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Anna-Ebert-Brücke Ein Denkmal unter Stress

Von Katja Tessnow 27.01.2015, 02:13

Magdeburg l Am 20. Januar, zum Beispiel gegen 12 Uhr, und am 21. Januar, zum Beispiel gegen 8.40 Uhr, hat Karsten Köpp zwei Bahnen auf der Brücke gesehen. Den Kurzkatalog an Beweisen hätte der Linke-Stadtrat seiner Anfrage an die Stadtverwaltung allerdings gar nicht beifügen müssen, denn jeder, der mit offenen Augen Richtung Ostelbien unterwegs ist, kann den alltäglichen Begegnungsverkehr locker bezeugen. Köpp wollte zur jüngsten Ratssitzung sinngemäß wissen: Warum ist das so, da doch die Brückenprüfer schon im Vorjahr mit Blick auf die dringend gebotene Begrenzung der sogenannten Schlagbelastung aufs marode Bauwerk Änderung empfahlen.

"Die Straßenbahn ist tatsächlich ein Problem", holte der Baubeigeordnete Dieter Scheidemann aus, verwies auf den engen Takt, in dem gleich zwei Linien den Abschnitt bedienten, der Nahverkehr allerdings nicht eingeschränkt werden solle und schloss: "Begegnungsverkehr ist nicht auszuschließen." Punkt.

Die Aussage verblüfft vor dem Hintergrund eines durchaus möglichen Szenarios, das für den Stadtverkehr katastrophal daherkäme: die dauerhafte Sperrung des 135 Jahre alten und doch enorm gestressten Brückendenkmals.

Bereits seit fünf Jahren werden regelmäßig gravierende Schäden an der Brücke über die Alte Elbe festgestellt. Seit 2012 gilt deshalb für Autos das Tempo-30- und für Bahnen sogar Tempo-10-Gebot. 2013 gab das Elbehochwasser dem Brückendenkmal beinahe den Rest. Sportboote dürfen unter der Brücke nicht mehr passieren - bröckelndes Gestein, tiefe Risse im Mauerwerk. Beim letzten Brücken-"TÜV" im Herbst 2014 schrammte die alte Dame mit Zustandsnote 3,8 nur haarscharf an der Sperrung (ab Note 4) vorbei. Die Ingenieure gingen dazumal ohne Grundsanierung von maximal vier weiteren Nutzungsjahren aus; heißt bis 2018. Erst 2019 soll nach aktuellem Zeitplan die neue Brücke stehen und fürderhin Bahnen und Pkw schultern. So weit die Fakten.

Warum also sehen sich die MVB außerstande, wenigstens das Schonungsgebot der Brückenexperten zu achten und im Sinne einer verminderten Schlagfrequenz die zeitgleiche Passage zweier Bahnen einzustellen?

MVB-Sprecher Tim Stein macht mit einer einfachen Rechnung die Probleme klar, die sich daraus ergeben: "Die Linien 4 und 6 verkehren nach Normalfahrplan wochentags im 10-Minuten-Takt in beiden Richtungen über die Brücke. Das macht 24 Bahnen pro Stunde und jede braucht für die rund 300 Meter lange 10-km/h-Strecke mindestens eine Minute, noch länger, wenn die Fußgängerampel (Höhe Mittelstraße - d. Red.) bedient wird." Komplett zu verhindern wäre der Begegnungsverkehr auf der Brücke nur per Signal für die Bahnfahrer. Das würde den Übergang angesichts von 24 Bahnen pro Stunde allerdings stets und ständig jeweils minutenweise unpassierbar machen - auch für den Pkw-Verkehr. Bahnen und Pkw nutzen auf der Brückenenge jeweils eine gemeinsame Richtungsspur. Stein: "Die stehenden Bahnen würden also sicher einen nicht unbeträchtlichen Rückstau hinter sich erzeugen."

Bei den MVB würde aktuell "geprüft", ob der Linienverkehr im Falle einer offiziellen Anordnung zum Bahn-Begegnungsverbot überhaupt in jetziger Form aufrechterhalten werden könne. Im Ernstfall müsse das "Angebot eingeschränkt" oder eine Linie auf den Nordbrückenzug umgelenkt werden. Stein: "Aber noch haben wir eine solche Anordnung aus dem Tiefbauamt nicht und sind im Sinne unserer Kunden froh darüber." Die Prüfingenieure dürften dagegen kritisch registrieren, dass ihre im Oktober ausgesprochene Empfehlung bis dato in der Praxis ungehört blieb - mit schwer absehbaren Folgen für den Brückenzustand.

Mindestens dies kündigte der Ordnungsbeigeordnete Holger Platz auf die sorgenvolle Anfrage im Stadtrat an: "Wir planen Geschwindigkeitsmessungen auf der Brücke." Vor allem Autofahrer ignorieren vielfach das Tempo-30-Gebot, wenn nicht gerade eine Bahn vor ihnen "schleicht". Kontrollen sollen das Gebot zum Schutz der Brücke durchsetzen helfen.