Verregneter Sommer beschleunigt Erosion an Kreidefelsen Rügen bröckelt weiter ab: Kreidefelsen stürzt ins Meer
Tagelanger Dauerregen hat an Rügens Nordküste erneut zu riesigen Kreideabbrüchen geführt. Geologen sehen die Ursache in extremen Klimaschwankungen und dem Anstieg des Meeresspiegels.
Jasmund (dapd). Mehr als 40 Meter breit und etwa 70 Meter hoch – so gewaltig ist das Kreidemassiv, das nach Angaben des Nationalparkamtes Vorpommern am Wochenende den aus dem Wald drückenden Wassermassen nachgab und in die Ostsee stürzte.
In der Nähe des Kieler Ufers, genau zwischen Sassnitz und dem Königsstuhl, rutschten schätzungsweise 120000 Kubikmeter Kreide hinunter auf den Strand und bis zu 50 Meter in die Ostsee hinein. Dabei soll es sich um einen der größten Kreideabbrüche seit 2002 handeln, als am Kolliker Ort etwa 150000 Kubikmeter Kreide abgestürzt waren.
Darüber hinaus hat es mehrere kleinere Rutschungen gegeben. Experten rechnen in den nächsten Tagen mit weiteren Abbrüchen und warnen vor Wanderungen unmittelbar an der Kliffkante und am Strand.
Plötzlich steht ein Buchenwald am Strand
Den wenigen Spaziergängern, die den gefährlichen Strandabschnitt trotzdem begehen, bietet sich ein bizarres Bild. Denn mit den Kreidemassen stürzten am vergangenen Wochenende auch etwa 20 ausgewachsene Buchen in die Tiefe. Wie Stehaufmännchen fielen sie mit den schweren Wurzelballen voraus auf den Strand, wo sie nun aufrecht stehend einen kleinen Wald am Strand bilden.
Der diesjährige verregnete Sommer habe die Erosion an Rügens Kreidemassiv enorm beschleunigt, sagte Geologe Ingolf Stodian vom National-parkamt. "Wir haben im Norden der Insel im Juli Niederschläge von 210 Millimetern registriert. Das war mehr als ein Drittel des langjährigen Mittels in dieser, derzeit regenreichsten Region Mecklenburg-Vorpommerns", sagte er.
Als wichtigste Ursache für die verstärkten Abbrüche sieht der Experte die extremen Klimaschwankungen in den vergangenen drei Jahren. "Wir haben lange Trockenphasen gehabt und dann wieder Niederschläge bis zum Abwinken." Nach den besonders trockenen Jahren 2008 und 2009 habe im August 2010 eine sehr regenreiche Periode mit seitdem 1173 Millimetern Regen und Schnee eingesetzt.
Niederschläge versickern kaum
Stodian hatte in den vergangenen Jahren den Wasserhaushalt im Nationalpark Jasmund untersucht. Nach seinen Erhebungen nimmt die Vegetation in Deutschlands kleinstem Nationalpark 50 bis 66 Prozent der Niederschlagsmengen auf, während 25 bis 40 Prozent oberirdisch abfließen. Lediglich ein bis zwei Prozent versickert in dem verfestigten Kreideboden, der ein Grundwasserstauer ist und an bestimmten Stellen schmierige Rutschbahnen für die darüber liegenden Bodenschichten bildet. Gegenwärtig sei die Region total mit Wasser gesättigt, sagte Stodian. Die Moore seien randvoll, die Bäche reißende Ströme.
Als weitere Ursache für die sich immer mehr häufenden Kreideabbrüche sehen Experten den Anstieg des Meeresspiegels. In den vergangenen 200 Jahren sei der Pegel der Ostsee um 28 Zentimeter angestiegen, sagte Stodian. Das habe zum Verschwinden des früheren Hangfußes geführt, der die Kreideküste schützte.
Statt des 40 Meter hohen und 50 Meter breiten Schuttpegels aus Kreide, Sand und sogenanntem Geschiebemergel sei nun eine senkrechte Kreidewand der Brandung ausgesetzt, sagte Stodian. Material, das bei Abbrüchen in den Strandbereich stürze, werde meist schon beim nächsten Hochwasser komplett wieder weggespült.