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SC Magdeburg Handball-Training mit Smartphones

Beim SC Magdeburg setzen die Trainer auf digitale Trainingsplattform. Zugriff durch Handball-Spieler erfolgt per Smartphone oder Laptop.

Von Janette Beck und Oliver Schlicht 07.02.2015, 01:22

Magdeburg l 18 Uhr, Trainingsbeginn der Handballer des SC Magdeburg in der Getec-Arena. SCM-Trainer Geir Sveinsson sitzt schon eine Stunde zuvor auf einer Zuschauerbank und blickt in den Laptop. Der Isländer benutzt ein spezielles Trainingsprogramm. Es ist Datenbank, Trainings-Terminkalender, Ernährungsratgeber, Erfassungsplattform für biometrische Daten der Spieler und vieles mehr. Für Sveinsson ist "Sideline" (siehe Infokasten) vor allem aber ein riesiges Spielanalyse-Tool auf der Grundlage der Video-Spielaufzeichnungen aller Spiele der Handball-Bundesliga.

Er schaut nur kurz auf, er schreibt noch ein paar Zeilen in das Dossier eines Spielers, dann schnippelt der Isländer noch etwas an Gummersbach herum - videotechnisch, versteht sich. Denn der VfL ist am 15. Februar der nächste Gegner.
In der Videodatenbank seines Programms hat er Hunderte Spielsequenzen der Gummersbacher zusammengestellt. Das Rohmaterial kann der Trainer über einen kommerziellen Anbieter beziehen. Er selbst legt dann - unterstützt durch Dutzende Programm-Werkzeuge - stundenlang Hand an diese Aufzeichnungen.

Fein sortiert in maximal zehn Sekunden langen Szenen werden die Videos verschiedenen Kategorien zugeordnet wie "Fehlwürfe Block", "Fehlwürfe Torwart hält", "Technischer Fehler (Ball verloren)". Aus diesem Pool serviert er dann einzelnen Spielern via Smartphone-App oder Computer mundgerecht zugeschnitten die Schwächen und Stärken der Gegner. "Besonders die Torhüter bekommen eigene Filme zur Vorbereitung", sagt er.
Bereits im Rohmaterial, führt er weiter aus, sind Informationen zu Aktionen der Spieler als Datenpaket im Videostream hinterlegt, die er schnell über Suchmasken zusammenfassen kann. Häh? "Guck hier", Sveinsson zeigt auf seinen Laptop-Monitor: Er gibt im Suchfeld des Videotools einen Spielernamen ein. Und schon sortiert sich der Spielername in Blöcken mit einheitlichen Aktionen wie "Treffer Rückraum" oder "Pass außen". "Jetzt habe ich zum Beispiel aus acht markierten Spielen alle Aktionen des Spielers danach gegliedert, was er im Spiel jeweils unternommen hat." Faszinierend. Und so macht der Trainer das vor jedem Spiel.

Tagelang. "Vor dem Match gegen Göppingen vor der Winterpause habe ich acht Spiele von FrischAuf analysiert und zu einem 20-minütigen Lehrfilm zusammengeschnitten", erzählt der Coach. Hinzu kamen kurze Filme für einzelne Spieler und die Torhüter. An jeder Partie dieser acht Spiele hat der Trainer etwa drei Stunden gearbeitet. Das heißt: Sveinsson hat insgesamt 24 Stunden mit Videoschnitt und Spielanalyse zugebracht, nur um dieses eine Bundesliga-spiel vorzubereiten. Vielleicht hat Magdeburg in Göppingen deshalb so überzeugt? Da muss er schmunzeln, der Sveinsson.

Wie weit reicht im Leistungssport zukünftig der Einfluss der Informatik? Die Auswertung von Fitness-Daten sind im Freizeitsport ein großes Thema. Kaum ein Jogger rennt mehr ohne Herzfrequenzmessung und Höhenprofilaufzeichnung durch den Wald.
Und im Profisport? "Fest steht: Es werden heute viel mehr Daten aufgezeichnet und ausgewertet als noch vor wenigen Jahren", sagt Florian Seifriz, Sportinformatiker an der Sporthochschule Köln. Das sehe man ja auch im Fernsehen, wo Zusatzinformationen laufend zur Verfügung gestellt werden. "Aktuell profitieren aber vor allem Einzelathleten von den neuen technischen Möglichkeiten - weniger der Mannschaftssport. Dort ist das Problem bislang, dass die Auswertung der Datenmassen zu aufwendig und zu teuer wird und damit wenig hilfreich ist."

