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SC Magdeburg Hildebrandts Aufstieg und Sturz

Auch viereinhalb Jahre nach der Entmachtung als Handball-Manager beschäftigt der Fall des Bernd-Uwe Hildebrandt die Gerichte.

Von Michael Bock, Rudi Bartlitz und Bernd Kaufholz 30.11.2011, 04:28

Magdeburg l Man schrieb den 27. April 2002. Magdeburg war an diesem sonnigen Frühlingstag der Nabel des internationalen Sports. Zum ersten Mal hatte mit dem SCM eine deutsche Mannschaft die höchste Krone des Handballs erobert: die Champions League. Nach dem Erfolg war das Team in einem wahren Triumphzug zum Alten Rathaus geleitet worden.
Unter den freudetrunkenen Spielern war ein bulliger, fahnenschwenkender 1,94-Meter-Mann, den viele als den Vater des Magdeburger Handball-Aufstiegs ansahen: Bernd-Uwe Hildebrandt. Der Manager hatte in den vorangegangenen Jahren in der wirtschaftlich gebeutelten Region eine Mannschaft aufgebaut, die den finanzstarken europäischen Riesen nicht nur die Stirn bot, sondern sie am Ende sogar in die Knie zwang. Dieses "Wunder von Magdeburg" wird für immer mit dem Namen des heute 53-Jährigen verbunden bleiben.
Doch schon damals zweifelten einige, dass dies alles mit (finanziellen) rechten Dingen zugegangen sei. Allerdings: Laut auszusprechen wagte sich das damals niemand. Zu groß waren Angst (oder Respekt) vor "König Bernd-Uwe". Die "Süddeutsche Zeitung" bezeichnete den Sport in Sachsen-Anhalt einmal als dessen Reich: "Der König Hildebrandt trat nicht ein, er erschien. Er fragte nicht nach, er entschied." Laut dem renommierten "Handelsblatt" herrschte er in Magdeburg "wie ein Feldherr".
Der einstige Ruderer und Absolvent der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig war zur Wendezeit Sportlehrer beim SCM und später erster Manager der Handballer. Die neuen Chancen, die sich damals im Osten boten, nutzte er jedenfalls vehement.
Zuallererst war er im wahrsten Sinne des Wortes ein Multifunktionär - mit allerbesten Drähten nicht nur in den Sport, sondern auch in Wirtschaft und Politik. Neben seiner Manager-Rolle bei den Handballern war er Leiter des Olympiastützpunktes Magdeburg-Halle und des Hauses der Athleten in Magdeburg. Beim Landessportbund war er Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung des Leistungssports (gGfL). Später wurde der passionierte Pferdezüchter auch noch Chef der Handball-Bundesliga-Vereinigung (HBL). So manche Sitzung hätte er seinerzeit allein mit sich durchführen können - er konnte sogar Geschäfte mit sich selbst abschließen ...
Bescheidenheit attestieren ihm nur wenige seiner Weggefährten. "Da, wo ich bin, ist niemand mehr, der mich motiviert. Ich muss mich schon selbst motivieren." Selbst bezeichnete er sich in der Volksstimme einmal als "Grenzgänger". Wie er das meinte, blieb damals offen.
Zu Hildebrandts Verdiensten gehört es auf jeden Fall, dass er nach der Wende den Absturz des einstigen DDR-Großklubs SC Magdeburg ins Nichts verhinderte - so wie das mit einem SC Leipzig, mit Dynamo Berlin oder Empor Rostock passierte. Zusammen mit Ex-Sozialminister Werner Schreiber (CDU) gehörte der Macher zu den treibenden Kräften, die damals gegen so manchen Widerstand den Bau der 1997 eingeweihten Bördelandhalle in Magdeburg energisch vorantrieben.
Aber Hildebrandt wandelte schon damals auf einem schmalen Grat. Der Handball wurde - auch geschuldet durch den eigenen Erfolg - immer teurer. Ständig galt es, finanzielle Lücken zu schließen. Der Bauernsohn aus der Altmark schaffte es immer wieder, die nötigen Scheine herbeizuzaubern. Wie - das ging niemanden etwas an, und so richtig wollte es auch keiner wissen.
"Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen", argwöhnte ein Magdeburger Ministerialer erst viel später, "hätte der Klub sich nie so viele Weltklassespieler leisten können." Hildebrandts späterer Anwalt Frank Schneider räumte 2007 ein, dass die Handball-GmbH schon seit 1999 "rein formal überschuldet" gewesen sei.
