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Entlassung Betriebsratschef Stürmische Zeiten bei Enercon in Magdeburg

Die Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden hat den jahrelangen Streit zwischen Enercon und der IG Metall um Mitbestimmung und Gewerkschaftseinfluss im Unternehmen angeheizt. Die Gewerkschaft spricht von Mobbing gegen Betriebsräte, die aus nichtigen Gründen abgemahnt oder versetzt würden.

12.09.2014, 01:14

Magdeburg l "Das Recht auf Mitbestimmung durch Mitarbeiter wird mit Füßen getreten. Enercon geht außerdem gegen Kollegen vor, die sich gewerkschaftlich engagieren", sagt Petra Jentzsch von der IG Metall Magdeburg. Nicht nur dem Vorsitzenden des Betriebsrates der WEA Service Ost in Magdeburg sei gekündigt worden. Auch ein weiterer Betriebsrat sei abgemahnt worden. Beschäftigte, die sich an die Arbeitnehmervertretung gewandt hatten, fanden sich kurzerhand auf anderen Posten wieder. Einer Vertreterin der IG Metall sei zudem der Zugang zum Betriebsrat verwehrt worden.
"Es sind kleine Nadelstiche, die Enercon setzt", so Jentzsch. Die IG Metall erkennt darin einen allgemeinen Angriff auf die Mitbestimmung der Mitarbeiter.
Wie viele Mitglieder derzeit in Magdeburg bei Enercon tätig sind, teilt die Gewerkschaft nicht mit. Aber der Konzern gilt traditionell als gewerkschaftlich wenig erschlossen. Möglich macht das vor allem die dezentrale und unübersichtliche Firmenstruktur. Allein in der Magdeburger Region gibt es 15 Tochterfirmen mit rund 5000 Mitarbeitern. Die Produktion der Windkraftanlagen ist dabei auf die einzelnen Unternehmen verteilt. Die IG Metall versucht, in den einzelnen Firmen Fuß zu fassen, will mehr Mitbestimmung und Einfluss im gesamten Konzern. "Die Betriebsräte wollen mit uns zusammenarbeiten. Sie wenden sich an uns", erklärt Jentzsch.
IG Metall sieht konstruierte Kündigungsgründe
Zudem kämpft die Gewerkschaft für einen Tarifvertrag. Derzeit soll ein ausgelernter Enercon-Facharbeiter rund 700 Euro weniger verdienen als bei den Windenergiekonkurrenten Siemens oder Senvion, die Tarifverträge abgeschlossen haben.
Bei Enercon hat der Aufbau von Betriebsratsstrukturen erst spät begonnen. Noch bis 2013 hatten die rund 250 Mitarbeiter bei der WEA Service Ost keinen Betriebsrat. Für die Gewerkschaft geht die Firmenleitung nun offenbar auf Konfrontationskurs mit den frei gewählten IG Metall-Betriebsräten. Niels-Holger Böttger ist fristlos gekündigt worden. Für die Gewerkschaft sind die Gründe konstruiert. Ihre Version: Böttger hatte sich für Leiharbeiter eingesetzt, die in ihrer Freizeit unbezahlt an Schulungen teilnehmen mussten. Böttger forderte von der Geschäftsführung der Leiharbeiterfirma Detmers, mit der Enercon seit Jahren zusammenarbeitet, dass die Zeit vergütet wird. Als sich nichts änderte, machte er seinem Ärger Luft und schrieb eine E-Mail an alle Mitarbeiter.
Enercon wirft Übertreten der Kompetenzen vor
Die Version der Geschäftsführung klingt anders: Enercon stuft das Verhalten von Böttger als betriebsschädigend ein: "Der Betriebsratsvorsitzende hat ohne Zustimmung der Geschäftsführung im Alleingang in die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem externen Vertragspartner der WEA Service Ost eingegriffen und damit seine Kompetenzen und seinen Zuständigkeitsbereich überschritten", lässt die Enercon-Geschäftsführung auf Volksstimme-Anfrage mitteilen. Der WEA Service Ost sei dadurch ein finanzieller Schaden entstanden.
