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Social Media „Bin ich jetzt tuff?“ - Tiktoker will Ostdeutschland pushen

Ostdeutsche leben in Plattenbauten, fahren alte Autos und sind irgendwie anders? Das vermittelt ein Trend auf Tiktok. Warum das laut einer Expertin gefährlich sein kann und wer dagegen vorgeht.

Von Alina Grünky, dpa 19.08.2025, 05:00
Fjodor Busik will mit Tiktok-Videos Aufmerksamkeit für Ostdeutschland erzeugen.
Fjodor Busik will mit Tiktok-Videos Aufmerksamkeit für Ostdeutschland erzeugen. Mike Müller/dpa

Greiz/Potsdam - In schwarzer Pufferjacke trotz Sommerhitze springt der Thüringer Fjodor Busik am Bahnhof von Greiz aus dem Zug. Etwa 20 Kinder und Jugendliche stehen schon bereit, um dort mit dem 23-Jährigen ein Tiktok-Video zu drehen, über dem später auf der Plattform stehen wird: „Bin ich jetzt tuff in Greiz?“ Es ist einer von knapp 80 Clips, die Busik schon in verschiedenen Dörfern und Städten im Osten, vor allem in Thüringen, gedreht hat. Damit will er Ostdeutschland „wieder auf die Karte bringen“, wie er sagt. 

„Ein paar Tiktoker aus Ostdeutschland haben vor einigen Monaten diesen Trend gestartet, also "Tuff im Osten"“, erzählt Busik, der in Eisenach aufgewachsen ist und als Erzieher in einem Kinderheim in Gera arbeitet. „Tuff“ kommt vom englischen „tough“ (hart), bedeutet im Jugendslang „krass“ oder „cool“ und ist beim Voting des Langenscheidt Verlags für das Jugendwort des Jahres 2025 nominiert. 

Busik: Westdeutsche machen sich lustig

Aus den ersten Videos geht eine gewisse Selbstironie hervor, die Jugendlichen tanzen etwa mit starrer Miene auf einem Kindertrampolin. „Dann habe ich gemerkt, dass Westdeutsche den Trend ausnutzen, um sich über Ostdeutschland lustig zu machen“, sagt Busik. Das habe ihn wütend und traurig gemacht. 

Deswegen habe er im Mai angefangen, den Trend zurückzuerobern. „Ich fahre durch die Städte und Dörfer, filme Tiktoks, zeige die Vibes, die Menschen, die Energie“, so Busik. Sein Ziel: Jede Stadt und jedes Dorf in Thüringen, später auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg zu erkunden. „Ich will damit Ostdeutschland pushen“, sagt er. Auf Tiktok hat er auf dem Account @fydoz.tts derzeit etwas mehr als 20.000 Abonnenten, sein Video aus Bad Frankenhausen wurde beispielsweise rund 260.000 Mal aufgerufen. 

Beton, Tristesse, Rauheit

Damit stellt sich Busik gegen etwas, das Nina Kolleck, Professorin für Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam, als Anti-Ostdeutschland-Trend beobachtet. Inzwischen seien viele dieser „Tuff im Osten“-Videos millionenfach gesehen, kommentiert und weiterverarbeitet worden, sagt Kolleck. Die Jugendlichen filmen sich etwa vor grauen Häuserwänden oder Mopeds der Marke Simson.

„Die Ästhetik, die dabei transportiert wird, zeigt Plattenbauten, Einkaufswagen im Flur, verwahrloste Treppenhäuser, alte Autos, Menschen mit starkem Dialekt“, sagt die Forscherin. Während der Westen in der öffentlichen Wahrnehmung als Norm gelte und der Süden meist ländlich romantisiert werde, dominiere in der Wahrnehmung des Ostens eine Ästhetik des Mangels: Beton, Tristesse, Rauheit. 

„Zieht die Mauer wieder hoch“

Häufig taucht in den Clips und Kommentaren die Forderung auf, die Mauer solle wieder hochgezogen werden. Ostdeutsche seien „komisch“, sie sollten ferngehalten werden, heißt es darin. Kolleck beobachtet, dass diese Forderung zunehmend auch von ostdeutschen Jugendlichen erhoben wird - etwa, wenn sie schreiben, es brauche eine Mauer, damit Ostdeutschland seine eigene Politik machen könne. Es gehe dann mehr um eine Art der Selbstermächtigung durch Abgrenzung, sagt die Wissenschaftlerin: „Viele junge Ostdeutsche reagieren auf das Gefühl, dauerhaft belächelt oder nicht ernst genommen zu werden.“

