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Wölfe Landwirte fürchten um ihr Vieh

Der Wolf ist in Sachsen-Anhalt auf dem Vormarsch: Binnen sieben Jahren sind aus einem Rudel sieben geworden. Viehbauern bereitet das zunehmend Probleme, neben Schäfern bangen auch Rinderzüchter um ihre Tiere.

Von Elisa Sowieja 22.05.2015, 03:19

Schopsdorf l Als er morgens in der Ferne die Kolkraben kreisen sah, wusste Uwe Menge, dass sein vermisstes Kalb nicht mehr lebt. Die Vögel hatten sich wohl schon an den Resten bedient, nur Fell und Gliedmaßen lagen noch auf der Wiese. "Das war der Wolf", da ist sich der Chef der Agrargenossenschaft Schopsdorf im Jerichower Land sicher.

Dass die Beine durchgebissen waren, gilt für ihn als eindeutiges Indiz. Hinzu kommt die Lage der Koppeln, auf denen die 420 Mutterkühe und ihre Kälber Tag und Nacht weiden. Rund ein Drittel grenzt direkt an den Truppenübungsplatz Altengrabow - den Ort, an dem 2008 das erste Wolfsrudel in Sachsen-Anhalt gesichtet wurde.

Aus dem einen sind inzwischen sieben geworden, 49 Tiere leben heute im Land. Mit der Population steigt auch die Zahl der toten Weidetiere: Wurden dem Land 2013 noch 26 vermutete Wolfsrisse bekannt, waren es im vergangenen Jahr 50. Die meisten Opfer sind Schafe, allein von Januar bis April 2015 wurden 34 getötet - fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Auch an eingezäunten Hirschen vergeht sich der Wolf manchmal. Dass er sich ein Kalb holt, kommt zwar selten vor, aber seit Jahren immer mal wieder.

Der Wolf ist nicht dumm

Der Zuständige bei der Referenzstelle Wolfsschutz im Land schließt zumindest nicht aus, dass auch der Angriff in Schopsdorf vor zwei Wochen dem Wolf zuzurechnen ist. Landwirt Menge schläft seit jenem Sonntag nur noch unruhig, sagt er. Seinen Kollegen ginge es genauso: "Wir können unsere Kühe ja nicht mal schützen. Für Zäune sind die Weideflächen einfach zu groß."

Auch den Schäfern bereitet der Wolf graue Haare. "Das Thema kocht bei uns hoch", berichtet Hans-Jörg Rösler vom Landesschafzuchtverband. Und das, obwohl man längst Zäune aufgestellt habe. Wölfe sind nämlich nicht dumm: Mit der Zeit, meint Rösler, finden sie heraus, wie man sich drunter durchgräbt oder drüberspringt.

Glaubt man Jäger Albrecht Hellwig, wird das Problem der Viehbauern bald noch größer - und zwar nicht nur, weil sich die Raubtiere fleißig weiter vermehren. "Das Wild im Wald versteckt sich immer besser vor dem Wolf. Deshalb wird er in Zukunft wohl öfter Schafe und Kälber bevorzugen", erklärt der Vize des Landesjagdverbandes. Die stehen schließlich schon auf dem Präsentierteller und rennen meist nicht mal weg.

Sondererlaubnis zum Wölfe-Vergrämen

Nach seiner Beobachtung und der von Kollegen würden die Tiere zunehmend die Scheu verlieren, hätten zum Beispiel oft keine Angst vor Traktoren. "Sie hatten ja nie ein negatives Erlebnis." Denn in Deutschland steht der Wolf unter strengem Schutz. Doch daran wird neuerdings gerüttelt. Noch vor zwei Jahren gab sich der Jagdverband in Sachsen-Anhalt beim Thema Abschuss diplomatisch. Heute fordert er die Lockerung des Wolfsschutzes. Verhaltensauffällige Wölfe müsse man erlegen dürfen. Auch die organisierten Bauern und Schäfer sprechen sich für das Schießen von Tieren aus, die ihre Scheu verlieren.

