Beim Mehrkampf-Finale Ende der EM-Träume: Kevric erleidet schwere Knieverletzung
Der Traum von einer weiteren Medaille bei den Heim-Europameisterschaften endet für Helen Kevric dramatisch. Nach einem Sturz muss sie ins Krankenhaus. Nun gibt es eine erste Diagnose.

Leipzig - Erschrocken starrte Helen Kevric Richtung Hallendach und hielt sich das bandagierte linke Knie. Nach der Landung beim Sprung war die 17 Jahre alte Turnerin gestürzt und anschließend auf dem Rücken liegen geblieben. Die Stuttgarterin wurde von Bundestrainer Gerben Wiersma und Mannschaftsarzt Rainer Eckhardt aus der Halle getragen. Später wurde Kevric für weitere Untersuchungen des verletzten Knies ins Krankenhaus gebracht.
Die erste Diagnose aus dem Hospital lässt einen längeren Ausfall befürchten. Sie habe eine Kniescheibenband-Verletzung erlitten, teilte Bundestrainer Gerben Wiersma mit. Sie werde für detailliertere medizinische Untersuchungen der lädierten Patellasehne zurück nach Stuttgart gebracht. Anschließend soll über das weitere Vorgehen entschieden werden. „Ich hoffe wie alle, dass es nicht wirklich schlimm ist und nicht lange dauert“, sagte er.
Damit endeten nicht nur ihre Medaillen-Träume bei den Heim-Europameisterschaften in Leipzig gleich am ersten Gerät des Mehrkampf-Finales auf dramatische Weise - die Titelkämpfe sind für Kevric komplett beendet. „Sie wird morgen definitiv nicht am Stufenbarren starten“, sagte der Niederländer. „Ich bin sehr traurig und es tut mir leid für Helen. Es ist fürchterlich“, sagte Wiersma.
Wie es zu der Verletzung kam, konnte auch er nicht erklären. „Ich war genauso überrascht wie alle anderen“, sagte der Bundestrainer. Sie habe ihren Sprung vernünftig beendet. „Dann sah ich plötzlich, dass sie rückwärts hüpfte und dann da lag“, berichtete er.
Kevric hatte sich als Drittbeste für das Finale qualifiziert und war mit berechtigten Medaillen-Hoffnungen an den Start gegangen. Überdies hatte sie als Beste den Endkampf am Stufenbarren erreicht und damit beste Aussichten, an ihrem Spezialgerät den EM-Titel zu gewinnen. Zuletzt war dies Elisabeth Seitz 2022 in München gelungen. Die 31-Jährige erklärte kurz vor Beginn des Mehrkampf-Finales ihren Rücktritt und gab bekannt, dass sie Mutter wird.
Knieprobleme halten schon länger an
Knieprobleme hatten Kevric schon seit ihrer Ankunft in Leipzig begleitet. Deswegen hatte sie beim Podiumstraining auf Akrobatikreihen verzichtet und die Übungseinheit am Sprung ganz weggelassen. Wiersma hatte dies nur als Vorsichtsmaßnahme bezeichnet. Bei der Qualifikation und dem Gewinn von Silber mit der Mannschaft hatte sie dann einen stabilen Mehrkampf mit einer glanzvollen Übung am Stufenbarren gezeigt.
„Meinem Knie geht es schon deutlich besser. Wir haben ja extra das Podiumstraining am Boden und am Sprung weggelassen, damit ich heute einsatzbereit bin. Und es hat auch alles gut geklappt“, hatte sie anschließend gesagt. Dennoch war ihr linkes Knie bereits vor Beginn der Mehrkampf-Entscheidung getaped. Laut Wiersma war auch vor Wettkampf-Beginn alles in Ordnung.
Schönmeier verzichtet überraschend
Einen Tag nach dem Titelgewinn gemeinsam mit Timo Eder (Ludwigsburg) bei der Mixed-Premiere verzichtete Karina Schönmaier überraschend auf einen Start im Mehrkampf, für den sich die Chemnitzerin als Achte qualifiziert hatte. Laut Bundestrainer Wiersma hat die 19-Jährige sich freiwillig aus dem Endkampf zurückgezogen, um den Fokus auf die Einzelfinals am Freitag am Sprung und am Samstag am Boden zu konzentrieren.
Am Vorabend mit der Goldmedaille um den Hals hatte es trotz des kräftezehrenden und nervenaufreibenden Wettkampfes noch anders geklungen. „Ich bin für die nächsten Tage auch gut vorbereitet und habe auch keine Bedenken“, hatte der Schützling von Heimtrainer Anatol Ashurkov erklärt. Für Schönmaier trat Janoah Müller (Haßloch) an, die mit 49,132 Punkten Rang 20 belegte. Europameisterin wurde wie im Vorjahr Manila Esposito aus Italien mit 54,965 Zählern.
Erfolge überdecken Missstände nicht
Die seit Ende letzten Jahres schweren Zeiten für das deutsche Frauen-Turnen und insbesondere für Helen Kevric durch die Aufdeckung der Missstände in Stuttgart und Mannheim sind durch die jüngsten Erfolge jedoch allenfalls übertüncht, aber nicht vergessen. „Natürlich nicht“, betonte Bundestrainer Wiersma. Aber man müsse auch feiern, wenn man etwas Großes erreicht habe. Er sei ziemlich sicher, dass man in den nächsten Wochen definitiv versuche, die Arbeit an der Situation fortzusetzen.
Seit fünf Monaten belasten Vorwürfe über Missbrauch zunächst am Kunst-Turn-Forum Stuttgart und später auch am Stützpunkt Mannheim das deutsche Frauen-Turnen. Mehrere ehemalige und aktive Sportlerinnen hatten unter anderem „systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch“ sowie katastrophale Umstände angeprangert.
Zwei Übungsleiter wurden freigestellt. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermitteln. Es geht um den Verdacht der Nötigung in mehreren Fällen. Kevric hatte dadurch ihre Heimtrainer verloren und wird seit März von Aimee Boormann sowie bei den EM von LaPrise Harris-Williams betreut.
Der Schwäbische Turnerbund (STB) und der Deutsche Turner-Bund (DTB) sind weiter mit der Aufarbeitung beschäftigt - dazu wurde Mitte Januar eine Kanzlei aus Frankfurt am Main herangezogen. Beim Landessportverband (LSV) befasst sich ein unabhängiges Expertengremium mit den Vorwürfen. Im Juli sollen erste Ergebnisse vorliegen.