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EHEC-Proben aus ganz Deutschland werden in der Wernigeröder Außenstelle des Robert-Koch-Institutes untersucht / Mikrobiologin Angelika Fruth: "Es gibt durchaus Grund zur Besorgnis"

Von Oliver Schlicht 26.05.2011, 06:36

Die Darminfektionskrankheit EHEC bestimmt derzeit die Schlagzeilen in ganz Deutschland. Der wichtigste Anlaufpunkt der Wissenschaftler bei der Suche nach der besonderen Struktur des tückischen Erregers ist die Wernigeröder Außenstelle des Robert-Koch-Institutes. Hier werden alle bakteriellen EHEC-Proben aus Deutschland untersucht.

Wernigerode. Das Telefon im Büro von Mikrobiologin Dr. Angelika Fruth steht kaum still. Gesundheitsbehörden, Forscherkollegen, Medienvertreter – jeder will wissen, was es Neues gibt. Derzeit noch nicht viel. Nur das steht fest: "Der Erregerstamm ist sehr aggressiv. Es gibt durchaus Grund zur Besorgnis", so die Wissenschaftlerin. Sie weiß, wovon sie spricht. Im Forscherteam der Wernigeröder Instituts-Außenstelle – das nationale Referenzzentrum für bakterielle Infektionskrankheiten – ist sie spezialisiert auf Infektionswellen wie EHEC.

1000 Meldefälle in anderen Jahren normal

Etwa 1000 EHEC-Meldefälle, so die Wissenschaftlerin, galten in anderen Jahren als normal. Dabei kam es in etwa 50 Fällen zu schweren Erkrankungen, die nur im Einzelfall zum Tod geführt hatten. Fruth: "Jetzt registrieren wir in wenigen Tagen mehr als 600 Meldefälle, verbunden mit einer ungewöhnlich hohen Zahl von über 100 schweren Erkrankungen." Bereits vier Menschen waren bis gestern in Deutschland verstorben. Die Arbeit der 40 Mitarbeiter des Wernigeröder Institutes konzentriert sich deshalb in diesen Tagen komplett darauf, mehr über diese besondere Darminfektion herauszubekommen.

Wichtigstes Ziel ist dabei, den derzeit grassierenden Erregerstamm von "normalen" EHEC-Infektionen zu selektieren. "Nur so sind Rückschlüsse auf die Hintergründe der Infektion möglich." Angelika Fruth glaubt, dass alle schwerwiegenden EHEC-Erkrankungen auf die Verunreinigung eines bestimmten Lebensmittels zurückgehen. Dafür spreche die explosionsartige Ausbreitung des Erregers. "Das kann zum Beispiel eine bestimmte Salaternte sein. Salatköpfe wurden als Rohgemüse angeboten. Ein anderer Teil der Ernte ist vielleicht abgepackt als Fertigsalat von einer Supermarktkette verkauft worden."

Auch der Umstand, dass es Krankheitsfälle inzwischen in vielen Bundesländern gibt, spreche nicht gegen einen regional begrenzten Auslöser der Infektionswelle. "Wir glauben, die Infektionen gehen von Norddeutschland aus. Viele Kranke aus südlichen Regionen hatten sich im Norden aufgehalten. Auch der Erkrankte aus Salzwedel war in Niedersachsen unterwegs", so die Mikrobiologin.

Das Robert-Koch-Institut in Wernigerode bekommt derzeit über lokale Behörden und Krankenhäuser von allen in Deutschland an EHEC Erkrankten deren Bakterien-Stämme zugesandt. Fruth: "Das nimmt täglich rasant zu. Am Dienstag bekamen wir zehn Proben, am Mittwoch schon fast doppelt so viele."

Diese Proben werden nicht mikroskopisch untersucht, erklärt die Wissenschaftlerin, sondern einem speziellen molekular-genetischen Verfahren unterzogen. "Über die DNA-Struktur können wir die Erreger dann unterschiedlichen Stämmen zuordnen." Solche bakteriellen Untersuchungen dauern zum Teil nur wenige Stunden, die Ergebnisse anderer komplexer Muster-Analysen stehen erst nach einigen Tagen fest.

Den Biologen ist auf diesem Weg zwar bislang die Selektion des aktuellen, besonders aggressiven EHEC-Erregers gelungen, warum dieser Erreger sich aber so verhält, ist bislang unbekannt. "An der Lösung dieser Frage arbeiten wir noch. Eine Hypothese ist, dass er besonders viel den Giftstoff Shigatoxin produziert und dass dieser Giftstoff auch in großem Umfang die Niere erreicht und schädigen kann."

Team von Spezialisten befragt alle Patienten

Für die weitere Bekämpfung der Infektionswelle ist derzeit aber besonders wichtig zu wissen, welche Patienten sich mit der aggressiven Form des EHEC-Erregers angesteckt haben. Diese zentrale Frage beantworten die Wernigeröder Wissenschaftler und teilen sie ihren Kollegen in der Berliner Zentrale des Robert-Koch-Institutes mit. Fruth: "Dort gibt es ein extra zusammengestelltes Team von Infektions-Epidemiologen, das deutschlandweit ausschwärmt und über die Befragung der betroffenen Patienten herauszubekommen versucht, wie deren Ansteckung passiert sein könnte."

Nur so kann der gemeinsame Herd der Erkrankung gefunden werden. Die Hoffnung von Angelika Fruth ist, dass die aktuelle Infektionswelle dann unter Umständen genauso schnell vorbei ist, wie sie angefangen hat. "Wenn wir das Lebensmittel kennen, wissen wir auch, wer der Erzeuger ist und können eine weitere Verbreitung unterbinden", glaubt sie. So ein EHEC-Auslöser, das zeigt ein Vorfall in England vor mehreren Jahren, kann auch auf sehr ungewöhnliche Weise passieren. Fruth: "Das Publikum eines Rockfestivals hat sich zum Teil über Staubpartikel infiziert, die von einer benachbarten Kuhweide herübergeweht waren. Auch solche Infektionswege kann es geben."

Sie selbst und ihre Mitarbeiter begegnen der großen Menge an EHEC-Bakterienproben in den Laboren des Wernigeröder Institutes übrigens mit großer Gelassenheit. Angst vor einer Ansteckung habe sie nicht, beteuert die Mikrobiologin. "Die Arbeit in unseren Laboren ist professionell abgesichert. Wir hatten es hier schon mit schwerwiegenderen Dingen als EHEC zu tun. Eine Labor-Infektion gab es in den vergangenen 20 Jahren aber nicht", so die Wissenschaftlerin. In Norddeutschland ungewaschenen Salat zu essen, würde ihr derzeit entschieden mehr Sorgen bereiten als der Umgang mit EHEC-Proben im Labor.