Alptraum-Urteil Wegen Fehler des Amtsgerichts - Familie muss Grundstück und Haus räumen
Eine Familie aus dem brandenburgischen Rangsdorf lebt seit zehn Jahren mit der Angst, wegen eines Fehlers des Amtsgerichts ihr Eigenheim zu verlieren. Jetzt wird mit einem Urteil des Oberlandesgerichts der Alptraum wahr.

Brandenburg/Havel - Ein Behördenfehler hat verheerende Folgen für eine Familie aus Rangsdorf südlich von Berlin: Weil das Amtsgericht Luckenwalde ein Grundstück im Jahr 2010 unrechtmäßig bei einer Zwangsversteigerung angeboten hatte, muss die Familie als Käufer nun das Grundstück dem ursprünglichen Eigentümer zurückgeben und das darauf selbst errichtete Haus auf eigene Kosten abreißen, wie das Oberlandesgericht Brandenburg am Donnerstag im Urteil verkündete.
Der Vorsitzende Richter ließ in der Urteilsbegründung zwar erkennen, dass ihm die schwerwiegenden Folgen des Urteils für die Familie bewusst seien. Doch die Rechte des Eigentümers wögen vor dem Gesetz schwerer, stellte Christian Odenbreit klar. Für Räumung und Abriss - und damit auch für die Suche nach einer neuen Bleibe - gewährte das Gericht der Familie mit zwei Kindern eine Frist von einem Jahr. (Az.: 5 U 81/20)
Die Familie hatte das etwa 1000 Quadratmeter große Grundstück 2010 bei der Zwangsversteigerung im Amtsgericht Luckenwalde regulär erworben. Das Bauland wurde versteigert, weil der Eigentümer des Grundstücks, ein US-Bürger mit Wohnsitz in der Schweiz, Schulden bei der Stadt Freiburg hatte und angeblich nicht erreichbar war. Nachdem die Familie einen hohen Kredit aufgenommen, dort ihr Haus gebaut hatte und mit zwei kleinen Kindern eingezogen war, meldete sich der frühere Eigentümer im Jahr 2013 und forderte das Grundstück zurück.
Das Landgericht Potsdam entschied daraufhin im Jahr 2014, dass das Amtsgericht versäumt habe, nach dem Eigentümer in ausreichendem Maße zu suchen. Daher sei die Zwangsversteigerung nicht rechtens und der Kläger weiterhin Eigentümer des Grundstücks, das er 1991 von seiner verstorbenen Tante geerbt hatte.
Dem Urteil zufolge muss die Familie nun neben dem Abriss dem Eigentümer für die Nutzung des Grundstücks eine Entschädigung in Höhe von gut 6000 Euro zahlen. Und da ist noch die Grundschuld in Höhe von 280 000 Euro plus Zinsen für die Baukosten, die die Familie schnell tilgen muss. Denn: „Im Ergebnis hat die Familie das Grundstück so zu übergeben, wie es vor dem Zuschlag bei der Versteigerung war“, sagt Odenbreit. Eine Revision ist nicht zugelassen.
Die Familie hofft nun, dass das Land wegen des Behördenfehlers den Schaden ersetzt. „Wir warten auf ein Gesprächsangebot des Landes“, sagte Vater Philipp Walter, der wie seine Frau nicht zu der Urteilsverkündung erschienen war, am Donnerstag auf Anfrage. Weiter wollte er sich nicht äußern.
Das Justizministerium reagierte prompt: Es sei eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die das Urteil umfassend analysieren werde, teilte das Ministerium nach dem Urteil mit. Ziel sei, Amtshaftungsansprüche wegen des Behördenfehlers außergerichtlich zu klären. Das Land stehe in der Verantwortung, die durch den Fehler bei Gericht verursachten materiellen Schäden zu ersetzen, sagte Justizministerin Susanne Hoffmann. Dabei gehe es um einen möglichen finanziellen Ausgleich, aber auch um weitere Optionen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der Familie eine sachgerechte Lösung finden werden, durch die weiteres Leid vermieden wird“, sagte Hoffmann.
Das OLG ging noch einen entscheidenden Schritt weiter: Das Landgericht habe die vom Eigentümer geforderte Räumung des Grundstücks und den Abriss des Hauses abgelehnt, weil sich die Familie auf Treu und Glauben berufen könne, erläuterte Odenbreit. Doch auch hier wog für den Zivilsenat des OLG das Eigentumsrecht schwerer. Bliebe die Familie dort wohnen, könne der Eigentümer das Grundstück nicht nutzen und es bliebe „wirtschaftlich eine leere Hülle“, sagte Odenbreit.
Auch das Haus sei dem Eigentümer nicht zuzumuten, sagte der Vorsitzende Richter. Da der Erbe es nicht wolle, müsse er es auch nicht bezahlen oder für den Abriss aufkommen. Und mit der Räumungsfrist von einem Jahr sei das Gericht der Familie entgegengekommen, so Odenbreit. Die gravierenden finanziellen Folgen könnten durch das Land Brandenburg abgemildert werden.
Gerichtssprecherin Vera Krüger-Velthusen erklärte nach dem Urteil, nach solch einem Behördenfehler hätten die Betroffenen grundsätzlich Anspruch auf staatliche Entschädigung.
Der Fraktionschef von BVB/Freie Wähler im Landtag, Péter Vida, erklärte, das Urteil rüttele am Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. „Eine Familie, die sich vollkommen korrekt verhalten hat, muss nun ihren Lebensmittelpunkt räumen. Das ist nur schwer erträglich“, sagte Vida. Das Ministerium müsse den Schaden nun schnell beheben. „Der schnellste und menschlichste Weg: Das Grundstück dem Eigentümer abkaufen und der Familie dann kostenlos übereignen“, so Vida. „Auf jeden Fall hat das Land der Familie gegenüber unverzüglich rechtsverbindlich zu erklären, dass es für alle sich aus dem Fehler ergebende Schulden und Schäden haften wird.“
Ähnlich äußerten sich auch die rechtspolitischen Sprecherinnen der SPD- und der Linke-Fraktion. Tina Fischer (SPD) und Marlen Block (Linke) forderten das Land auf, möglichst mit dem Eigentümer über eine gütliche Lösung zu verhandeln. Für die Familie müsse es jetzt aber schnell finanzielle Hilfe vom Land geben. „Abriss, Räumung, Bankverträge – das alles kostet Geld und überall laufen jetzt die Fristen“, sagte Fischer. „Um überhaupt nach vorne planen zu können, muss die Familie jetzt zeitnah wissen, womit sie vom Justizministerium rechnen kann und in welcher Höhe ihr Ausgleichsansprüche zustehen.“