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Ausgemusterte Schiffe Abwracken mit Regeln – Neue Standards beim Schiffsrecycling

Nach rund 30 Jahren zu See werden Schiffe ausgemustert. Viele werden in Südasien abgewrackt - unter schwierigen Bedingungen für Arbeiter und Umwelt. Eine neue Regelung soll das jetzt ändern.

Von dpa 26.06.2025, 05:10
In der EU gelten bereits strengere Regeln fürs Schiffsrecycling, mit der Konvention wird jetzt international ein Standard festgelegt.
In der EU gelten bereits strengere Regeln fürs Schiffsrecycling, mit der Konvention wird jetzt international ein Standard festgelegt. Sina Schuldt/dpa

Bremerhaven - Schiffe dürfen künftig nur noch nach neuen, internationalen Regeln recycelt werden – zum Schutz von Mensch und Meer. Die sogenannte Hongkong-Konvention tritt nach jahrelangen Verhandlungen in Kraft. „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Anja Binkofski, Doktorandin am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Dort trifft sich am Abend die maritime Wirtschaft und Wissenschaft, um die neue Regelung mit einem nationalen Festakt zu feiern. 

Was regelt die Hongkong-Konvention?

Die Hongkong-Konvention der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) wurde schon 2009 beschlossen. Erst nach vielen Jahren unterzeichneten genug Länder die Regelung, die nun 16 Jahre später in Kraft tritt. 

Demnach brauchen alle Schiffe einen Gefahrenstoffpass. „Da sind alle Materialien aufgelistet, die in dem Schiff verbaut oder transportiert wurden und als Gefahrstoffe gelten“, erklärt Binkofski. „Also dass am Ende klar ist: Was war auf dem Schiff, was ist jetzt noch auf dem Schiff? Woraus müssen wir achten, wenn es ums Recycling geht?“ 

Außerdem müssen die Werften künftig zertifiziert sein. „Damit verpflichten sie sich, einen gewissen Standard an Arbeits- und Umweltschutz zu haben“, sagt die Wissenschaftlerin. Wenn Schiffe recycelt werden sollen, wird ein weiteres Zertifikat benötigt. Das Dokument regelt, welche Materialien wo verbaut sind und wie das Schiff recycelt werden soll. 

Recycling an Stränden mit verheerenden Folgen

In der Europäischen Union gelten bereits strengere Regeln, mit der Konvention wird jetzt international ein Standard festgelegt. Dadurch steigt nach Auffassung der Branche die Wettbewerbsfähigkeit von Abwrackwerften in der EU. Weltweit werden nach Angaben des Verbands der Deutschen Reeder jährlich rund 700 Seeschiffe außer Dienst gestellt. Etwa 90 Prozent dieser alten Schiffe werden bislang kostengünstig in Südasien, vor allem in Pakistan, Bangladesch und Indien, abgewrackt und recycelt. 

Nach Daten der Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Platform“ wurden im vergangenen Jahr 409 hochseetaugliche Handelsschiffe an Abwrackwerften verkauft. Davon wurden nur 25 Schiffe in der Europäischen Union zerlegt, der größte Anteil mit 255 Schiffe an südasiatischen Stränden recycelt. Dort schuften ungelernte Arbeiter ohne Schutzkleidung. Gasexplosionen, herabfallende Stahlteile und Stürze aus großer Höhe kosten jedes Jahr zahlreiche Menschen das Leben. Auf diese Weise starben im vergangenen Jahr neun Arbeiter, weitere 45 wurden nach Angaben der Organisation verletzt. 

Auch für die Umwelt hat die bisherige Praxis verheerende Folgen. „Ein Schiff hat einfach sehr, sehr viele giftige Materialien verbaut“, sagt Binkofski. Asbest als Dämmstoff, giftige Stoffe in Kabeln oder in der Farbe. „Wenn das Schiff jetzt einfach auf dem Strand liegt und dort auseinandergenommen wird, dann fallen zum Beispiel diese kleinen Partikel von der Farbe einfach auf den Strand und bei der nächsten Flut werden sie weggeschwemmt und kommen ins Wasser.“ 

Welche Wirkung hat die Hongkong-Konvention?

Die nun geltenden Regeln sind auf dem Stand von 2009 und müssten dringend weiterentwickelt werden, fordert die Doktorandin. Das Recyceln auf Stränden sei beispielsweise weiterhin möglich und müsse untersagt werden. „Wenn man Beaching verbietet, bedeutet das, dass all diese Werften Trockendocks bauen müssten. Und das ist einfach unglaublich teuer und gar nicht richtig umzusetzen“, befürchtet die 28-Jährige. 

Inwiefern die Hongkong-Konvention den Arbeits- und Umweltschutz tatsächlich verbessern wird, wird sich also erst noch zeigen. „Es ist wirklich eine Frage des Willens“, meint Binkofski. Die Branche selbst müsse Druck ausüben, damit sich wirklich etwas ändert. 

Schiffsrecycling als Chance für die maritime Wirtschaft

Die maritime Wirtschaft in Norddeutschland könne davon profitieren, ist Binkofski überzeugt. In der ostfriesischen Seehafenstadt Emden werden bald die ersten Schiffe in Deutschland recycelt, weitere Werften sollen folgen. „Jetzt am Anfang wird es vermutlich um eher kleinere Schiffe gehen.“ Nach und nach könnten auch Containerschiffe in Deutschland zerlegt werden. „Die Hoffnung ist natürlich, dass sich die Werftstandorte dadurch halten und ein zweites Standbein aufbauen können.“ 

Wenn Schiffe bald hierzulande recycelt werden, bleiben auch die Materialien in der Region. „Man kann tendenziell fast alles von so einem Schiff recyceln“, sagt die Forscherin. Interessant sei vor allem der Stahl, der im Anschluss wieder für neue Schiffe oder für andere Sparten wie die Autoindustrie genutzt werden könne. 

Arbeit wird es mehr als genug geben, denn die Weltflotte ist veraltet. „In den nächsten Jahren werden auf jeden Fall sehr, sehr viele Schiffe auf uns zukommen, die recycelt werden müssen“, so die 28-Jährige. „Deswegen muss zweigleisig gefahren werden: Einerseits müssen sich mehr Werften in der Europäischen Union auf das Recyceln von Schiffen spezialisieren und gleichzeitig müssen sich die Bedingungen in Südasien weiter verbessern.“