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Magdeburger Sprachwissenschaftlerin Saskia Luther erkennt einen Aufwärtstrend für die niederdeutsche Sprache Junge Plattsprecher machen weniger Fehler in Aufsätzen

Von Martin Rieß 23.05.2011, 06:43

Magdeburg. Kinder, die Mundart sprechen, haben es schwerer in der Schule – dies ist ein Vorurteil, dem Anthony Rowley in der Zeitschrift Eltern widerspricht. Der Professor an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erklärt: "Nachteile haben Dialekt-Kinder heute nur noch, wenn ihr Gegenüber Vorurteile hat." Vielmehr noch: Ein Forschungsteam der Uni Oldenburg hat bei der Auswertung von Schüleraufsätzen herausgefunden, dass Schüler, die einen Dialekt beherrschen, 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler machen als die, die nur Hochdeutsch sprechen.

Die Einschätzung ihrer Kollegen teilt auch Saskia Luther von der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität. Sie ist Dozentin und geht noch einen Schritt weiter: "Das betrifft auch Regionalsprachen wie das Niederdeutsche im Norden und in der Mitte Sachsen-Anhalts." Diese Regionalsprache ist ihr Forschungsschwerpunkt. Saskia Luther sagt: "Kinder, die sich mit der plattdeutschen Sprache ihrer Region beschäftigen, können sich tatsächlich sehr oft besser ausdrücken als ihre Altersgenossen."

Platt kein Makel

Insgesamt habe das Platt der einzelnen Landesteile heute wieder einen ganz anderen Stellenwert als wenige Jahre zuvor. "Viele ältere Plattsprecher haben es noch erlebt, dass sie in der Schule wegen ihrer Muttersprache benachteiligt wurden", sagt Saskia Luther. Heute erhalte ein Kind, dass Platt verstehen und sprechen kann, ganz im Gegenteil vor allem Anerkennung.

Ist damit das regionale Platt in Altmark, Börde und Harz über den Berg, nachdem es über Jahrzehnte auf dem Rückzug war? "Eine abschließende Einschätzung kann ich dazu noch nicht abgeben. Aber wir haben einen ersten, sehr wichtigen Schritt auf dem Weg zum Erhalt des Plattdeutschen bewältigt: Viele junge Menschen identifizieren sich wieder mit ihrer Regionalsprache", sagt die Sprachexpertin.

Ein ungesteuerter Spracherwerb wie vor 100 Jahren finde aber längst noch nicht wieder statt. Dies würde nämlich bedeuten, dass das Platt wieder im Alltag gesprochen wird. "Das ist bislang trotz aller Bemühungen nur selten der Fall", sagt die Universitätsdozentin.

Wo noch die Möglichkeit bestehe – wenn die Großeltern beispielsweise die plattdeutsche Sprache beherrschen – sollte diese Sprache wieder in den Alltag eingebaut werden, empfiehlt sie.

Wuddel statt Möhre

Zwei Zeichen, dass das Niederdeutsche wieder im Kommen ist, nennt Saskia Luther als Beleg für den Aufwärtstrend unter jungen Leuten: Im normalen Sprachgebrauch werden inzwischen manchmal niederdeutsche Begriffe eingestreut. Saskia Luther: "Das mögen einige ältere Platt-Sprecher gar nicht. Aber es hilft dem Niederdeutschen zurück in den Alltag der Menschen."

Zweites Zeichen des Platt-Aufschwungs: Im Rahmen von wissenschaftliche Untersuchungen seien etliche niederdeutsche Beiträge im Internet gesammelt worden. "Angesichts der derzeit noch vorwiegend jugendlichen Nutzerstruktur des Internets beweist dies, dass das Niederdeutsche wieder im Kommen ist", kommentiert Saskia Luther diese Beobachtung.

Nicht allein in Sachen Deutschunterricht gilt das Beherrschen von Mundarten oder Regionalsprachen wie dem Niederdeutschen als Vorteil. Wissenschaftler nennen es Variationskompetenz, wenn die Möhre nicht nur auch als Mohrrübe oder Karotte sondern auch als Wuddel bekannt ist, Diese Variationskompetenz fördere das abstrakte Denken und erleichtert es später, eine Fremdsprache zu lernen.

Davon werden möglicherweise jene Kinder profitieren, die in den Genuss des Programms "Frühkindliche Bildung auf dem Gebiet des Niederdeutschen" kommen. Dieses läuft beispielsweise in Kindertagesstätten in Bindfelde bei Stendal und in Samswegen bei Wolmirstedt.