Klassik in Asien In Asien wächst die Liebe zur westlichen klassischen Musik
In Japan gehört klassische deutsche und österreichische Musik zum Bildungskanon. Während dort das Publikum älter wird, entdecken in anderen asiatischen Ländern junge Menschen ihre Liebe zur Klassik.

Tokio - Die Japanerinnen und Japaner möchten gar nicht mehr aufhören mit dem Applaudieren. Kirill Petrenko, Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker, hat sich eigentlich schon umgezogen, als er für das Publikum noch einmal auf die Bühne der Minatomirai Hall in Yokohama tritt - jetzt in Jeans und Pullover. „Das japanische Publikum ist unglaublich begeisterungsfähig“, erzählt Intendantin Andrea Zietzschmann der dpa zum Abschluss der diesjährigen Asientournee der Berliner Philharmoniker in Tokio - nach Auftritten in den jungen Wachstumsmärkten Südkorea, China und Taiwan.
Japan ist für deutsche Orchester wie die Berliner Philharmoniker immer ein ganz besonderes Erlebnis. „Jedes deutsche Orchester sehnt sich danach, regelmäßig in Japan zu spielen“, sagt Zietzschmann. „Die Japaner haben eine unheimlich hohe Wertschätzung für die Kultur und Musik“.
Die Begeisterung beruht auf Gegenseitigkeit. Nicht nur gehören mehrere Japaner den Berliner Philharmonikern an, erster Konzertmeister ist der Violinist Daishin Kashimoto. Auch haben sie unter anderem schon mehrere Stücke von Toshio Hosokawa, einem der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten Japans, uraufgeführt.
Konzentriert und mucksmäuschenstill
Japanerinnen und Japaner sind in europäischer Klassik enorm bewandert, beschäftigen sich mit den Musikstücken intensiv und lauschen den Konzerten stets hoch konzentriert - und immer mucksmäuschenstill. Am Schluss dann stets ein schnelles Applaudieren mit in die Höhe gestreckten Händen - immer an den richtigen Stellen - fast wie eine Art Furor nach tiefer Konzentration.
Kenner wie Walter Küssner, Bratschist bei den Berliner Philharmonikern und mit einer Japanerin verheiratet, begründen die Liebe der Japanerinnen und Japaner für die deutsche und österreichische Klassik auch damit, dass sie in der Musik „eine Emotionalität spüren können, wie es der Alltag in der Gesellschaft ihres Landes, in dem sehr förmlich geregelt miteinander umgegangen wird, kaum zulässt“.
Die Verbreitung deutscher und österreichischer klassischer Musik begann in der Meiji-Zeit, als sich Japan nach 1868 für den Westen öffnete und ausländische Fachleute ins Land holte. Unter ihnen waren auch mehrere deutsche Musiker wie der Komponist und Militärmusiker Franz Eckert, die eine entscheidende Rolle beim Aufbau des modernen japanischen Musiksystems spielten. Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Tokio die erste staatliche Musikhochschule, deren Lehrpläne sich stark an deutscher Musiktheorie und Ausbildung orientierten.
Zehntausende schmettern die Neunte
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten sich die Werke von Beethoven, Bach, Brahms, Mozart und Schubert in dem Inselreich schnell. Deutsche und österreichische Komponisten wurden zum Kern des Repertoires japanischer Orchester. Ein besonderer Meilenstein war die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie im Jahr 1918 durch deutsche Kriegsgefangene im Lager Bando – die erste Aufführung dieses Werkes in Japan. Die „Neunte“ gilt heute als Japans zweite Nationalhymne. Jedes Jahr erklingt zum Spätherbst Schillers „Ode an die Freude“, geschmettert von Chören mit bis zu 10.000 Sängern.
„Die klassische europäische Musik ist ein Bestandteil des japanischen Bildungskanons“, erklärt Professor Hermann Gottschewski, Musikwissenschaftler an der renommierten Universität Tokio, der dpa. Doch Japans Gesellschaft altert - und schrumpft. Und damit sinkt auch die Zahl derer, die sich noch für klassische Musik interessieren. Stand nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch in jedem normalen japanischen Haushalt noch ein Klavier, ist das heute nicht mehr so. Auch die Zahl der Musikstudenten ist gesunken.
Junges koreanisches und chinesisches Publikum
„Die Lehrinstitute sind dadurch zum Teil sehr belastet“, schildert Gottschewski. Manche kämpften mit Angeboten wie Erwachsenenbildung ums schiere Überleben. Auch sei die einst hohe Zahl an Japanerinnen und Japaner, die zum Musikstudium nach Deutschland gehen, stark gesunken, während die der Koreaner stieg - wie auch das Interesse an der deutschen Sprache in Japan nachlasse.
Nach Einschätzung des Experten dürften es bald vor allem Chinesen sein, die in Deutschland Musik studieren wollen. Die Auswirkungen der rapiden Überalterung in Japan bekommen auch die deutschen Orchester zu spüren.
„Das koreanische oder chinesische Publikum ist sehr jung im Vergleich zum japanischen Publikum“, schildert Zietzschmann. Es sei fantastisch zu sehen, wie viele junge Leute sich inzwischen in Japans Nachbarländern Südkorea, Taiwan und China für klassische Musik begeistern.
Für ihre diesjährige Tournee hatten die Berliner Philharmoniker in Taiwans Hauptstadt Taipeh eigens ein Public Viewing, zu dem trotz Regens und Sturmböen infolge eines Taifuns mehrere Tausend Fans kamen. „Das ganze Orchester ist dann nach dem Konzert rausgegangen und hat alle begrüßt“. Es sei sehr bewegend gewesen.
In Japan herrscht ein konservativer Geschmack vor
Dass sich nicht nur in Japan, sondern auch in diesen Ländern an den Künstlerausgängen Fangruppen einfinden, die die Musikerinnen und Musiker kennen, verdanken die Philharmoniker auch ihrer Digital Concert Hall, einer Multimedia Streaming Plattform, die man abonnieren kann und die im Hightechland Japan eine der größten Fangemeinden weltweit zählt. Gleichwohl sei in Japan bei Programmdiskussionen mit den Konzertveranstaltern ein konservativer Geschmack vorherrschend, schildert Intendantin Zietzschmann.
„Ein deutsches Orchester möchte man gerne am liebsten nur mit deutschem Repertoire hören“, fügt sie hinzu. Dennoch gehörte zur diesjährigen Tournee in Japan neben einem Programm mit Werken von Wagner, Brahms und Schumann auch eines mit Werken von Béla Bartók, Igor Strawinsky und Leoš Janáček. Schließlich zählten diese Werke des 20. Jahrhunderts zum Kernrepertoire der Berliner Philharmoniker. Weniger bekannte Orchester hätten es mit einem so ambitionierten Programm im eher konservativen Japan dagegen schwer.