Friedhofsclown Finovo Mit roter Clownsnase unterwegs auf dem Friedhof
Von wegen Zirkusunterhalter: Der Clown, der regelmäßig auf dem Erfurter Friedhof unterwegs ist, hat eine andere Mission. Und die könnte kaum weiter von brachialen Slapstick-Nummern entfernt sein.

Erfurt - Rote Nase, geblümte Latzhose dazu schwarzer Frack, grüne Latschen und ein freundliches Lächeln: Im Zirkus wäre er keine Überraschung, auf dem Erfurter Friedhof wirkt Clown Finovo für viele wie eine fast unwirkliche Erscheinung.
An diesem kalten Mittwochvormittag im Dezember platziert Finovo zunächst in der Nähe des Eingangs einen großen Koffer. Wie ein Schild informiert der Koffer, dass der Friedhofsclown da ist. Dann stellt Finovo eine Thermoskanne Tee auf eine Bank, dazu Pappbecher. Zugreifen kann, wer möchte. Finovo ruckelt die rote Nase zurecht, greift nach dem zweiten, kleineren Dienstkoffer und geht los. Vorher hat er sich kundig gemacht, wo Beerdigungen stattfinden – zu diesen hält er nämlich respektvollen Abstand.
Manche Friedhofsbesucher lassen aber auch Nähe zu, suchen die Begegnung regelrecht, wenn sie Finovo schon kennen. Nach kurzen Gesprächen, oder dezent-kleinen Zaubertricks wird der Friedhofsclown auch mal umarmt und Tränen werden weggewischt. Andere begegnen ihm mit Skepsis und lehne auch das kleine rote Filzherz ab, das er aus einer Nussschale als Geschenk hervorzaubert.
Überrascht und dann angetan ist eine Familie aus Bayern mit zwei Kindern: „Ungewohnt, so jemanden auf einem Friedhof zu sehen“, sagt Familienvater Michael Glagla. „Es lockert so ein bisschen die Stimmung auf.“ Seine Partnerin Maria, die aus Erfurt stammt und mit den Kindern die Gräber ihrer Großeltern besucht, ergänzt: „Das Leben ist ernst genug, von daher war das eine schöne Aktion.“ Freundlichkeit und Wärme nehme sie aus der Begegnung mit.
Behutsam in der Begegnung: der Clown als Frau vom Fach
„Der Clown ist eine Figur, die man so auf einen Friedhof nicht erwartet“, sagt Kathrin Lehmann-Buss auch selbst. Als Finovo kommt sie schon seit über einem Jahr regelmäßig auf den Friedhof und sucht behutsam Begegnungen mit Hinterbliebenen – in Absprache mit der Friedhofsverwaltung wohlgemerkt und bislang auf Ehrenamtsbasis. Sie suche den Kontakt vor allem zu denen, die einsam ihre Angehörigen auf dem Friedhof besuchen und jemanden brauchen, der sie tröstet. „Herzenswärme“, möchte sie schenken und „das Schwere leichter zaubern.“
Die 41-Jährige hat eine Ausbildung zum Clown absolviert und Perimortale Wissenschaften studiert, beschäftigte sich also schon an der Uni auf verschiedenen Ebenen mit Sterben, Tod und Trauer, wie auch in ihrer jetzigen Arbeit als Trauerberaterin – dann aber ohne Clown-Outfit, wie sie betont. An der Akademie des Thüringer Hospiz- und Palliativverbands ist sie Referentin und berät in Seminaren etwa zum Umgang mit Todesfällen im Schulalltag.
Ansprechpartner und Zuhörer: „Im Koffer ist viel Platz“
Der Friedhofsclown kennt viele der regelmäßigen Besucher, weiß um ihre Verluste und die Geschichten dahinter. „Auf der Bank da hinten sitzt oft ein Paar, das Eierlikör auf einen Verstorbenen trinkt“, verrät er beim Gang über den Friedhof, mit dem Koffer in der Hand. Schlägt das nicht auch auf das eigene Gemüt? „Es gibt bestimmte Geschichten, da muss auch ich schlucken“, verrät Finovo. „Aber in meinem Koffer ist viel Platz.“
So besonders und speziell der Ansatz erscheint – Lehmann-Buss ist nicht der einzige auf den Umgang mit Verlust spezialisierte Clown. Mal heißen sie „Geleitclownin“, mal „Trauer-“, oder eben „Friedhofsclown“: Wer sucht, findet übers Internet eine kleine Anzahl an Seelentröstern der bunteren Art. Es ist eine überschaubare Gruppe, schätzt Lehmann-Buss ein. Ein noch eher unbekanntes Angebot. Auch beim Friedhofsamt in Erfurt habe sie erst etwas Überzeugungsarbeit leisten müssen. Der Clown erfahre auch Ablehnung.
Dass der Umgang mit Trauer und Verlust im Wandel ist, zeigt sich nicht nur am Friedhofsclown in Erfurt: Erst im Juni teilte die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) mit, dass ein Comedian, der selbst eine Krebserkrankung überstanden hat, nun Botschafter für die Organisation sei.
„Ein Friedhofsclown ist vielleicht am ehesten eine Einladung an unerwarteter Stelle“, formuliert Marcus Sternberg vorsichtig. Der Leiter der Akademie des Thüringer Hospiz- und Palliativverbands kennt Lehmann-Buss' Arbeit als Referentin. Als Friedhofsclown hat er sie selbst zwar noch nie erlebt, mit dem Konzept ist er aber vertraut und sieht darin mitunter Potenzial.
Deutschland im Umgang mit Trauer: ein „Entwicklungsland“?
Zwar sei sie kein Tabu mehr, aber: „Deutschland ist im Umgang mit Trauer eher ein Entwicklungsland“, schätzt Sternberg ein. Oft werde dafür nicht genügend Zeit gelassen, der Trauer zu wenig Raum gegeben. Der Friedhofsclown aber könne in der direkten Begegnung diesen Raum öffnen, ohne Trauernde komplett von ihren Gefühlen abzulenken. Eine wesentliche Qualität des Friedhofsclowns sei es, zuhören zu können, so Sternberg. Trauernde sehnten sich häufig nach Leichtigkeit, die könne der Clown als Gegengewicht zur Schwere bieten.
Kurz bevor sich Finovo auf den Rückweg macht, trifft er Gabriele Adam. „Für mich war das zuerst sehr befremdlich“, erinnert sich Adam daran, als sie in einer Trauergruppe erstmals von Finovo erfahren hatte. „Friedhof und Clown – ein Widerspruch an sich“, habe sie gedacht. „Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen.“
Begleitung auf den Weg: über den Friedhof und in der Trauer
Dann habe sie Lehmann-Buss aber selbst als Finovo erlebt und bemerkt, dass es gar nicht so sehr um Humor, sondern um Freundlichkeit gehe. Der Clown habe etwas Mystisches, Märchenhaftes, so Adam. Es gehe nicht um Belustigung der Trauerenden, sondern darum, sie in der Trauer zu begleiten. So begleitet Finovo Adam eben nicht nur beim Weg über den Friedhof zum Grab, sondern auch in der Trauer.