Sogar der Naturschutzbund meint, im Notfall müsse man gegen einen Wolf vorgehen dürfen - allerdings nur mit Gummigeschossen oder Schüssen in die Luft, dem sogenannten Vergrämen. Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) ist grundsätzlich offen dafür, dass das Land Sondergenehmigungen für das Vergrämen einzelner Wölfe erteilt. Eine Diskussion über das Erlegen hält er für legitim. Theoretisch darf ein Problemwolf, etwa wenn er die Tollwut hat, mit Genehmigung schon heute erlegt werden - praktisch wurde diese in Deutschland noch nie erteilt.

Bauer Menge würde es fürs Erste reichen, wenn das Land die Entschädigung neu regeln würde. Selbst, wenn sein Antrag bewilligt wird, sagt er, bleibt er auf Verlusten sitzen. Denn sein Tier war erst drei Tage alt - genauso wie ein Kalb, das ein Wolf vor drei Jahren bei Jörg Deumelandt geholt hat, einem befreundeten Bauern. "Ich habe nur 140 Euro bekommen", berichtet der.

Fehlgeburten bei Schafen

Ein halbes Jahr später wären es wohl rund 500 Euro gewesen, denn die Entschädigung richtet sich nach dem Verkaufswert. Die Differenz war futsch, klagt Deumelandt: "Die Mutterkuh kalbt nur einmal im Jahr. Ich hatte nicht mal ihre Kosten vom letzten Jahr raus." Er und Menge sind sich einig: Das Land will den Wolf, also muss es für die Folgen zahlen - auch für entgangene Gewinne. Der Verband der Rinderzüchter sieht das genauso. Gernot Pohl sagt: "Die Züchter sind nicht wütend auf den Wolf. Sie sind nur wütend, wenn sie allein gelassen werden."

Landesweit halten sich die Entschädigungssummen bisher in Grenzen: 2014 wurden für 40 Wolfsrisse 8900 Euro gezahlt, das sind im Schnitt rund 220 Euro pro Tier. Damit sind auch die Schäfer unzufrieden. Nicht nur, weil ihnen zufolge etwa die Neuanschaffung eines Zuchtbocks in die Tausende gehen kann. "Niemand kommt für die Folgekosten eines Wolfsangriffs auf", erklärt Verbandsvize Katharina Elwert. "Schafe reagieren sensibel, wenn ein Wolf in der Nähe war. Unsere Schäfer beobachten zunehmend Fehlgeburten, dafür gibt es keine Entschädigung."

Zudem hätten sie Angst vor einer Panik: Wenn nach einem Angriff ein Wolf auch nur vorbeistreift, sagt sie, könnten die Tiere ausbrechen und auf die nächste Bundesstraße rennen. "Passiert dann ein Unfall, zahlt der Schäfer." Das Land will in Sachen Entschädigung erst einmal die Entwicklung weiter beobachten.

Angst vor der eigenen Herde

Das Problem mit der Unruhe kennt auch Uwe Menge. Schon vor dem Angriff hätten seine Tiere gespürt, dass der Wolf um sie herumschleicht, davon ist er überzeugt. "Sie haben oft von allein die Koppel gewechselt." Seit der Attacke sei es noch schlimmer geworden.

Angst, dass der Wolf ihn anfällt, hat er allerdings nicht. Dazu gibt es auch keinen Grund, sagt Klaus Puffer, Wolfsbeauftragter des Bundesforstgebiets Nördliches Sachsen-Anhalt. "Die Tiere haben nach wie vor Scheu vor Menschen. Eine Begegnung ist selbst bei meinen Touren über den Truppenübungsplatz Altengrabow ein Glücksfall." Die Jäger in Sachsen-Anhalt hingegen sind da eher skeptisch.

Uwe Menge sagt, er hat im Moment mehr Angst vor seiner eigenen Herde: "Es reicht, wenn ein Dackel vorbeiläuft, und die Kühe werden unruhig. Wenn sie einmal in Panik geraten und losrennen, dann kennen sie weder Freund noch Feind."