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Nutzung alter Bahnhöfe Hier wohnt jetzt der Haribo-Bär

Ein Fahrradverleih im Lokschuppen, ein Puppenmuseum in der Fahrkartenausgabe - stillgelegte Bahnhöfe sind Spielplatz für verschiedenste Visionen. Zwei Familien im Harz haben sich ihren Traum mit viel Schufterei erfüllt.

Von Elisa Sowieja 14.08.2014, 03:18

Ballenstedt/Nienhagen l Im Ballenstedter Lokschuppen hört man manchmal noch heute ein Schnaufen. Dabei wird dort seit 50 Jahren keine Lokomotive mehr gewartet. Aber René Meyer steht ab und zu auf einer Leiter, um in acht Metern Höhe ein Fahrrad an die Decke zu hängen - das ist ziemlich anstrengend. Sieben Räder baumeln schon an den Balken, für ein paar mehr ist noch Platz. Die fliegenden Drahtesel sind Dekoration im Fahrradverleih, den er und seine Freundin in dem ausgedienten Gebäude eröffnet haben.

Vor gut einem Jahr kaufte das Paar den Bahnhof Ballenstedt Ost einer Kunststiftung ab. Dabei suchte es eigentlich nur einen Ort zum Wohnen. "Ich fuhr durch die Stadt, um nach alten Häusern Ausschau zu halten, aus denen man etwas machen kann", erzählt der 44-Jährige. "Dabei fiel mir der Lokschuppen ins Auge - weil das Dach in einem guten Zustand war." Spontan kam ihm der Gedanke, mit seinem Verleih hierher zu ziehen und nebenan ein Nest für die Familie zu bauen - in Wasserturm und Kohlesilo.

Fürs Tor das gleiche Holz wie vor 150 Jahren

Leider war das Dach an jenem 150 Jahre alten Bau so ziemlich das Einzige, dessen Zustand dem Wort "gut" gerecht wurde. "Es war eine Ruine. Selbst Handwerker rieten mir, die Finger davon zu lassen." Der Ballenstedter sah das anders, seine Freundin nach einer Runde gut zureden auch. Zusammen mit Meyers Papa und treuen Freunden machten sich die beiden ans Werk.

Nachdem sie aus dem Lokschuppen gut 100 Säcke Sperrmüll herausgehievt hatten, nahmen sie zuerst zwei Zwischenetagen heraus. Die hatte man in den 1960er Jahren eingezogen, als das Gebäude zur Mühle umfunktioniert wurde. Gruben im Boden - dort kletterten einst Techniker unter die Loks - wurden mit Steinplatten verschlossen, Dach und Fenster am gesamten Bau erneuert.

Bei jedem Schritt stimmte sich Meyer mit einem Geschichts-Experten ab, denn der Bau steht unter Denkmalschutz. Das bedeutet eine lange Liste an Extra-Anforderungen: Fürs Tor brauchte er das gleiche Holz wie vor 150 Jahren, die Dachbalken mussten dieselbe Form haben. Der 44-Jährige nahm`s gelassen, beglückte den Denkmalschützer sogar mit freiwilligen Aktionen: "Statt ein großes Fenster vor den kleinteiligen Eisenrahmen zu stellen, haben wir in jedes Fach ein neues Glas eingesetzt", erzählt er. "Sonst hätte es ja blöd ausgesehen." Und auch jüngste Zeugnisse der Geschichte bewahrt der Harzer: Alle Graffiti an den Wänden - vom Hundekopf bis zum Schriftzug "Pink Nation" - lässt er unberührt.

Den ganzen Herbst und Winter über hat die junge Familie geschuftet. Zu Ostern schließlich konnte sie den Fahrradverleih eröffnen und mit Sohnemann Alwin nebenan einziehen - auch wenn das Wohnzimmer noch nicht fertig ist. Hier gestaltet sich die Sanierung etwas weniger aufwändig - Wasserturm und Kohlesilo wurden früher schon einmal bewohnt. Bisher hat das Paar rund 100000 Euro in Kauf und Sanierung gesteckt. Verhältnismäßig gar nicht so viel, findet René Meyer. "Immerhin haben wir 300 Quadratmeter Arbeits- und 140 Quadratmeter Wohnfläche - und das in einem Traumobjekt."

Ganz so groß ist der Bahnhof von Simone Schuldt nicht. In Nienhagen besteht das Objekt an der ehemaligen Kleinbahnstrecke aus nur einem Häuschen. Wo einst Güterlager und Fahrkartenausgabe untergebracht waren, wohnen seit vier Jahren Prinzessin Simone, der Haribo-Bär und ihre 1300 Freunde. Denn die Harzerin hat sich im Bahnhof mithilfe ihrer Familie ein Puppen- und Teddymuseum eingerichtet.

Aufs marode Fachwerk ein Imitat gesetzt

Die Idee entstand aus einem Problem heraus: Simone Schuldt brauchte schlichtweg Platz. Seitdem sie Mitte der 90er Jahre begonnen hatte, Puppen zu sammeln, zogen ihre Lieblinge in immer mehr Zimmer ein - irgendwann bevölkerten sie sogar den Treppenaufgang. Die Lösung lag im wörtlichen Sinne ganz nahe. Denn Familie Schuldt wohnt direkt neben dem Bahnhofsgebäude. 2007 kam der Harzerin die Idee, ihre Puppen dorthin umziehen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Station seit mehr als zehn Jahren nicht mehr genutzt. Der Zustand des Hauses? "Eine Bruchbude", erzählt die Puppenfanatikerin heute.

Der Kauf gestaltete sich trotzdem schwierig. Das Objekt gehörte der Bahn. "Ich habe ständig dort angerufen. Aber es hieß immer nur, man würde mein Anliegen prüfen." Nach ein paar Monaten hatte sie die Nase voll und schrieb ans Verkehrsministerium. "Plötzlich ging es ganz schnell."

Dann begann der große Umbau. "Das Dach wurde von einer Firma erneuert, den Rest haben wir selbst gemacht", erzählt sie. Mit "wir" meint sie besonders ihren Mann und ihren Sohn - Menschen, die Simone wirklich lieben müssen. Denn zwei Jahre lang ging bei der Familie fast jedes Wochenende für das Puppen- und Teddymuseum drauf. Nach und nach verschwand eine Mauer, entstand ein Anbau, wurden Dach und Fußboden überholt.

Den Urzustand des Gebäudes durften die Schuldts außer Acht lassen. Denn es ist nicht denkmalgeschützt, sollte sogar abgerissen werden. Dennoch versuchten sie ihr Bestes. "Weil das Fachwerk so marode war, haben wir der Fassade ein Imitat aufgesetzt", erzählt die 49-Jährige. Insgesamt sind bisher rund 60000 Euro in das Projekt geflossen.

Aus Porzellan oder Pappmaschee, mit Diadem auf dem Kopf oder Sprechplatte im Rücken, aus DDR-Zeiten oder von heute - knapp 7000 Besucher haben sich seit der Eröffnung angeschaut, wie verschieden Puppen sein können. Vor kurzem haben die Schuldts noch einen alten Eisenbahnwaggon gekauft und in den Garten gestellt, um eine Busladung gleichzeitig mit Kaffee und Kuchen versorgen zu können. Jedes Wochenende - nach Absprache auch werktags - schließt die 49-Jährige ihr Puppenhaus auf. Dabei hat sie eigentlich schon einen Job als Pflegedienstleiterin. Doch das macht ihr nichts aus. "Das Museum gibt mir Energie - wenn ich in den Bahnhof komme, ist jeglicher Stress vergessen."