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Künstliche Befruchtung Prinzip Hoffnung

Nach dem Willen von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD)
sollen die Krankenkassen künstliche Befruchtungen wieder voll bezahlen.
Doch der Weg bis zur Erfüllung des Kinderwunsches ist langwierig. Ein
Paar aus Sachsen-Anhalt hat die Anstrengungen fast die Ehe gekostet.

31.12.2014, 01:16

Magdeburg l Nein, wirklich gern denkt Andrea Ritter nicht an diese Zeit. An das ewige Hoffen und Bangen. An die unzähligen Fahrten zur Uniklinik nach Halle. An die vielen Tränen. Doch hin und wieder erinnert sie sich mit ihrem Mann Markus daran. Denn diese Zeit hat jahrelang ihre Ehe geprägt.

Andrea und Markus heißen eigentlich anders. Auch ein Foto von sich wollen die beiden nicht in der Zeitung sehen. Die Ritters haben noch immer Angst. Angst vor dem Gerede der Menschen. Denn Andrea und Markus wohnen in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt mit weniger als 1000 Einwohnern. "Wenn da rauskäme, wie das bei uns zugegangen ist, wäre das eine Katastrophe. Ich will nicht, dass das ganze Dorf über uns spricht", sagt Andrea bestimmt. Das Thema Kinder war bei den Ritters viele Jahre eigentlich gar keines. Als die beiden 1996 ein Paar wurden, hatte Markus bereits zwei Töchter aus einer früheren Beziehung. "Wir hatten genug Zeit, wir wollten nicht gleich Kinder", erinnert sich Andrea heute. Doch rund zehn Jahre später verspürte sie plötzlich den Wunsch, Mama werden zu wollen. Doch trotz vieler Versuche passierte: nichts. Auf natürlichem Wege wurde sie nicht schwanger. Also suchte sie im Jahr 2007 erstmals die Kinderwunschsprechstunde der Uniklinik Halle auf. Die Diagnose: PCO (Polyzystisches Ovar-Syndrom), eine Stoffwechselstörung, die häufig mit Zyklusstörungen und Unfruchtbarkeit bei Frauen einhergeht.

Die Ärzte rieten der damals 33-Jährigen zu einem Diabetiker-Medikament. Damit sollte die Insulin-Fehlregulation behoben werden. "Ich wollte unbedingt schwanger werden, doch auch damit passierte monatelang nichts", erinnert sich Andrea Ritter. Im Gegenteil: Ihr körperliches und psychisches Wohlbefinden verschlechterten sich.

Die Ehe mit ihrem Mann geriet ins Wanken. "Ich hatte das Gefühl, Markus steht nicht hinter mir", sagt sie. Er meint: "Sie war häufig nur noch schlecht drauf, hat viel geweint. Alles hat sich nur noch darum gedreht, endlich schwanger zu werden." Dieser Druck wurde zu groß: Mitte des Jahres 2008 brachen die Ritters die Behandlung ab.

Befreiend war das nicht. Andrea zog sich danach immer stärker zurück, sie fühlte sich nicht als "richtige" Frau. "Kinder habe ich gemieden. Zu Geburtstagen oder Freunden mit Kindern bin ich nicht mehr gegangen. Das Thema war schwierig", sagt sie.

Drei Jahre ging das so. Erst im Frühjahr 2011, nachdem die beiden einen Artikel in der Zeitung dazu gelesen hatten, wollten sie dann doch noch einmal einen Anlauf starten. Als die Medikamentenvariante wieder nicht funktionierte, war klar: Der nächste Schritt ist die künstliche Befruchtung. Es gibt mehrere Methoden, die Ärzte rieten den Ritters zur In-Vitro-Fertilisation (siehe Grafik).

"Das wollte ich eigentlich auf keinen Fall. Aber der Wunsch nach dem Kind war so groß, dass ich mir gesagt habe: `Na gut, einen Versuch probierst du`", erzählt Andrea Ritter.

Was folgte, war ein anstrengendes Prozedere. Nach einer Hormonbehandlung wurden Andrea Ritter unter Vollnarkose Eizellen aus dem Eierstock entnommen und in einem Reagenzglas mit den Spermien von Markus vermischt. Nach der Befruchtung wurden mehrere Embryonen in die Gebärmutter zurückübertragen. Doch es nistete sich kein Embryo ein. "Die Enttäuschung war groß", sagt sie. Doch das Paar rang sich zu einem zweiten Versuch durch. Und tatsächlich: Andrea Ritter wurde im Oktober 2012 schwanger. Nachdem jahrelang immer wieder Tränen der Enttäuschung geflossen waren, kullerten nun endlich Freudentränen über ihr Gesicht.

Doch zehn Wochen später folgte der Schock: Das Kind war im Mutterleib abgestorben, die Mühe vergebens. Nach der Ausschabung, bei der ihr die "Ärztin Händchen hielt", erfuhr Andrea: Sie hätte ein schwerstbehindertes Mädchen mit Trisomie 16 bekommen.

"Das hat zwar ein bisschen getröstet, aber es war so unglaublich schwer zu akzeptieren. Das war doch unser lang ersehntes Kind", erzählt Andrea Ritter. Sie ist den Tränen nahe und zittert. Dann schaut sie nach rechts und beruhigt sich. Nach und nach formen sich ihre Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln. Die feuchten Augen verschwinden. Rechts neben ihr liegen Emma und Paul in der Liege. Die Zwillinge von Andrea und Markus sind ein halbes Jahr alt.

Im August 2013, mit dem vierten Versuch, ist die 39-Jährige erneut schwanger geworden. Dem langen Weg folgte eine "Bilderbuchschwangerschaft mit Sturzgeburt". Nach einer guten Stunde Wehen erblickten die Zwillinge Ostermontag in Halle das Licht der Welt. "Wir sind dem Team der Uniklinik unendlich dankbar. Wir wurden dort erstklassig begleitet. Ohne sie wären wir jetzt nicht so glücklich", sagt Markus Ritter. Fast 10000 Kilometer hat er mit seiner Frau im Auto geschrubbt, um Woche für Woche zur Uniklinik zu fahren. Die vier künstlichen Befruchtungen haben zwischen 800 und 1900 Euro gekostet - pro Versuch. Es war ein langer, aber auch ein teurer Weg für die Ritters.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sagt: "Kinderwünsche dürfen keine Kostenfrage sein." Die SPD-Politikerin setzt sich dafür ein, dass künstliche Befruchtungen zukünftig voll von den Krankenkassen bezahlt werden - nicht mehr nur zur Hälfte wie im bisherigen Regelfall.

In Sachsen-Anhalt gibt es wie in einigen anderen Ländern eine zusätzliche Förderung. Bund und Land stellen für ungewollt kinderlose Paare derzeit insgesamt 500000 Euro pro Jahr (siehe Infokasten) bereit. "Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, ungewollt kinderlose Paare nicht allein zu lassen", sagt Sozialminister Norbert Bischoff (SPD). Er sei froh, dass das Land die Kostenbelastungen "abfedern" könne. Zwischen 230 und 380 Paare nehmen die Förderung jährlich in Anspruch. Bischoff: "Wir wünschen uns, dass diese Mittel auch 2015 wieder abgerufen werden."