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Ortschaftsgründung Das kleine Wespen feiert sein Jubiläum

Wespen wird sein Gründungsjubiläum feiern. Vor 350 Jahren wurde der kleine Ort nahe Barby (wieder) gegründet.

Von Thomas Linßner 22.05.2019, 08:06

Wespen l Der zweitkleinste Ort in der Einheitsgemeinde Barby ist in der komfortablen Lage, sich sein Gründungsjubiläum aussuchen zu können. Denn erstmals wurde die Siedlung 1494 in einem Lehnsbuch der Grafschaft Barby als wüster Ort „Worspe“ erwähnt. Es war kein Einzelfall, dass Siedlungen wie diese aus den unterschiedlichsten Gründen aufgegeben wurden.

1669 geschah dann etwas, das uns heute bekannt vorkommen dürfte. Glaubensflüchtlinge mussten ihre Heimat Böhmen verlassen und suchten ein neues Zuhause. Um ihnen Siedlungsraum zu geben, wies der kursächsische Herzog August „die wüste Feldmark Wespen“ den böhmischen Exulanten zu.

Der Barbyer Pfarrer Gottfried Hermes sah die Ansiedlung allerdings eher skeptisch. Er berichtete Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Chronik davon, dass sich etwa 200 böhmische Auswanderer bei Herzog August meldeten, die angaben, in ihrer Heimat religiös unterdrückt worden zu sein. „Indessen müssen sich die eingewanderten Böhmen nicht beliebt gemacht und sonderlich mit den Bürgern vertragen haben“, stellte Hermes fest. Eine Nachfrage des Barbyer Rates in der alten Zittauer Heimat brachte zum Vorschein, dass es sich wohl eher um Wirtschaftsflüchtlinge – wie wir heute sagen würden – denn Glaubensverfolgte handelte.

Wie dem auch sei: Im Zuge des Wiederaufbaus errichteten die fleißigen Böhmen mit dem sonderbaren Akzent 1680 eine Schrotholzkirche nach dem Vorbild ihrer Heimat. Sie gilt bis heute als einzige schindelgedeckte Schrotholzkirche Deutschlands.

Und ein weiterer Umstand zeigt Parallelen zur heutigen Zeit auf: das Wasser. War es 2011 ein extrem hoher Grundwasserspiegel, soff das Dorf am 2. März 1784 nach einem Bruch des Saaledeiches komplett ab. Doch damit nicht genug: Nachdem Preußen im Krieg gegen Napoleon 1806 die Schlacht bei Jena und Auerstedt verloren hatte, fielen am 22. Oktober 1806 französische Truppenteile in Wespen ein und plünderten das Dorf. Von 1807 bis 1813 gehörte der Ort zum französisch beherrschten Königreich Westfalen und wurde durch den Kanton Barby im Distrikt Magdeburg verwaltet.

Trotz seiner wenigen Einwohner gaben sich die Wespener vaterländisch. „Am 18. Februar 1871 ging der Wunsch vieler Patrioten endlich in Erfüllung und Deutschland wurde als einiges Deutschland zum Kaiserreich ausgerufen und König Wilhelm von Preußen zum Kaiser gewählt“, schreibt der Lehrer Otto Ahlheit in den 1930er Jahren in seinen historischen Erinnerungen. So wurde auch am 18. Juni 1871 in Wespen das Friedensfest gefeiert. „Die Gemeinde gab den heimkehrenden Kriegern sowie den beiden noch lebenden Veteranen aus den Freiheitskriegen, den Veteranen von 1849 sowie den Kämpfern von 1866 ein Fest“, schreibt er weiter. (Die Freiheitskriege fanden gegen Napoleon 1813/15 statt; 1849 kämpfte der Deutsche Bund gegen Dänemark und 1866 Österreich gegen Preußen.) Wie der Lehrer weiter berichtet, wurde am 18. Juni 1871 in Wespen das Kriegerdenkmal eingeweiht. Er erwähnt weiter, dass die Friedenseiche vor der Kirche 1866 gepflanzt wurde, eine Friedenslinde von 1871 am Kriegerdenkmal bedauerlicherweise wieder einging.

Ein Umstand, von dem so kleine Orte wie Wespen heute nur träumen können, ist 1900 vermerkt: „Rund 100 schulpflichtige Kinder“ gab es damals. Das Auf und Ab der Bevölkerungsstatistik ist sowieso interessant: Lebten Anfang des 19. Jahrhunderts 182 Menschen in Wespen, stieg deren Zahl 1905 auf 495. 1937 registrierte das Meldeamt dann wieder 345 Personen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwoll die Zahl durch zahlreiche Heimatvertriebene auf rund 600 an. Seitdem schrumpft die Bevölkerungszahl gleichmäßig: 1960 – 413, 1965 – 391, 2009 – 226 Personen. Anfang 2019 hatte Wespen nach jüngster Zählung 223 Einwohner. Gemessen mit anderen Orten der Umgebung ein relativ stabiler Wert in den vergangenen zehn Jahren.

In Vorbereitung des Festes ist jeder Wespener am 24. Mai zum Arbeitseinsatz eingeladen. Treffpunkt ist die alte Schule am Teich um 17 Uhr.