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Wahlen Klarer Trend zur Briefwahl: nicht nur wegen der Pandemie

Ein Wahltrend in Pandemiezeiten heißt Briefwahl - 60 Prozent betrug der Anteil der Briefwähler bei der hessischen Kommunalwahl. Zeichnet sich für die Bundestagswahl eine Wiederholung ab?

Von dpa Aktualisiert: 19.09.2021, 22:35
Wilhelm Kanther, Landeswahlleiter für Hessen.
Wilhelm Kanther, Landeswahlleiter für Hessen. Arne Dedert/dpa/Archivbild

Frankfurt/Gießen/Wiesbaden - Knapp eine Woche vor der Bundestagswahl rechnet der hessische Landeswahlleiter mit einem deutlich erhöhten Anteil von Briefwählern. Es sei aber eher unwahrscheinlich, dass der Anteil so hoch wie die 60 Prozent bei der Kommunalwahl im März sein werde, sagte Wilhelm Kanther der Deutschen Presse-Agentur. Dazu dürfte auch beitragen, dass „sich das pandemische Geschehen ein bisschen entspannt hat und wir inzwischen mit den Erfahrungen mit Wahlen in Pandemien umgehen können und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen treffen.“

Doch schon vor Corona habe sich ein Trend zur Briefwahl abgezeichnet. Der Anteil derjenigen, die nicht im Wahllokal abstimmten, habe sich vor der Pandemie bei etwa 30 Prozent einpendelte, so Kanther. „Das ist jetzt durch die Pandemie natürlich weit übertroffen“, meinte der Landeswahlleiter und vermutet: „So viele Briefwähler wie in der Zeit der Pandemie werden wir nachher nicht mehr haben. Nach meinem Gefühl ist die Urnenwahl recht beliebt, weil der Wahlakt dort "erfahrbarer" ist als wenn man einfach nur einen Brief zurückschickt.“

Eine stichprobenartige Umfrage bei hessischen Städten bestätigt, dass es mehr Anträge auf Briefwahl als bei der vergangenen Bundestagswahl gibt. So wurden in der Landeshauptstadt Wiesbaden bisher bei 186.770 Wahlberechtigten insgesamt 68.166 Briefwahlunterlagen ausgestellt. Im Jahr 2017 wurden hingegen 43.147 Briefwahlunterlagen versandt, so ein Sprecher.

In Frankfurt, der bevölkerungsreichsten Stadt Hessens, wurden bisher rund 166 600 Anträge auf Briefwahlunterlagen verschickt - die Zahl der Wahlberechtigten beträgt rund 428.500. Bei der Bundestagswahl 2017 wurden bei damals knapp 424.000 Wahlberechtigten 95.195 Briefwahlstimmen abgegeben. Das entsprach rund 22,5 Prozent der Wahlberechtigten und 30 Prozent der tatsächlich abgegebenen Stimmen.

„Bundestagswahlen haben traditionell die höchste Briefwahlbeteiligung, auch wegen der Teilnahme der Auslandsdeutschen“, sagte eine Sprecherin des zuständigen Dezernats. Im Übrigen hätten etliche Wahlberechtigte die Teilnahme an der Briefwahl kennen und schätzen gelernt. Der erneute Anstieg der Zahl der Briefwahlanträge sei früh absehbar gewesen, die Stadt habe entsprechend rechtzeitig alle notwendigen organisatorischen Maßnahmen getroffen.

Die Stadt Fulda hat rund 15.600 Briefwahlunterlagen verschickt und bislang etwa 7500 Wahlbriefe bereits erhalten. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2017 gingen bis zum Wahltag 8218 Briefwahlunterlagen ein. „Im Vergleich zu Wahlen vor Covid hat sich die Zahl der Briefwähler immens gesteigert“, sagte ein Sprecher. „Nach gegenwärtiger Kalkulation ist mit einem Briefwähleranteil von rund 45 Prozent rechnen.“

In der mittelhessischen Stadt Marburg sind bislang 21.800 Wahlscheine für die Briefwahl beantragt und ausgestellt worden. Das entspreche rund 39 Prozent der Wahlberechtigten, teilte die Kommune mit. Bereits jetzt liege die Zahl der Briefwahlanträge deutlich über der bei der
vorangegangenen Bundestagswahl eingegangenen Wahlbriefe - damals waren es 14.800.

Im benachbarten Gießen haben nach den jüngsten Zahlen der Stadt rund 34 Prozent oder mehr als 21.000 der 61.000 Stimmberechtigten die Wahl per Brief beantragt. Das seien so viele wie noch nie. Bei der Wahl 2017 habe die Stadt zum gleichen Zeitpunkt 11.500 Briefwahlunterlagen ausgestellt, teilte eine Sprecherin mit.

Ein klarer Anstieg bei den Briefwahl-Anträgen wurde auch in Darmstadt verzeichnet. In der südhessischen Stadt wurden bislang rund 44.500 Briefwahlunterlagen ausgestellt, bei der vergangenen Bundestagswahl waren es knapp 26.000. Tatsächlich gaben 24.620 Menschen per Briefwahl ihre Stimme ab.

Landeswahlleiter Kanther sieht den Trend zur Briefwahl mit gemischten Gefühlen. Einerseits ließe sich so ein wichtiger Wahlgrundsatz, das Prinzip der Allgemeinheit der Wahlen, erhöhen. Die bequeme Briefwahl, jederzeit möglich, sei eine Variante, „die Beteiligung an der Wahl, die in einer Demokratie ja wichtig ist, hochzusetzen. Deshalb hat die Briefwahl auch weiterhin ihre Berechtigung.“

Andererseits sei nur im Wahllokal, wo niemand dem Wähler oder der Wählerin über die Schulter blicken könne, die freie und geheime Wahl garantiert. Bei der Briefwahl gebe es auch Risiken: „Niemand kann beobachten, wie die Stimme abgegeben wird und niemand kennt die Situation der Wahlen zu Hause“, sagte Kanther. „Zu Hause kann man auch Zwängen ausgesetzt sein, über die niemals jemand etwas erfährt. Ob die (Brief)-Wahl frei und geheim ist, das kann die Öffentlichkeit, die anderen Wählerinnen und Wähler und der Wahlvorstand nicht beurteilen.“