Top-Mannschaften in den englischen und spanischen Fußball-Ligen verwenden zwar aufwendige Videoanalyse-Systeme. Doch das sei umstritten. "Bayer Leverkusen ist gerade davon wieder abgerückt. Die Spezialkameraausstattung im Stadion kostet 100000 Euro und die Auswertung der Aktionen wie Laufwege und Passverhalten pro Spiel nochmal 50000 Euro", so der Wissenschaftler. "Und dann bekommt der Verein einen 90-Seiten-Bericht mit Zahlen und hat nicht das Personal zur Auswertung."
Florian Seifriz glaubt aber, dass neue Analyse-Verfahren im Anmarsch sind. "Es wird irgendwann möglich sein, komplexe Daten automatisiert so auszuwerten, dass auch Mannschaftstrainer mit den Ergebnissen wichtige Informationen in die Hand bekommen", so der Kölner Sport-Informatiker.

So gesehen hat der SCM Glück, dass mit einem Trainer wie Geir Sveinsson jemand am Ruder steht, der nicht auf Ergebnisse einer Programmauswertung wartet, sondern sich technikgewandt selbst an die Arbeit der Datenanalyse macht.

Auch wenn der Isländer natürlich weiß, dass nicht jeder Spieler ein Freund von "Side-line" ist und die Hausaufgaben nicht so ernst nimmt. "Es muss ja nicht jeder wie ich 24 Stunden Handball im Kopf haben, aber ich kann schon von einem Profi-Handballer erwarten, dass er sich auch mental auf ein Spiel vorbereitet." Auch das sei sein Job, genauso wie die vier Stunden Training am Tag. "Da kannst du nicht erst am Spieltag damit anfangen, dich auf den Gegner vorzubereiten."
SCM-Keeper Dario Quenstedt weiß die Fleißarbeit des Trainers zu schätzen, der rund 100 Clips zur Vorbereitung des Gummersbach-Spiels längst im Kasten hat. "Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie viel Arbeit da drinsteckt." Für ihn sei die Nutzung von "Sideline" völlig neu gewesen, und natürlich sei das Ganze sehr zeitintensiv. "Aber für mich ist das eine große Hilfe, dass ich mich auf diese Art und Weise auf die Spiele vorbereiten kann. Die Videos sind inzwischen essenziell geworden", findet Quenstedt.

Gerade für Torhüter sei es wichtig, nicht nur die eigenen Stärken und Schwachstellen, sondern vor allem auch die der gegnerischen Spieler in- und auswendig zu kennen. Deswegen beginnt der 25-Jährige in der Regel schon fünf Tage vor dem Punktspiel mit der mentalen Vorbereitung. Er paukt daheim stundenlang die Wurfbilder, bis er sie im Schlaf herbeten kann. "Ich präge mir zum Beispiel die Lieblingsecken der Spieler ein, von wo aus vorzugsweise geworfen wird oder woher die Pässe kommen." Natürlich halte er deswegen nicht jeden Ball, "aber ich erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass ich zur richtigen Zeit in der richtigen Ecke bin. Und was soll ich sagen: Die Erfolgserlebnisse häufen sich."
Und Quenstedt geht sogar noch einen Schritt weiter, denn Trainer Sveinsson hat ihn mit dem "Statistik-Analyse-Virus" bereits angesteckt. "Ich habe mir seit Beginn der Saison eine eigene Wurfdatenbank mit sämtlichen Wurfbildern der Gegner und Spieler aus der ersten und zweiten Liga angelegt."

Ein "Bienchen" bei den Hausaufgaben verdient sich regelmäßig auch Robert Weber. Gut möglich, dass der Rechtsaußen auch deswegen Magdeburgs Torschütze vom Dienst und momentan auch der Top-Torjäger der Liga ist. Allerdings ist diese Form der Vorbereitung für den Österreicher kein Neuland. "Ich kenne das Prozedere aus vielen Lehrgängen mit der Nationalmannschaft."

Vom Nutzen ist Weber vollends überzeugt. Wenn er im stillen Stübchen am Laptop sitzt, dann interessieren ihn als Siebenmeterschützen vor allem die Aktionen der Torhüter. "Tomas Svensson, unser Torwarttrainer, hat mich in die Geheimnisse seiner Zunft eingeweiht und mir verraten, worauf ich im Video ganz besonders achten muss. Das hilft ungemein."

Die Umsetzung auf dem Spielfeld sei allerdings die andere Seite der Medaille. "Selbst das beste Computerprogramm kann das echte Training nicht ersetzen", versichert Weber.