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Zweiliterflasche mit gesundheitsschädlicher und explosiver Flüssigkeit kontaminiert Depot eines Paketdienstes in Barleben Chemieunfall: An Katastrophe vorbeigeschrammt

Von Bernd Kaufholz 25.05.2012, 03:21

Wahrscheinlich nur haarscharf ist der Barleber Paketdienstleister GLS an einer Katastrohe vorbeigeschrammt. Chemieexperten sprachen gestern von einem großen Glück, dass sich der Schaden in Grenzen hielt und niemand ernstlich verletzt wurde.

Barleben l "Und das Gerät immer dicht überm Boden halten", gibt der Einsatzleiter den zwei Feuerwehrleuten im gelben Vollschutzgummi mit den Atemmasken die letzte Anweisung. Die beiden nicken zum Zeichen, dass sie verstanden haben, und gehen über den Hof, auf dem die weißen Container-Lkw mit dem GLS-Logo und dem gelben Pfeil stehen. Dann betreten sie das Gebäude.

Spätestens um 7.17 Uhr wurde gestern das Gelände der General Logistics Systems Germany GmbH Co im Barleber Gewerbegebiet Ostfalenpark zum Sperrgebiet. Der Grund: Die Paketannahme war chemisch verseucht. Aber niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, wie brisant die Situation wirklich war. Dass akute Explosionsgefahr bestand.

Kurze Zeit zuvor hatte ein Firmen-Lkw einen Container angeliefert. Wie üblich waren die "Pakete" über ein Förderband in den Annahmebereich transportiert worden.

Dabei stellten Mitarbeiter fest, dass aus einem der Behälter eine Flüssigkeit austrat. Sie versuchten noch, die Flüssigkeit "aufzuwischen". Doch die Chemikalie entwickelte in Verbindung mit der Luft ein derartiges Luft-Gas-Gemisch, dass die GLS-Mitarbeiter um ihre Gesundheit fürchteten.

Katrin Baier, Anästhesistin am Sana-Ohre-Klinikum in Haldensleben und Chefin des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, sagte gestern Mittag gegenüber der Volksstimme: "Ich erhielt die Meldung: Massenunfall mit vielen Verletzten, eine feststehende Bezeichnung, die sofort die gesamte Hilfs- und Rettungsmaschinerie ins Laufen bringt."

Zwei Zelte wurden aufgestellt, um diejenigen, die sich im Gebäude aufgehalten hatten und inzwischen evakuiert worden waren, zu untersuchen, und ein Einsatzcontainer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst.

Von 15 Verletzten sei in der ersten Meldung die Rede gewesen. "Aber als ich vor Ort eintraf, wurde mir mitgeteilt, dass mehr als 90 Firmenmitarbeiter betroffen waren." Symptome seien Hustenreiz, Atemnot, Kopfschmerzen und Augenbrennen gewesen. Allerdings seien diese Symptome nach einiger Zeit an der frischen Luft bereits wieder deutlich zurückgegangen.

"Ich habe die umliegenden Krankenhäuser nach Kapazitäten abgefragt und dann die 18 am stärksten Betroffenen in die Uniklinik, das Städtische Klinikum und die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg sowie die Krankenhäuser in Haldensleben und Neindorf bringen lassen."

Jeder der Patienten erhielt einen persönlichen Laufzettel, auf dem die Ärzte der medizinischen Einrichtungen ihre Untersuchungsergebnisse eintragen konnten.

Baier: "Auf Anraten der Giftnotrufzentrale in Erfurt wurden die Blutwerte der Kontaminierten festgestellt, um auf der sicheren Seite zu sein." Aber die Ärztin geht davon aus, dass gesundheitliche Folgen nicht zu erwarten seien.

Auf dem Firmengelände, unmittelbar vor dem Eingangstor, steht am Vormittag ein silbern glänzender Metallbehälter der Feuerwehr. Darin haben die Einsatzkräfte zuerst die mit der Chemikalie verseuchten Aufwischlappen gesichert.

"Nur gut, dass wir nicht mit Wasser ran sind."

Gegen Mittag macht sich ein weiterer Trupp von Feuerwehrleuten bereit, um das gesamte Ausmaß des Chemieunfalls festzustellen und das kontaminierte Material komplett zu entsorgen. Unmittelbar nachdem die Männer den Annahmeraum betreten haben, treffen gleich zwei Horrormeldungen beim Feuerwehreinsatzleiter Thomas Rollbusch ein. Über Funk: "Der gesamte Container ist verseucht." Und von Chemieexperten: Die Verbindung reagiert mit Wasser und kann explodieren. "Schöne Scheiße", entfährt es einem Feuerwehrmann, "nur gut, dass wir nicht mit Wasser ran sind."

Rollbusch zur Situation: "Wie inzwischen klar ist, wurden zehn Liter Triethylphosphit in fünf braunen Flaschen versandt. Drei der Glasbehälter seien schutzummantelt gewesen, zwei nicht. Eine Flasche sei wohl bereits auf dem Transport zerbrochen und ein Großteil der darin befindlichen zwei Liter sei ausgelaufen.

Was passiert wäre, wenn der Inhalt aller Flaschen ausgelaufen wäre, will sich niemand vorstellen.

Und als die Einsatzkräfte am Nachmittag bereits denken, das Schlimmste hinter sich zu haben, trifft eine neue Information ein, die sie regelrecht elektrisiert. Polizeisprecher Joachim Albrecht: "Wir haben erfahren, dass sich noch zwei weitere Pakete mit dem gleichen Inhalt im Paketeingang befinden sollen."

Für die Feuerwehrmänner heißt das: Erneut rein in den Gummianzug und die Atemschutzmaske aufgesetzt. Seite 5