Damit spiele der Trend rechten Erzählungen in die Hände, die bewusst mit kultureller Spaltung arbeiteten, analysiert Kolleck: „Sie nutzen genau solche Narrative, also das Gefühl, dass der Osten von außen belächelt oder abgewertet wird, um politisches Kapital daraus zu schlagen.“ 

Obwohl die Jugendlichen die deutsche Teilung und die Wende gar nicht erlebt haben, reproduzieren viele mit „Tuff im Osten“ laut Kolleck genau die Narrative, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen Ost und West seit Jahrzehnten erschweren. Der Expertin zufolge entwickeln sich Schablonen, durch die ostdeutsche Jugendlichkeit pauschal gelesen wird als arm, rau, rechts, ländlich, dumm, irgendwie anders. Das sei „Stigmatisierung pur“.

Hass-Kommentare nicht mehr hinnehmen

Auch Busik kennt Hass-Kommentare wie: „Ich spende fünf Ziegelsteine für die Mauer.“ Er will Stigmatisierungen nicht hinnehmen. „Als ich in der Schule war, war ich in Deutschland immer "der Ausländer" und in Kasachstan, wo meine Eltern herkommen, immer "der Nazi"“, sagt er. Schon als Kind habe er gemerkt, dass die östlichen Bundesländer kein gutes Ansehen hätten. „Ich war sauer auf die Älteren, dass die nichts gegen diesen Hass auf Ostdeutschland tun. Deswegen habe ich mir gedacht, dass ich das jetzt in die Hand nehmen muss.“ 

Mit anderen Ansätzen gibt es auch weitere Menschen in den sozialen Medien, die Aufmerksamkeit für den Osten schaffen wollen. So setzt sich etwa die Sächsin Tina Goldschmidt (@schnappatmig) mit ihrem Dialekt und sächsischem Humor auseinander. Olivia Schneider (@tumvlt) nennt sich die „Ostfluencerin“ und gibt Einblicke in ihr Leben in Ostdeutschland, sie schätzt es wert und setzt sich mit struktureller Ungleichheit auseinander. 

Am Anfang dachten viele, dass sich Busik über Ostdeutschland lustig machen will. „Dann haben sie gemerkt, dass ich es ernst meine. Ich habe mich auch in Vlogs und Live-Videos intensiver mit manchen Orten auseinandergesetzt.“ Auch in seiner Musik unter dem Künstlernamen „Fydoz“ ist der Osten eine Konstante. Seine Follower fragen in den Kommentaren unter seinen Videos, wann er in ihre Stadt komme. „Sie mögen es, dass ich nicht so politisch auftrete“, sagt der 23-Jährige. Er trete nicht für eine bestimmte Partei auf.

Goldene Winkekatze als Markenzeichen

Beim Dreh in Greiz freut sich ein Junge, dass er die goldene Winkekatze halten darf, die in jedem von Busiks Tuff-Clips auftaucht. Sie stehe symbolisch für Glück und Reichtum, „für mich aber eben auch für den Osten – für den Schatz, den viele nicht mehr sehen wollen“, sagt Busik, dessen Schwester Anfang des Jahres zur „Miss Germany“ gewählt wurde. 

Um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen, hält er die Videos bewusst einfach, immer am Bahnhof, immer in Pufferjacke, immer mit Winkekatze. „Ein bisschen Hass bekomme ich trotzdem immer mal wieder ab, aber das gehört dazu“, sagt er. Selbst bei diesen Worten verliert er das Lächeln in seinem Gesicht nicht, seine Grundhaltung ist optimistisch. Seine Nervosität atmet er weg, erzählt er – wie früher vor seinen Kämpfen, in der Judo-Bundesliga.

Sein Ziel: Zugehörigkeit schaffen

„Viele junge Menschen wollen sich irgendwo zugehörig fühlen“, sagt der Erzieher. Davon profitierten auch rechte Gruppen. Ihm sei es wichtig, zuverlässig zu sein. Deswegen halte er sein Wort, gehe auf die Wünsche in den Kommentaren ein und fahre in alle Städte. So möchte er eine Community, also Gemeinschaft, schaffen. Der Tiktoker steht nach eigenen Worten für Höflichkeit, Coolness und Menschlichkeit.

Busik gibt am Bahnhof in Greiz noch ein paar Autogramme auf Taschenrechnern, Schuhen und Handyhüllen. Ein Mädchen sagt, es finde cool, was er macht. Die Kinder und Jugendlichen stehen am Gleis und winken, als der 23-Jährige wieder in den Zug steigt, um in die nächste Stadt zu fahren.