Über die Kündigung von Böttger wird am 19. September vor dem Arbeitsgericht Magdeburg verhandelt."Das ist ein Versuch gewesen, mich einzuschüchtern", sagt der 35-jährige Böttger, der seit 2009 im Unternehmen tätig ist.
Seine Kollegen sehen das auch so. 160 Betriebsräte haben laut IG Metall eine Solidaritätserklärung mit dem Titel "Betroffen ist einer. Gemeint sind wir alle" unterzeichnet. Inzwischen solidarisieren sich auch Gewerkschafter anderer großer Unternehmen. Bei VW sind laut "Wolfsburger Nachrichten" bereits über 4000 Unterschriften gesammelt worden.
Mitbestimmung auch ohne Gewerkschaft?
Die geringe Mitbestimmung durch Mitarbeiter bei Enercon ist traditionell bedingt, bestätigt Evelyn Gerdes von der IG Metall Leer-Papenburg. Die Gewerkschaftsverteterin verfolgt die Entwicklung des Konzerns seit Jahrzehnten. "Enercon vertritt seit jeher die Auffassung, dass sie keine unabhängigen Betriebsräte brauchen", so Gerdes. Auch in Ostfriesland berichten Beschäftigte der Tochtergesellschaft Gußzentrum-Ostfriesland von Sanktionen nach der Betriebsratswahl. So seien 15 Mitarbeiter von ihrem Posten als Facharbeiter abgezogen und auf Hilfsarbeiterstellen versetzt worden. Mehrere Kollegen seien abgemahnt worden.
In einer Mitteilung von Enercon heißt es dazu schlicht: "Bei Enercon entscheiden die Mitarbeiter selbst, ob und in welcher Form sie Betriebsräte haben wollen." Die Betriebsratswahlen würden durch die jeweilige Geschäftsführung unterstützt. "Es hat bei keiner dieser Wahlen eine Störung oder Behinderung durch die Geschäftsführung gegeben."
Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig bekräftigte erst vor einigen Monaten am Rande der Hannover-Messe, wo er mit Vorwürfen der IG Metall konfrontiert wurde, dass seine Mitarbeiter seit Jahren auch ohne die IG Metall mitbestimmen. Er sprach von einer "internen Kultur", die im Unternehmen vorherrsche.
SPD-Stadtrat sieht Verstoß gegen Mitbestimmungsrecht
Magdeburger Politiker fordern parteiübergreifend den Konzern auf, die Rechte der Arbeitnehmer ernst zu nehmen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Landtagsabgeordnete Wigbert Schwenke erklärt: "Ich erwarte von einem großen Unternehmen wie Enercon, dass es gewählte Arbeitsnehmervertreter akzeptiert und ein Miteinander mit ihnen organisiert."
"Grundsätzliche Mitbestimmungsrechte müssen eingehalten werden. Wenn Betriebsräte abgemahnt werden, schreckt das andere Beschäftigte vor Betriebsratswahlen ab. Das darf nicht sein", sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD im Magdeburger Stadtrat, Jens Rösler.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Claudia Dalbert, sagt: "Enercon tut sich immer noch schwer mit seinen Betriebsräten." Es sei wichtig, den Dialog mit dem Konzern zu suchen. Sachsen-Anhalts DGB-Chef Udo Gebhardt sieht die Politik gefordert: "Enercon agiert eindeutig gegen die in Sachsen-Anhalt definierten Ziele von Politik und Wirtschaftsförderung." Tarifbindung und Mitbestimmung gehören dazu, so Gebhardt.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka aus Magdeburg droht via "Bild"-Zeitung damit, die Enercon-Betriebe künftig nicht mehr zu besuchen.