian Neumann, Patient

Auch die DSO arbeitet gegen die sinkenden Spenderzahlen. "Wir bieten Weiterbildungen für Ärzte an", sagt Wachsmuth. "So wollen wir sie ermutigen, Angehörige von Hirntoten auf eine Organspende anzusprechen." Denn die müssten häufig die Entscheidung treffen. "Viele beschäftigen sich zu Lebzeiten nicht mit dem Thema. Außerdem ist auf den meisten Vordrucken zur Patientenverfügung die Organspende nicht berücksichtigt." Hierin sieht die Ärztin weitere Gründe, wieso die Zahl der Spender sinkt. Egal, ob sich Menschen für oder gegen eine Spende entscheiden - Wachsmuth ist wichtig, dass sie zu Lebzeiten überhaupt eine Entscheidung treffen: "Wer sich damit auseinandersetzt, hilft den Menschen auf der Warteliste."

Christian Neumann stand auf der Liste gleich weit genug oben. Denn Lebern werden nicht wie Nieren nach Wartezeit vergeben, sondern nach Dringlichkeit. Dementsprechend ist der Zustand der Patienten, wenn sie ein Organ erhalten. Arzt Arend berichtet: "Sie liegen oft bereits auf der Intensivstation."

Der Stendaler war körperlich so mitgenommen, dass er nach der Transplantation zwei Wochen auf der Intensiv- und dann zwei Monate auf der normalen Station bleiben musste - allein in einem sterilen Zimmer. Und nach seiner Entlassung musste er erst wieder Gehen lernen. Jetzt wartet Neumann auf eine Umschulung; seinen Job als Kfz-Mechaniker musste er aufgeben. Doch allen Strapazen zum Trotz - dem fremden Spender ist er zutiefst dankbar: "Immer, wenn ich meine Tabletten nehme, wird es mir bewusst: Ich lebe!"

* Name geändert