Und irgendwann brechen auch die stabilsten Dämme. Ende 2006 ging in der Magdeburger Staatskanzlei ein zehnseitiges anonymes Schreiben ein. Es wurde an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Es zeugte, so ein Insider, von viel Detailwissen. Hildebrandt und andere aus der inzwischen vom SCM abgespalteten Handball-GmbH wurden darin der Steuerhinterziehung bezichtigt. Bei Heimspielen der Handballer sollen Zuschauerzahlen nach unten korrigiert worden sein. Seinerzeit ging oft ein Raunen durch die Bördelandhalle, wenn der Sprecher die offiziellen Zuschauerzahlen verkündete.
Die nicht verbuchten Einnahmen sollen so am Finanzamt vorbeigeschleust und in schwarze Kassen geflossen sein. Aus diesen Kassen wiederum sollen dann einzelne Handballer bezahlt worden sein.
Ein Unglück kommt jedoch oft selten allein. Inzwischen hatte nämlich auch der Landesrechnungshof Witterung aufgenommen. In einem Ende Februar 2007 bekannt gewordenen Prüfbericht hagelte es Kritik an der Ämterhäufung Hildebrandts. Dadurch werde seine Arbeit für den Olympiastützpunkt beeinträchtigt, hieß es.
Der sonst so taffe Hobbyjäger Hildebrandt wirkte plötzlich angeschossen.
Kurz danach bestätigte die Staatsanwaltschaft Magdeburg auf Anfrage dieser Zeitung, dass sie "gegen Verantwortliche der Handball-GmbH" (Geschäftsführer war seinerzeit Hildebrandt) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und anderer Straftaten eingeleitet habe.
Nur 48 Stunden später, am 16. März, trat Hildebrandt als Geschäftsführer der Handball-GmbH und SCM-Manager zurück. Er wolle mit diesem Schritt Schaden vom Klub abwenden, sagte er. Damit kam er einer drohenden Entlassung zuvor. Zudem wurde er noch am selben Tag als Leiter des Olympiastützpunktes suspendiert.
In den folgenden Wochen und Monaten fiel das Reich Hildebrandts zusammen wie ein Kartenhaus. Ende März stellte die Staatsanwaltschaft bei mehreren Haus- und Bürodurchsuchungen 30 Kartons mit Unterlagen sicher.
Im März 2008 wurden in einem weiteren Rechnungshofbericht finanzielle Ungereimtheiten in der seinerzeit von Hildebrandt geleiteten gGFL-Gesellschaft moniert. Ein Profihandballer soll als Trainer bei der gGFL angestellt gewesen sein und ein Jahressalär von netto 17556 Euro erhalten haben. Leistungen als Coach hat er laut Prüfbehörde allerdings nie erbracht.
Bei dem gezahlten Geld soll es sich um eine verschleierte Abfindung gehandelt haben. Mit dem inzwischen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Handball-GmbH (HMD), Johannes Kempmann, räumte im Oktober 2008 erstmals ein Offizieller des SCM ein: "Wir haben festgestellt, dass ein Teil der Spielergehälter jenseits der Bücher der HMD gezahlt wurde."
Die Vermischung von öffentlichen Mitteln und Profisport trieb noch ganz andere Blüten. Das belegt, so der Bericht weiter, das Auftauchen zweier Rechnungen aus dem Jahr 2002. Da verkaufte eine Privatperson an die gGFL eine Küche sowie entsprechende Geräte für 13039 Euro. Nur: Auf den Rechnungen war handschriftlich vermerkt, dass es sich statt der Küche um die Miete für die Beherbergung eines Handballers handelte.
Schon bald nach Hildebrandts Ausscheiden bekam der Klub die Rechnung für dessen Jonglieren mit den Finanzen. Plötzlich taten sich riesige Löcher auf. Mehrfach stand der SCM anschließend vor der Insolvenz. Es fehlten alles in allem etwa 1,4 Millionen Euro, Verbindlichkeiten aus der Ära Hildebrandt. Nur durch Kraftakte der Sponsoren konnte Schlimmstes verhindert werden.
Mittlerweile hat Hildebrandt, der vor allem als Geschäftsmann agiert, sein sportliches Tätigkeitsfeld in Richtung Norden verlegt. Seit Beginn des Jahres war er Aufsichtsratsvorsitzender des Handball-Zweitligisten Empor Rostock. Diese Funktion hatte er jedoch nur gut ein dreiviertel Jahr inne ...
In Magdeburg droht ihm auf jeden Fall noch ein Zivilprozess, in dem die Handball-GmbH zunächst 540 000 Euro fordert.
Von Hildebrandt selbst stammt der fast philosophische Spruch: "Das Leben ist ein Mühlstein. Ob er dich zermalmt oder poliert, hängt von dir selbst ab." An einigen Stellen in seinem Leben, das jedenfalls scheint festzustehen, ist der Mann aus der Altmark da eben genau zwischen jene Steine geraten.